Kirchen

Evangelische Kirche: Durchbruch bei Zahlungen für Missbrauchsopfer




Themenfoto Missbrauch in der Kirche
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Betroffene mussten sich gedulden, aber nun ist die evangelische Kirche bei den Anerkennungsleistungen einen Schritt weiter: Ab dem nächsten Jahr soll in allen Landeskirchen und in der Diakonie ein neues, einheitliches Verfahren gelten.

Hannover (epd). Menschen, die sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie erlitten haben, sollen künftig einheitliche Anerkennungsleistungen erhalten. Eine dafür notwendige Richtlinie hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 21. März einstimmig beschlossen, wie die EKD in Hannover mitteilte. Vertreter der Betroffenen bezeichneten die Einigung als „Durchbruch“. Bis zum 1. Januar 2026 soll die Richtlinie in allen 20 Landeskirchen und 17 diakonischen Landesverbänden umgesetzt werden.

Kernstück der Reform ist ein einheitliches Modell für die finanziellen Leistungen. Demnach setzt sich die Entschädigung aus einer pauschalen Summe in Höhe von 15.000 Euro, wenn es sich um eine nach heutigen Maßstäben strafrechtlich relevante Tat handelt, und einer individuellen Leistung zusammen. Damit wolle die Kirche individuelles Leid und Spätfolgen anerkennen. Es soll keine Obergrenze für die Zahlungen geben.

Unabhängige Anerkennungskommissionen

Unabhängige Anerkennungskommissionen, in denen mindestens ein Richter oder eine Richterin sowie eine Person mit traumatherapeutischer Qualifikation sitzen sollen, sollen anhand eines Kriterienkatalogs über die Leistungshöhe entscheiden. Betroffene können zudem entscheiden, ob sie sich die Leistung als Einmalzahlung oder in mehreren Teilzahlungen beziehen. Einen Rechtsanspruch gibt es nicht. Betroffene erhalten zudem das Recht auf ein Gespräch vor der Kommission.

Bisher gebe es in Deutschland keine so weitgehende Anerkennung des erlittenen Leids und der Traumaspätfolgen durch sexualisierte Gewalt, betonte der Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum sexualisierte Gewalt in EKD und Diakonie, Detlev Zander. Die neue Richtlinie sei das Ergebnis „intensiver Verhandlungen“. Seit gut zwei Jahren hatten das Beteiligungsforum, in dem alle Fragen zum Thema sexualisierter Gewalt beraten werden, die Landeskirchen und die Diakonie über einheitliche Standards bei den Anerkennungsleistungen verhandelt.

„Nicht hinnehmbaren Zustand beenden“

Die Ratsvorsitzende der EKD, Kirsten Fehrs, sagte, mit der neuen Richtlinie lege man die Grundlage, um endlich den „nicht hinnehmbaren Zustand zu beenden“, dass Anerkennungsverfahren für ähnliche Taten in verschiedenen Landeskirchen zu verschiedenen Ergebnissen führen. Der Präsident der Diakonie Deutschland, Rüdiger Schuch, sagte, es komme nun darauf an, die in der Richtlinie vereinbarten Standards bis Januar überall umzusetzen.

Erst sollte die Richtlinie bereits Ende vergangenen Jahres fertig sein, doch dann wurde sie noch in ein sogenanntes Stellungnahmeverfahren bei den Landeskirchen und Diakonie-Landesverbänden gegeben. Bislang sind die Anerkennungsleistungen EKD-weit unterschiedlich geregelt. Seit 2012 sind nach Angaben der EKD vom Januar rund 14,5 Millionen Euro (Stand: 31. Dezember 2023) von den Landeskirchen an materiellen Leistungen für Missbrauchsbetroffene aus dem kirchlichen Kontext gezahlt worden.

Die Landeskirchen und Diakonie-Landesverbände müssen die Richtlinie nun noch selbst beschließen und umsetzen. Zeit braucht auch die Bildung der unabhängigen Anerkennungskommissionen.



Neue Regeln für Anerkennungsleistungen für Missbrauchsbetroffene



Hannover (epd). Betroffene sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie mussten lange Geduld haben: Doch nun hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Freitag eine Reform der Anerkennungsleistungen für erlittenes Leid und dessen Folgen beschlossen. Das sind die inhaltlichen Schwerpunkte:

LEISTUNGEN: Das neue Verfahren soll in allen 20 Landeskirchen der EKD und den 17 Diakonie-Landesverbänden einheitlich angewendet werden. Es sollen also dieselben Regeln für alle Betroffenen aus dem evangelischen Kontext gelten, egal in welchem Verantwortungsbereich einer Landeskirche oder eines Diakonie-Landesverbands die Taten stattgefunden haben. Es handelt sich um ein eigenständiges Verfahren, das nichts mit juristischen Verfahren vor staatlichen Gerichten zu tun hat. Kirche und Diakonie erkennen laut der Richtlinie mit den Leistungen das Leid an, das den Betroffenen in ihrem Bereich widerfahren ist, und berücksichtigen die daraus resultierenden individuellen Folgen.

GELD: Künftig soll es ein kombiniertes Modell geben aus einer pauschalen Leistung in Höhe von 15.000 Euro, wenn die Tat nach heutigen Maßstäben strafrechtlich relevant war, und einer individuellen Zahlung. Eine Obergrenze für die Zahlungen gibt es nicht. Auch immaterielle Leistungen sind zusätzlich möglich. Betroffene können außerdem entscheiden, ob sie sich das Geld auf einmal auszahlen lassen oder in mehreren Teilzahlungen. Die Zahlungen würden nicht auf staatliche Transferleistungen wie Bürgergeld angerechnet, sagte der Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum von EKD und Diakonie, Detlev Zander, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

ANTRAG: Betroffene können über ein Formblatt, das ihnen zur Verfügung gestellt wird, Anerkennungsleistungen beantragen. Zuständig sind unabhängige Anerkennungskommissionen. Sie erhalten ein Recht auf ein Gespräch mit der Kommission. Sie müssen auch keine Beweise für die Tat vorlegen. Die Kommission prüft lediglich die Angaben auf Plausibilität. Auch Menschen, die schon einmal eine Zahlung erhalten haben, können erneut einen Antrag einreichen. Das neue System könnte zu einer Erhöhung der Zahlungen führen.

KOMMISSIONEN: Die unabhängigen Anerkennungskommissionen leiten die Verfahren. Die Kommissionen sollen aus mindestens drei Mitgliedern bestehen und müssen immer eine ungerade Zahl an Mitgliedern haben. Beschäftigte von Kirche und Diakonie dürfen nicht Mitglieder werden. Zudem soll wenigstens eine Person über die Befähigung zum Richteramt, mindestens eine weitere über eine traumatherapeutische Qualifikation verfügen, wie es in der Richtlinie heißt.

