Als junger Theologe erlebte er den Aufbruch der katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) mit. Als langjähriger Mainzer Bischof und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz erwarb er sich weit über sein Bistum und die katholische Kirche hinaus höchsten Respekt. Kardinal Karl Lehmann hat die Entwicklungen innerhalb seiner Kirche in Deutschland über Jahrzehnte hinweg entscheidend mitgeprägt, doch ihm fehlte die Macht, weitreichende Reformen durchzusetzen. Am frühen Morgen des 11. März starb er im Alter von 81 Jahren.

Mit Fan-Schal im Fußballstadion

In seiner Wahlheimat Mainz entwickelte Lehmann im Laufe seiner 32-jährigen Amtszeit Qualitäten eines Volkstribuns, dem auch Nichtkatholiken mit großer Sympathie begegneten: Man konnte den Bischof mit Fan-Schal im Fußballstadion treffen oder bei der Mainzer Fastnacht. Gleichzeitig blieb der 1936 in Sigmaringen geborene Sohn eines Volksschullehrers immer voller Leidenschaft der wissenschaftlichen Theologie verbunden. Seine riesige Privatbibliothek ist legendär, seine kolossale Veröffentlichungsliste umfasst über 4.200 gedruckte Texte. Wenn er alte Weggefährten aus Hochschulzeiten traf, mit denen er diskutieren konnte, wirkte Lehmann oft besonders glücklich.

Als wissenschaftlicher Assistent des Theologen Karl Rahner (1904-1984) hatte der junge Lehmann noch selbst am Konzil in Rom teilgenommen, jener historischen Versammlung, mit der sich die katholische Kirche zur modernen Welt hin öffnete. Auch nach der Priesterweihe blieb Lehmann zunächst der Wissenschaft treu. Die Jahre als Hochschulprofessor an der Universität Freiburg, so räumte er kurz vor dem Wechsel in den Ruhestand ein, gehörten zu den "schönsten in meinem Leben".

Leiden unter Zerreißproben

Als Bischof von Mainz ab 1983 und an der Spitze der Deutschen Bischofskonferenz ab 1987 genoss er den Ruf eines verhältnismäßig liberalen Vordenkers, der sich auch stark für die Ökumene einsetzte, ohne dabei vom Vatikan gesetzte rote Linien zu überschreiten. In all den Jahren verheimlichte er nie, dass er sich bei den großen Streitthemen wie dem Zölibat und der Rolle von Frauen größere Veränderungen wünschte, als sie in der katholischen Kirche durchsetzbar waren. Das machte ihm auch persönlich zu schaffen.

"Große Liebe gibt es auch in der Kirche nicht ohne das Leiden", formulierte er in einem seiner Bücher. "Jeder, der in der Nachfolge des Herrn steht und schmerzlich die Wirklichkeit der Kirche erfährt, kennt diese Zerreißprobe." Im Streit über den vom Vatikan geforderten Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung scheute er selbst vor einer Auseinandersetzung mit Papst Johannes Paul II. nicht zurück. "Wir haben gekämpft, und wir haben verloren", kommentierte er 1999 schließlich das Machtwort aus Rom. Auffällig lange wurde Lehmann ausgespart, wenn der polnische Papst den Kreis der Kardinäle erweiterte. Erst 2001 wurde auch dem Mainzer Bischof die Ehre zuteil.

Schlaganfall im September

Lehmanns letzte Dienstjahre waren bereits von ernsthaften gesundheitlichen Problemen überschattet, er habe "Raubbau" an seiner Gesundheit betrieben, sagte der Kardinal über sich selbst. Seinen Abschied aus dem Bischofsamt im Mai 2016 betrachtete er mit einer Mischung aus Wehmut und Erleichterung. Manche seiner Ausführungen klangen da fast resigniert: Allenfalls in langsamen Schritten werde sich die katholische Weltkirche weiterentwickeln - trotz des Schwungs von Papst Franziskus: "Die Starrköpfe sitzen an verschiedenen Stellen, und man kann nur hoffen, dass der Papst lange lebt und gesund bleibt."

Nur Wochen nach seinem letzten großen Gottesdienst, der Bischofsweihe seines Nachfolgers Peter Kohlgraf im August 2017, erlitt Lehmann im vergangenen September einen Schlaganfall. Seither konnte er keine öffentlichen Termine mehr wahrnehmen.