UMSETZUNG: Die Richtlinie soll ab Januar 2026 überall angewendet werden. Zander betonte, dass es nun auf die flächendeckende Umsetzung ankomme. Denn die Landeskirchen und Diakonie-Landesverbände müssen die Richtlinie noch übernehmen. Dazu heißt es in der Richtlinie: Den Gliedkirchen und der Diakonie wird empfohlen, entsprechende Regelungen auf Grundlage dieser Richtlinie zu treffen. Das müsse zügig gehen, forderte der Betroffenensprecher. „Wir dürfen den Betroffenen nicht noch mehr Leid auferlegen.“

Von Franziska Hein (epd)


Bätzing: Kirche muss systemische Ursachen des Missbrauchs beseitigen



Frankfurt a.M. (epd). Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat die Notwendigkeit einer Reform der katholischen Kirche bekräftigt. „Der sexuelle Missbrauch und seine Vertuschung ist der größte Skandal, der die Kirche in ihrer Glaubwürdigkeit infragestellt“, sagte der Limburger Bischof am 21. März auf dem FAZ-Kongress „Zukunft gestalten“ in Frankfurt am Main. „Wir müssen die systemischen Ursachen beseitigen, sonst gibt es kein Ende“, betonte er. Hier sei Vertrauen in die Kirche kaputtgegangen, das nicht zurückgewonnen, sondern nur neu aufgebaut werden könne.

Angesprochen auf das Votum der katholischen Kirche 2024, die AfD sei für Christen nicht wählbar, sagte Bätzing, dass er immer zwischen Wählern und Ideologen unterscheide. Die hessen-nassauische Kirchenpräsidentin Christiane Tietz erklärte, die Kirche könne sich nicht nur zu privaten Dingen äußern. Die Bibel bezeichne den Menschen als Bild Gottes, aus dem sich seine Würde und damit politische Konsequenzen ableiteten. Allerdings solle die Kirche sich nicht parteipolitisch äußern.

Tietz: Zwischen Person und Position unterscheiden

Zum Umgang mit Menschen, die extreme politische Ansichten äußern, erinnerte die evangelische Theologin Tietz an die Rechtfertigungslehre. Martin Luther habe auf die Unterscheidung zwischen „Person und Werken“ Wert gelegt. „Ich möchte zwischen der Person und ihrer Position unterscheiden“, so Tietz. Der andere sei ein Mensch, „und so behandele ich ihn auch“. Sie frage das Gegenüber: „Was ist deine Angst und Sorge, die dich zu dieser Position bringt?“ So könne ein Gespräch entstehen.

Die Ökumene ist nach den Aussagen der Kirchenpräsidentin auch trotz der zentralen theologischen Differenz der Konfessionen, der Abendmahlsfrage, am Wachsen. Ein gemeinsames Abendmahl sei möglich in der Vorstellung, dass der einladende Geistliche nicht im Namen seiner Kirche, sondern im Namen Jesu Christi einlade, sagte Tietz. Bätzing räumte ein, dass nach katholischer Vorstellung die Eucharistiegemeinschaft eine Kirchengemeinschaft voraussetze. Aber „wir brauchen Zwischenschritte“, sagte Bätzing.



Westfälische Präses-Kandidatin: Kirche in neuen Formen gestalten




Adelheid Ruck-Schröder
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Bielefeld (epd). Die Theologin Adelheid Ruck-Schröder will im Fall ihrer Wahl zur neuen westfälischen Präses den Umbau der viertgrößten deutschen Landeskirche aktiv begleiten. „Vor allem müssen wir unser Mindset grundlegend ändern“, sagte die Hildesheimer Regionalbischöfin dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Weniger als 50 Prozent der Menschen gehören einer der beiden großen Kirchen an, wir sind keine Volkskirche mehr.“ Deshalb seien Sparmaßnahmen und effizientere Strukturen nötig.

Die Evangelische Kirche von Westfalen entscheidet am 29. März auf einer Sondersynode über die Nachfolge der im November 2023 zurückgetretenen früheren Präses Annette Kurschus. Ruck-Schröder ist die einzige Kandidatin für das theologische Leitungsamt. Die 58-Jährige ist derzeit Regionalbischöfin im Sprengel Hildesheim-Göttingen der hannoverschen Landeskirche.

„Inseln des Gelingens“

Die Gestalt der Kirche werde sich stark verändern, sagte Ruck-Schröder. Eine flächendeckende Versorgung mit genauso viel Personal wie heute werde es nicht mehr geben. Die Herausforderung sei, trotzdem „präsent und anschlussfähig“ zu bleiben und die Kommunikation des Evangeliums in neuen, zeitgemäßen Formen zu gestalten. Statt gleicher Ausstattung überall werde es in zehn Jahren vermutlich eine stärkere Profilierung von Kirchengemeinden und „mehr Inseln des Gelingens geben, exemplarische Orte kirchlichen Lebens“.

In der Gesellschaft könne auch eine kleinere Kirche „als signifikante Größe eine klare Stimme“ sein, sagte Ruck-Schröder. „Wir bleiben Kirche auf gutem Grund und mit gleich großem Auftrag.“ Die Theologin warb für mehr „Beteiligungskirche“: Nach jahrzehntelanger Fixierung aufs Pfarramt müsse stärker interprofessionell gedacht und auch das Ehrenamt beteiligt werden. Der Pfarrberuf werde aber weiter gebraucht, „weil er durch das Theologiestudium Zugang zu Quellen schafft, die wir für die heutige Zeit übersetzen müssen“.

Offen für Ausstieg aus Verbeamtung

Für einen Ausstieg aus der Verbeamtung von Pfarrpersonen zeigte sich Ruck-Schröder offen, das sollte aber auf Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geklärt werden. Ziel müsse sein, ein attraktives Berufsbild zu bieten, aber keine Verpflichtungen einzugehen, die nicht erfüllt werden können. „Am Beamtenstatus hängt nicht die Seligkeit, dieses Modell ist weltweit einzigartig und letztlich zweitrangig.“

Im Blick auf sexualisierte Gewalt in evangelischer Kirche und Diakonie hob Ruck-Schröder die Bedeutung von Beteiligungsforen hervor. Die Kirche müsse „hören, wahrnehmen und aushalten“, was Betroffene berichten, und könne dann gemeinsam mit Betroffenen Standards für Aufarbeitung, Prävention und Anerkennungsleistungen erarbeiten.

epd-Gespräch: Ingo Lehnick


Kirchentag schließt AfD-Wähler nicht aus




Kristin Jahn
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Frankfurt a.M. (epd). Der evangelische Kirchentag in Hannover steht nach Angaben der Veranstalter auch AfD-Wählern als Besucher offen. „Unzufriedene Bürger aus Ostthüringen oder Westsachsen werden wir mit unserer Einladung nur schwer erreichen. Da mache ich mir nichts vor“, sagte Kirchentags-Generalsekretärin Kristin Jahn dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir sind aber offen für alle.“ Niemand werde von der Teilnahme ausgeschlossen.

Zugleich betont Jahn, dass das Protestantentreffen vom 30. April bis 4. Mai der AfD und anderen extremistischen Parteien keine Bühne geben werde. „Wir haben lange gerungen, wie wir die Triggerthemen, bei denen viele Politiker nur populistisch mit den Gefühlen von Menschen spielen, ins Programm kriegen, ohne diese ausgrenzende und vergiftende Sprache durch jene Vertreter aufs Podium zu holen“, erklärte die Generalsekretärin. Diese Themen müssten besprochen werden, aber eben lösungsorientiert.

Mit Sympathisanten extremistischer Parteien im Gespräch bleiben

Spezielle Gesprächsangebote für Sympathisanten extremistischer Parteien werde es beim kommenden Kirchentag nicht geben, erklärte Jahn: „Das ist eine Lücke, die wir in Hannover noch nicht füllen können.“ Allerdings werde für den Kirchentag 2027 in Düsseldorf erwogen, ein Programm für „Aussteiger“ anzubieten, also eine Anlaufstelle für Menschen, die ihre extremistische Meinung überdenken wollen.

Jahn warb dafür, dass die Kirche mit Sympathisanten populistischer Positionen im Gespräch bleibt. „Meine Erfahrung ist: Wenn ich den anderen erstmal als Mensch wahrgenommen habe, kann ich ihm besser sagen, warum ich bestimmte Parteien nicht wähle“, erklärte sie. Das gelinge aber gerade im Osten immer weniger, denn dort seien weder die Kirche noch Bildungsinstitutionen oder soziale Organisationen flächendeckend.

Beim Kirchentag in Hannover wird es Jahn zufolge unter anderem zwei Podien zum Umgang mit Rechtsextremismus und -populismus geben. So solle unter dem Titel „Nach dem Rechten sehen“ über rechtes Gedankengut in Kirchen und Verbänden diskutiert werden. „Und wir beschäftigen uns mit dem Thema christlicher Nationalismus, der vor allem in den USA Einfluss gewonnen hat.“

epd-Gespräch: Franziska Hein und Stefan Fuhr


Theologin: "Man kann dem anderen nicht verbieten, dass er sich wehrt"



Frankfurt a.M. (epd). Die Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags, Kristin Jahn, hat einen realistischeren Blick der evangelischen Friedensbewegung auf den Krieg in der Ukraine gefordert. „Wir können uns nicht bequem zurücklehnen und das Thema Sicherheit auslagern, in der Hoffnung, dass uns schon irgendwer schützen wird. Das kann nicht unsere, nicht die Haltung der Kirche sein“, sagte Jahn dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir müssen in der Realität anderer, totalitärer Weltbilder aufwachen. Darauf muss der Pazifismus eine eigene Antwort geben“, forderte sie.

Bei der derzeitigen Sicherheitsdebatte infolge des Regierungswechsels in den USA sehe sie die evangelische Friedensethik nicht sehr sprachfähig. „Es gibt da viele verschiedene Stimmen. Darunter sind manche, die die Lage noch immer so beurteilen, als lebten wir in den 80er Jahren“, sagte die Theologin. Beispielsweise sei sie skeptisch, wenn man die eigenen Erfahrungen aus der friedlichen Revolution in der DDR auf die Lage in der Ukraine übertrage und nur seinen eigenen Pazifismus bekräftige.

„Alte Denkmuster aus den 80er Jahren“

„Man kann dem anderen nicht verbieten, dass er sich wehrt. Die Debatten darüber werden wir auf dem Kirchentag führen“, sagte Jahn. „Bei der Weltlage, in der wir heute nicht wissen, was übermorgen aus Amerika noch alles kommt, werden wir möglicherweise feststellen, dass auch unsere alten Denkmuster aus den 80er Jahren nicht mehr taugen.“ Der Kirchentag findet dieses Jahr vom 30. April bis 4. Mai in Hannover statt. In den 1980er Jahren war die Kirchentagsbewegung eine der Impulsgeber für die Friedensbewegung, die sich gegen die Aufrüstung im Kalten Krieg richtete.

epd-Gespräch: Stefan Fuhr und Franziska Hein


Christliche Arbeitsgemeinschaft wählt neuen Vorstand




Christopher Easthill
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Augsburg (epd). Der anglikanische Priester Christopher Easthill ist neuer Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK). Damit sei erstmals ein Delegierter der Anglikanischen Kirche Vorsitzender der ACK, wie die Arbeitsgemeinschaft am 19. März in Augsburg mitteilte. Easthill wird Nachfolger von Erzpriester Radu Constantin Miron.

Easthill wurde den Angaben zufolge 1960 in Singapur geboren, war zuletzt ein weltweit operierender Manager eines internationalen Versicherungsunternehmens, ehe er 2011 das Studium der Theologie in den USA aufnahm. Nach seiner Weihe zum Diakon absolvierte er sein Vikariat in München und wurde dort zum Priester geweiht, ehe er 2014 Pfarrer der Church of St. Augustine of Canterbury in Wiesbaden wurde, wo er seitdem arbeitet. Seit 2016 gehört Easthill dem fünfköpfigen Vorstand der ACK an.

Gohl neuer Stellvertreter

Die Mitgliederversammlung der ACK wählte auch einen neuen Vorstand, dem auch der Freiburger Weihbischof Peter Birkhofer für die katholische Deutsche Bischofskonferenz sowie der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) angehören. Gohl wurde zudem zum Stellvertreter Easthills gewählt.

Satzungsgemäß legte der orthodoxe Erzpriester Radu Constantin Miron nach zwei Legislaturperioden sein Amt als Vorsitzender nieder. Die Amtszeit beträgt drei Jahre. Der Vorsitz der ACK ist ein Ehrenamt.

Miron ist Pfarrer in Köln und Bischöflicher Vikar für die Griechisch-Orthodoxe Metropolie in Nordrhein-Westfalen. Er war von 2019 bis 2025 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland. In seine Amtszeit fiel etwa der Dritte Ökumenische Kirchentag 2021 in Frankfurt, die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 2022 in Karlsruhe und das 75-jährige Bestehen der ACK in Deutschland 2023. Er gehörte dem Vorstand der ACK seit 2007 an.

19 Kirchen sind Mitglieder

Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland wurde 1948 von fünf Kirchen gegründet. Inzwischen gehören ihr 19 Kirchen unterschiedlicher Traditionen an, weitere sieben Kirchen sind Gastmitglieder und fünf ökumenische Organisationen haben Beobachterstatus. Die Geschäftsstelle der ACK in Deutschland, die „Ökumenische Centrale“, hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Mitglieder, Gastmitglieder und Beobachter entsenden Delegierte in die Mitgliederversammlung, die zweimal im Jahr zusammenkommt.

Schwerpunkte der Arbeit der ACK sind die theologische Reflexion, das Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung sowie der Kontakt zu anderen ökumenischen Organisationen. Die ACK gestaltet dazu unter anderem den jährlichen zentralen Gottesdienst zur Gebetswoche für die Einheit der Christen. Sie richtet auch den Ökumenischen Tag der Schöpfung aus.



Washingtoner Bischöfin kritisiert "Rückzug ins Private"



Hamburg (epd). Die US-amerikanische Bischöfin Mariann Edgar Budde (65) hat angesichts der politischen Zäsur durch die zweite Präsidentschaft von Donald Trump einen „Rückzug ins Private“ beklagt. Es mangele zwar nicht an Menschen, die etwas sagen wollten, aber die Zeiten hätten sich geändert, die öffentliche Meinung sei gespalten, sagte Budde der „Zeit“ (20. März). Sehr viele Amerikaner ständen hinter Präsident Trump und hinter seinen Entscheidungen. Der Rückzug ins Private mache ihr Angst, sagte Budde.

Weltweit bekannt wurde die Bischöfin durch ihre Predigt am Tag nach der Amtseinführung, in der sie den anwesenden Trump dazu aufrief, Erbarmen und Mitgefühl mit den Schwächsten zu zeigen. Budde ist seit 2011 Bischöfin der episkopalen Diözese von Washington, D.C..

„Meine Worte waren nicht willkommen“

Budde sagte zu ihrer Predigt: „Meine Worte waren nicht willkommen.“ Die Bischöfin hat ein Buch über das „Mutig sein“ geschrieben, das nun auf Deutsch erschienen ist. Budde mahnte jedoch, angesichts der politischen Situation reiche Mut nicht aus. „Es geht auch um Verantwortung“, sagte sie und erinnerte an den deutschen Theologen und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945), der wegen seiner Ablehnung des NS-Regimes von den Nationalsozialisten ermordet wurde.



Papst Franziskus zeigt sich öffentlich



Rom (epd). Papst Franziskus hat sich erstmals seit über einem Monat wieder öffentlich gezeigt. Auf Video-Liveaufnahmen, die am 23. März von Radio Vatikan veröffentlicht wurden, war der 88-Jährige auf einem Balkon der Gemelli-Klinik in einem Rollstuhl sitzend zu sehen. Er winkte den Menschen zu, die sich vor der Klinik in Rom versammelt hatten, und sagte mit schwacher Stimme: „Ich danke Euch allen.“ Das Kirchenoberhaupt wurde seit Mitte Februar in der Klinik behandelt.

Im traditionellen Angelus-Gebet, das am Sonntag vom Vatikan veröffentlicht wurde, erklärte Franziskus: „In der langen Zeit meines Krankenhausaufenthalts habe ich die Geduld des Herrn erfahren dürfen, die sich auch in der unermüdlichen Fürsorge der Ärzte und des Pflegepersonals sowie in der Aufmerksamkeit und Hoffnung der Angehörigen der Kranken widerspiegelt.“

Wunsch nach Frieden

Der Papst äußerte zugleich den Wunsch nach Frieden „vor allem in der gemarterten Ukraine, in Palästina, Israel, Libanon, Myanmar, Sudan und in der Demokratischen Republik Kongo“. Er ging auch auf die Lage in Nahost ein und zeigte sich „bestürzt über die erneuten schweren israelischen Bombardierungen im Gazastreifen, die viele Tote und Verletzte gefordert haben“.

„Ich fordere, dass die Waffen sofort schweigen und der Mut zum Dialog wiedergefunden wird, damit alle Geiseln freigelassen werden und ein endgültiger Waffenstillstand erreicht wird. Im Gazastreifen ist die humanitäre Lage erneut sehr ernst und macht das dringende Handeln der Kriegsparteien und der internationalen Gemeinschaft erforderlich“, hieß es weiter.

Weitere Behandlungen nötig

Am Vortag hatten die Ärzte des Papstes laut „Vaticannews“ bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz angekündigt, dass Franziskus nach fünf Wochen aus dem Krankenhaus entlassen werde. Eine längere Genesungsphase mit weiteren Behandlungen sei nötig. Diese sollen in seiner Residenz Casa Santa Marta im Vatikan erfolgen.

Papst Franziskus war seit dem 14. Februar im Gemelli-Krankenhaus in Rom. Dort war zunächst eine polymikrobielle Infektion festgestellt worden, eine Erkrankung, die durch unterschiedliche Bakterien, Viren und Pilze verursacht wird. Kurz darauf wurde bei Franziskus außerdem eine beidseitige Lungenentzündung diagnostiziert. Über einen längeren Zeitraum schwebte der Papst in Lebensgefahr.



Sex mit dem Teufel



Ganz im Süden erging 1775 das letzte Todesurteil auf deutschem Boden gegen eine angebliche Hexe. Vollstreckt wurde es an Anna Maria Schwägelin zwar nicht. Ein gutes Ende nahm der Prozess dennoch für sie nicht.

Kempten (epd). Als die Magd Anna Maria Schwägelin auf dem Feld arbeitet, kommt aus dem Wald ein Fremder auf sie zu. Sie solle sich zu ihm setzen, mit ihm „kurzweilen“, lädt er sie ein. Schwägelin lehnt ab. Der Fremde sagt, er sei der Teufel, und sie würden schon noch zusammenkommen. Dann verabschiedet er sich.

So erzählt es Schwägelin dem Landrichter Franz Wilhelm Treuchtlinger des Stifts Kempten im Allgäu. Der kommt zu dem Schluss, dass Schwägelin mit dem Teufel im Bunde und folglich eine Hexe sei. Sein Urteil, ausgestellt vor 250 Jahren am 30. März 1775, lautet, „dass die Inquisitin durch das Schwerdt vom Leben zum Todt hinzurichten, der Cadaver hingegen nach guter Gewohnheit zu verbrennen seye“. Anfang April bestätigt der Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein das Verdikt.

Ventilfunktion

Schwägelin, in manchen Quellen auch Schwegelin genannt, ist die letzte zum Tod verurteilte „Hexe“ im Heiligen Römischen Reich. Über ihren Fall war lange nur wenig bekannt, weil die Originalakten verschollen waren. Aber 1998 tauchten diese Akten im Besitz eines Privatmanns aus Kempten auf. Ein Landrichter hatte nämlich Anfang des 19. Jahrhunderts, als das Kloster Kempten säkularisiert worden war, Akten mit nach Hause genommen. Dort hatten sie die Zeit überdauert.

Hexenverfolgungen sind vor allem ein Krisenphänomen. Während der Frühen Neuzeit kühlt das Klima ab, was für wiederkehrende Missernten sorgt. Reformation und Gegenreformation erschüttern das Weltbild der Zeitgenossen, der Dreißigjährige Krieg bringt unendliche Not. Die Forschung sieht in den Verfolgungswellen vor allem eine Ventilfunktion. Mit der Suche nach Sündenböcken reagiert die Gesellschaft ihre Aggressionen ab.

„Hexenverfolgung auch ein Medienphänomen“

Der Direktor des Museums Schloss Wilhelmsburg im thüringischen Schmalkalden, Kai Lehmann, betont einen weiteren Aspekt: „Hexenverfolgung ist auch ein Medienphänomen.“ Die Berichterstattung über Hexenprozesse durch Flugblätter, möglich geworden durch den Buchdruck, trug dazu bei, dass Menschen überall Hexen und Zauberer sahen.

Ende des 18. Jahrhunderts aber sind Hexenprozesse ungewöhnlich geworden. Denn immerhin ist das die Zeit der Aufklärung. Der Kemptener Historiker Wolfgang Petz hat den Fall der Magd Anna Maria Schwägelin aus den Prozessakten erforscht und dazu veröffentlicht. Für ihn hat er viel mit der Person des Richters Treuchtlinger zu tun. Der sei „ein konservatives Relikt“ gewesen, erläutert Petz: „Wenn es ein jüngerer, der Aufklärung zugewandter Richter gewesen wäre, wäre es vielleicht nicht zu diesem Prozess gekommen.“

Wobei er den Treuchtlinger nicht als zwanghaften Hexenverfolger abqualifizieren wolle, sagt Petz. Der Richter habe nicht aktiv nach vermeintlichen Hexen gesucht: „Aber dieser Fall ist ihm vor die Füße gefallen.“

Gewissensqualen

Schwägelin wurde 1729 in bitterarmen Verhältnissen in der Nähe von Memmingen geboren. Früh verwaist, schlug sie sich als Magd durch. Ab 1769 lebte sie in Armenhäusern, weil sie zu krank zum Arbeiten war.

Ein Ausweg aus prekären Verhältnissen war damals in der Regel nur durch Heirat möglich. Auch für Schwägelin schien dieser Weg offen, als ihr 1751 ein Kutscher die Ehe versprach - wenn sie zum lutherischen Glauben konvertiere. Das tat sie auch, der Kutscher ließ sie dann aber für eine andere sitzen.

Kurz nach ihrem Übertritt zum Protestantismus, so berichtet sie später, habe der Teufel sie auf dem Feld angesprochen. Mehrfach habe er sie danach aufgesucht, dabei hätten sie Sex gehabt, was ihr „alleweil eine Freud und eine Wohllust“ gewesen sei. Die sogenannte Teufelsbuhlschaft ist einer der zentralen Anklagepunkte in Hexenprozessen.

Ob Schwägelin tatsächlich konvertiert ist, geht aus den Akten nicht hervor. Aber sie scheint davon überzeugt zu sein, und offenbar peinigt das ihr Gewissen. Historiker Petz hat bei diesen Gewissensqualen den geschichtlichen Kontext im Blick. Das Thema sei damals „von einer Tragweite gewesen, die wir uns heute kaum noch vorstellen können“, erklärt er. „Ein Abfall vom Glauben wird da schnell als Abfall von Gott interpretiert.“ Zum vermeintlichen Teufelspakt sei es da nicht weit.

„Fürstenhof kein Hort der Finsternis“

Mehrfach erzählt Schwägelin anderen von ihrem Kontakt zum Teufel, aber jahrelang geschieht nichts. Offenbar findet niemand das alles besonders strafwürdig. Erst als eine Mitbewohnerin des Armenhauses Schwägelin beim Stiftsgericht anzeigt, kommt es zum Prozess.

Heute könnte man den Glauben, mit dem Teufel zu verkehren, als Symptom einer psychischen Krankheit werten. Historiker Petz aber erklärt: „Die Bewertung als krank oder gesund ist eine Frage gesellschaftlicher Maßstäbe, und die ändern sich.“ Im 18. Jahrhundert sei ein erheblicher Teil der Menschen von der leibhaftigen Existenz des Teufels überzeugt gewesen.

Lange glaubte man, dass Schwägelin die letzte hingerichtete vermeintliche Hexe auf deutschem Boden sei. In einem Kemptener Kirchenbuch aber fand Petz den Hinweis, dass sie erst sechs Jahre nach dem Prozess im Gefängnis gestorben sei, und dass sie zuvor gar die Sterbesakramente erhalten habe.

Der Fürstabt sei der Aufklärung nicht abgeneigt gewesen, beschreibt Petz: „Der Fürstenhof in Kempten war kein Hort der Finsternis.“ Obwohl der Abt das Urteil zunächst unterzeichnet hatte, ließ er es nicht vollstrecken. Ins Armenhaus habe Schwägelin aber nicht zurückkönnen, weil der Abt schon zuvor geplant hatte, es aufzulösen. Wahrscheinlich sei es die einfachste Lösung gewesen, Schwägelin stillschweigend im Gefängnis zu belassen.

Von Nils Sandrisser (epd)



Gesellschaft

UN: Folgen des Klimawandels für Tausende Jahre unumkehrbar




Eis im Wilhelm-Archipel im Norden der Antarktischen Halbinsel
epd-bild/Manu Lindner
"Unser Planet sendet immer mehr Notsignale aus", mahnt UN-Generalsekretär Guterres.

Genf (epd). Der vom Menschen verursachte Klimawandel hat sich im vergangenen Jahr laut UN deutlich beschleunigt. Bestimmte Folgen der Erderwärmung würden über Hunderte, wenn nicht Tausende von Jahren unumkehrbar sein, heißt es in einem neuen Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), der am 19. März in Genf erschien. Der Report über den Zustand des Weltklimas bestätigt, dass 2024 wahrscheinlich das erste Kalenderjahr war, in dem die durchschnittliche Temperatur um mehr als die kritischen 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau lag.

„Unser Planet sendet immer mehr Notsignale aus“, sagte UN-Generalsekretär António Guterres. Der Bericht zeigt laut WMO, dass eine Begrenzung des langfristigen globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius immer noch möglich ist, wenn sich die Staaten dafür starkmachen. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 setzt das Ziel, den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen.

Höchste CO2-Konzentration seit 800.000 Jahren

Die globale mittlere Oberflächentemperatur sei 2024 um 1,55 Grad Celsius höher als der Durchschnitt der Jahre von 1850 bis 1900 gewesen, hieß es in dem Bericht weiter. Damit sei 2024 die wärmste Zwölfmonatsperiode in der 175-jährigen Beobachtungsgeschichte gewesen. Auch seien die zehn vergangenen Jahre die zehn wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen.

Zudem zeigt der Bericht, dass die atmosphärische Kohlendioxidkonzentration auf den höchsten Stand der letzten 800.000 Jahre gestiegen ist. In jedem der vergangenen acht Jahre sei zudem ein neuer bedenklicher Rekord für den Wärmeinhalt der Ozeane aufgestellt worden.

Weiter seien die 18 niedrigsten Meereisausdehnungen in der Arktis in den vergangenen 18 Jahren verzeichnet worden. Die Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs habe sich seit Beginn der Satellitenmessungen verdoppelt.



UN warnen vor Folgen der Gletscherschmelze in Gebirgen




Sexegertenferner im Pitztal, Österreich (2024)
epd-bild/Thomas Lohnes

Bonn, Genf (epd). Die Vereinten Nationen warnen vor den verheerenden Auswirkungen des Klimawandels in Gebirgsregionen. Der Klimawandel lasse Gletscher sowie Schneedecken schmelzen, Permafrost auftauen und Wasserabflüsse immer unregelmäßiger werden, heißt es in dem am 21. März veröffentlichten Weltwasserbericht der Bildungsorganisation Unesco.

Die Erderwärmung löse außerdem Überschwemmungen und Erdrutsche aus, erklärte die Unesco anlässlich des Weltwassertages am Samstag. Die Kombination aus steigenden Temperaturen, veränderten Niederschlagsmustern und schrumpfenden Eismassen bedrohe langfristig die Wasserversorgung von Millionen Menschen weltweit.

„Politisch zu wenig beachtet“

Auch in Deutschland würden Flüsse durch das absehbare Verschwinden der Alpengletscher in Zukunft deutlich weniger Wasser führen, hieß es. Gebirge seien die „Wassertürme der Welt“. In den Bergregionen der Erde entspringen demnach unzählige Flüsse, die Milliarden Menschen mit Süßwasser versorgen. Sie spielten auch für die Nahrungs- und Energiesicherheit eine entscheidende Rolle.

„Gebirge bedecken knapp ein Viertel der Landoberfläche unseres Planeten, werden politisch aber zu wenig beachtet“, erklärte Ulla Burchardt, Vorstandsmitglied der Deutschen Unesco-Kommission mit Sitz in Bonn. „Während viele Gewässer im Flachland heute schon nachhaltig bewirtschaftet werden, gilt das für Gebirge kaum.“

Ein Viertel der Weltbevölkerung habe mit extremer Wasserknappheit zu kämpfen. Rund die Hälfte aller Menschen leide zumindest zeitweise unter schwerem Wassermangel. Dennoch steige der Verbrauch Jahr für Jahr an. Größter Verbraucher sei die Landwirtschaft.

Internationales Jahr des Gletscherschutzes

Die Fachleute empfehlen in dem Bericht, die Systeme zur Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in Bergregionen besonders robust anzulegen, eine nachhaltige Bewirtschaftung der Gewässer und einen Ausbau der Beobachtungsinfrastruktur in Hochgebirgsregionen.

Der Weltwassertag wird seit mehr als 30 Jahren am 22. März begangen. Die Vereinten Nationen haben 2025 zum Internationalen Jahr des Gletscherschutzes erklärt. Damit wollen die UN das Bewusstsein für die Bedeutung der lebenswichtigen Eismassen stärken. Die Unesco mit Sitz Paris fördert seit ihrer Gründung 1945 die internationale Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation.



Bundesrat stimmt Schuldenpaket für Verteidigung und Infrastruktur zu



Die künftige Regierung kann neue Schulden in Milliardenhöhe aufnehmen. Nach der Entscheidung im Bundestag hat das Finanzpaket im Bundesrat die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht. Vier Länder enthielten sich.

Berlin (epd). Der Bundesrat hat den Weg frei gemacht für eine weitreichende Änderung der Schuldenbremse. Drei Tage nach dem Bundestag stimmte am 21. März auch die Länderkammer mit Zweidrittelmehrheit dafür, Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit weitgehend von der Schuldenbremse auszunehmen.

Beschlossen wurde zugleich auch das 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz für die Dauer von zwölf Jahren. 100 Milliarden davon entfallen auf die Länder. Zudem wird die Schuldenregel für die Länder gelockert, die bisher strenger ist als die für den Bund.

Söder: „Kein Selbstbedienungsladen“

Für die Grundgesetzänderung stimmten im Bundesrat zwölf Länder mit insgesamt 53 Stimmen. Die übrigen Länder Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen enthielten sich.

Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne), lobte in seiner Rede vor der Abstimmung die eigene Bundestagsfraktion: „Mehr Klimaschutz ist eine Kernaufgabe dieses Jahrhunderts.“ Die Grünen hatten durchgesetzt, dass 100 der 500 Milliarden Euro fest für Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft reserviert werden. Außerdem sollen die Mittel ausschließlich für zusätzliche Infrastrukturprojekte verwendet werden, um eine Umgehung der Schuldenbremse für reguläre Haushaltsposten zu verhindern.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betonte, dass „jeder einzelne Euro klug gewogen und überlegt ausgegeben werden muss“. Das Finanzpaket sei „kein Selbstbedienungsladen für irgendwelche Projekte, die immer nochmal gemacht werden sollen“. Es müsse genau belegt werden, wofür das Geld ausgegeben werde. Söder forderte zudem einen langfristigen Rückzahlungsplan.

Schwesig: „Balance der Generationengerechtigkeit“

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) betonte die Notwendigkeit, eine „Balance der Generationengerechtigkeit“ zu wahren. Es gehe darum, der nachfolgenden Generation keine unnötigen Schulden, aber auch der jetzigen und nachfolgenden Generation keine Infrastrukturschulden zu hinterlassen. Diese türmten sich besonders bei Schiene, Straßen, Brücken, Kitas, Schulen und Krankenhäusern auf. Zugleich betonte Schwesig, dass das Finanzpaket dazu beitrage, ein „gefährliches Gegeneinander“ zwischen Ausgaben für Sicherheit und notwendige Infrastrukturinvestitionen zu vermeiden.

CDU-Chef Friedrich Merz hatte zuvor die Geschwindigkeit bei der Verabschiedung des Schuldenpaktes verteidigt. Angesichts der außenpolitischen Herausforderungen müsse man schnell handeln, hatte Merz am Freitagmorgen in Frankfurt am Main während des F.A.Z.-Kongresses gesagt.

Um die schnelle Verabschiedung im Bundesrat zu ermöglichen, hatte die Länderkammer einer Verkürzung der sonst üblichen Beratungsfristen zugestimmt. Das Gesetz soll nun in Kürze in Kraft treten.



Kulturkampf um Amerikas Schulen



In den USA wird um die mögliche Auflösung des Bildungsministeriums erbittert gestritten. Für manche konservative Republikaner steht es für einen "übergriffigen woken Staat". Doch die Trump-Regierung stößt dabei auf rechtliche Hürden.

Washington (epd). Der lang gehegte rechtskonservative Traum könnte wahr werden: US-Präsident Donald Trump hat mit der Demontage des US-Bildungsministeriums begonnen. Die zuständige Ministerin Linda McMahon (76) hat rund die Hälfte der 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen. McMahon gilt als Trump-Vertraute, hat früher Wrestling-Wettkämpfe veranstaltet und war in Trumps erster Amtsperiode Leiterin der Behörde zur Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen.

Das 1979 vom demokratischen US-Präsidenten Jimmy Carter ins Leben gerufene „Education Department“ ist das kleinste der Ministerien in Washington. Seine Befugnisse sind begrenzt. Verwaltung, Finanzierung und Lehrpläne sind weitgehend Sache der Bundesstaaten und der örtlichen Schulbezirke. Das Ministerium ist dafür zuständig, gleiche Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen sicherzustellen.

Schon Reagan forderte Abschaffung des Ministeriums

Praktisch heißt das: Das Ministerium erleichtert Darlehen für das Universitätsstudium und subventioniert Schulen mit vielen Kindern aus einkommensschwachen Familien. In den USA werden Schulen von den einzelnen Bundesstaaten und auf lokaler Ebene durch die Grundsteuer finanziert. Das führt zu drastischen regionalen Diskrepanzen: Wohlhabende Orte haben mehr Geld. Die staatlichen Mittel sollen diese Unterschiede abmildern.

Das staatliche Geld ist vor allem im ländlichen Raum und in Innenstädten willkommen. Was das Ministerium so „kontrovers“ macht: Wegen seines Auftrags, „gleiche Bildungschancen“ für alle zu ermöglichen, ist es zuständig für Vorschriften gegen Diskriminierung. Hier geht es um Kinder mit Behinderungen, doch auch um den Umgang mit queeren Jugendlichen und um Rasse, Religion und Gender. Viele Jahre lang hätten staatliche Stellen Schulen mit „Bibelfeindlichkeit“ überflutet, kritisierte der konservative Verband Family Research Council.

Schon der republikanische Präsident Ronald Reagan hatte in den 80er Jahren die Schließung des Ministeriums gefordert. Trump schimpfte im Wahlkampf 2024 über den „Missbrauch von Steuergeldern zum Indoktrinieren der amerikanischen Jugend“. Der aktuelle US-Präsident lehnt insbesondere Gleichstellungsmaßnahmen ab, die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verhindern sollen, und bezeichnet sie als „Genderverrücktheit“. Damit trifft er gerade in rechten und christlich-fundamentalistischen Kreisen einen Nerv.

Viele Kinder werden zuhause unterrichtet

Transfrauen und -mädchen sollen laut Trump nicht an Sportteams für Mädchen und Frauen von Schulen und Universitäten teilnehmen dürfen und Toiletten für Männer benutzen. Ministerin McMahon hat eine Webseite eingerichtet, auf der Eltern Fälle von angeblicher „Indoktrination“ und „polarisierenden Ideologien“ melden können.

Der Streit über den Einfluss von Religion und christlichen Werten in staatlichen Schulen und die Unzufriedenheit konservativer Christen reicht Jahrzehnte zurück bis in eine Zeit, als es das Ministerium noch nicht gab. Das Oberste Gericht entschied 1962 im Sinne der Trennung von Kirche und Staat, dass staatliche Schulen keine organisierten Gebete veranstalten dürfen - ein Urteil, das bis heute umstritten ist.

Wegen der vermeintlichen Verbannung der Religion aus den Schulen ist das konservative Amerika auf der Suche nach alternativen Institutionen. Nach Angaben des Fachdienstes „Education Week“ besuchen rund 12 Prozent der Kinder und Jugendlichen Privatschulen, darunter auch viele, die religiös orientiert sind. Doch diese kosten anders als öffentliche Schulen Schulgeld. Mehrere Millionen Kinder werden zudem in den USA zu Hause von den Eltern unterrichtet.

Schulwahl-Konzept

Die Regierung Trump betont das Konzept „education choice“, Schulwahl. Eltern solle es durch die Vergabe von Gutscheinen ermöglicht werden, Kinder an Privatschulen zu schicken. Die Präsidentin der Lehrergewerkschaft „National Education Association“, Becky Pringle, warnte vor den Konsequenzen: McMahons Hauptziel sei es, Steuergelder von den staatlichen Schulen an nicht rechenschaftspflichtige Privatschulen umzuleiten.

Trump und McMahon können das Bildungsministerium allerdings nicht im Alleingang auflösen. Sie brauchen die Zustimmung des Kongresses. Im April steht zudem eine Anhörung im Obersten Gericht an, wie weit die Regierung gehen darf bei der Finanzierung religiöser Schulen.

Von Konrad Ege (epd)


Germanwings-Absturz: Fehrs will weiter Raum für Seelennöte geben



Hannover, Haltern am See (epd). Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, sichert den Hinterbliebenen der Germanwings-Flugkatastrophe von vor zehn Jahren weiter Unterstützung zu. „Dort, wo Ängste und Nöte der Seele ungehört bleiben, wollen wir ihnen damals wie heute Raum geben“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir verbinden uns mit ihnen im Gebet, dass Frieden in die Herzen aller Trauenden einziehen möge.“

150 Menschen aus 17 Nationen waren bei dem Unglück der Lufthansa-Tochter Germanwings am 24. März 2015 in den französischen Alpen ums Leben gekommen. Darunter eine Schulklasse aus Haltern am See mit 14 Schülerinnen, zwei Schülern und zwei Lehrerinnen. Die Ermittlungen hatten ergeben, dass der psychisch erkrankte Co-Pilot die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht hatte.

Fragen nach dem Warum

„Zehn Jahre später blicken wir immer noch fassungslos auf das Unglück zurück, das so viel hoffnungsvolles Leben vernichtet und so viele Menschen in Verzweiflung gestürzt hat“, sagte die EKD-Ratsvorsitzende. „Einige Hinterbliebene haben einen Weg mit und durch ihren Schmerz gefunden. Andere sind weiter fest von Trauer umschlossen.“ Die Hinterbliebenen stünden weiterhin vor der Frage des „Warum“.

Zum 10. Jahrestag der Flugkatastrophe wird es am Montag in Haltern am See mehrere Gedenkfeiern geben. Zum Zeitpunkt des Unglücks um 10.41 Uhr läuten der Stadt zufolge die Glocken der Kirche. Auf dem Schulhof des Joseph-König-Gymnasiums werde es ein stilles Gedenken der Schulgemeinschaft mit kurzen Ansprachen der Schulleitung sowie Gebeten der katholischen und evangelischen Kirche geben. Am Abend soll in der katholischen Sixtus-Kirche in der Innenstadt um 19 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst für die Halterner Trauergemeinde stattfinden.

Reise an Absturzort

Der damalige Schulleiter des Gymnasiums, Ulrich Wessel, reist zum Jahrestag mit einer Gruppe der Eltern der Opfer in das französische Dorf Le Vernet in der Nähe der Unglücksstelle, um dort der Verstorbenen zu gedenken. Dort werden sich zahlreiche Angehörige der Opfer aus Deutschland, Spanien und anderen Ländern, aus denen die Passagiere stammten, versammeln, um gemeinsam ihrer Toten zu gedenken.



"Das Gedenken gehört dauerhaft zur Geschichte der Stadt"




Gedenkstätte für Opfer des Germanwings-Absturzes in Haltern am See
epd-bild/Friedrich Stark
150 Menschen aus 17 Nationen kamen am 24. März 2015 beim Germanwings-Absturz ums Leben. Unter ihnen eine ganze Schulklasse aus Haltern am See. Die Stadt hält die Erinnerung weiter wach.

Haltern am See (epd). Ihre Tochter liebte es, „Sprachen zu lernen, Menschen zu begegnen und sich zu verständigen“, sagen Annette und Martin Bleß. Deshalb war die 15-jährige Elena Bleß aus Haltern am See zu einem Schüleraustausch nach Barcelona gereist. Doch sie kehrte nie zurück. Sie starb am 24. März 2015 bei der Flugkatastrophe der damaligen Lufthansa-Tochter Germanwings in den französischen Alpen. 150 Menschen aus 17 Nationen kamen ums Leben, darunter eine Klasse des Joseph-König-Gymnasiums - 14 Schülerinnen, zwei Schüler und zwei Lehrerinnen.

Zehn Jahre später ist die Erinnerung an die Katastrophe in dem kleinen Ort im nördlichen Ruhrgebiet noch immer wach. „Das Gedenken gehört dauerhaft zur Geschichte unserer Stadt“, sagt der heutige Bürgermeister Andreas Stegemann (CDU). Auf dem Schulhof des Gymnasiums erinnert eine rostfarbene Gedenktafel an die Namen der Opfer, daneben finden sich eine Stele mit einer Kerze und 18 Kirschbäume, damals gepflanzt, heute hochgewachsen. Auf dem Waldfriedhof Sundern ist eine Gedenkstätte symbolisch einem Klassenzimmer nachempfunden - die Namen sind auf einem schweren Granitstein eingraviert, auch dort sind 18 Bäume gepflanzt.

„Lebendiges Denkmal“

Annette und Martin Bleß haben für ihre Tochter kein „Denkmal aus Stahl oder Stein“ gewählt. Sie unterstützen junge Menschen dabei, das zu erleben, was ihre Tochter geliebt hat. Die Elena-Bleß-Stiftung ermöglicht mit Stipendien Berufspraktika und Austauschprogramme in 16 europäischen Ländern. Mehr als 250 Schülerinnen und Schüler konnten bislang für zwei oder drei Wochen nach Frankreich, Irland oder Spanien fahren, um dort zum Beispiel in Hotels, Museen oder Reisebüros zu arbeiten. „Die Liebe zwischen uns und unserer Tochter hat uns die Kraft gegeben, ihr dieses lebendige Denkmal zu setzen“, sagen Annette und Martin Bleß: „Elena lebt in unserer Stiftung weiter.“

Durch die Flugkatastrophe wurde die Stadt mit ihren rund 40.000 Einwohnern auf tragische Weise weltweit bekannt. Der damalige Leiter des Gymnasiums, Ulrich Wessel, musste den Eltern, die in die Schule kamen, die Nachricht überbringen, dass das Flugzeug abgestürzt und alle Insassen tot waren. Das sei „der schlimmste Moment in meinem bisherigen Leben gewesen“, erinnert sich Wessel. Nur zwei Tage später ergaben die Ermittlungen, dass der Co-Pilot, der psychisch erkrankt war, die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht hatte.

Menschen in „Schockstarre“

Am Unglückstag kamen Medienvertreter aus aller Welt nach Haltern, die Schule musste mit Flatterband geschützt werden. Die Bevölkerung war von einer Art „Schockstarre“ erfasst, erinnert sich der damalige Bürgermeister und heutige Landrat von Recklinghausen, Bodo Klimpel (CDU). Unrasiert, mit offenem Hemd und sichtlich erschüttert, erklärte er bei einer Pressekonferenz im Rathaus, für die Stadt sei das „so ziemlich das Schlimmste, was man sich vorstellen kann“.

Drei Tage später hielt der evangelische Pfarrer Karl Henschel die Predigt in einem ökumenischen Gottesdienst in der katholischen Sixtus-Kirche. Daran wirkten der katholische Bischof Felix Genn und die damalige Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, mit. Außerdem reisten die damalige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und Bundespräsident Joachim Gauck an, der als gelernter Pfarrer mit Angehörigen im Altarraum betete. Als im Juni die sterblichen Überreste der jungen Unglücksopfer mit weißen Limousinen nach Haltern gebracht wurden, säumten Tausende von Menschen die Straßen, weinten, beteten. Einige warfen Blumen auf die Autos.

Am Jahrestag zum Unglücksort

Zum zehnten Jahrestag des Unglücks werden Annette und Martin Bleß mit einer Gruppe von Eltern der Betroffenen und dem damaligen Schulleiter Ulrich Wessel in das französische Dorf Le Vernet in der Nähe der Unglücksstelle reisen. Dort versammeln sich zahlreiche Angehörige der Opfer aus Deutschland, Spanien und anderen Ländern, aus denen die Passagiere stammten, um gemeinsam ihrer Toten zu gedenken.

Von Michael Ruffert (epd)


Ergibt sich was Besseres, ist man einfach weg




Themenfoto Ghosting
epd-bild/Heike Lyding
Schon immer gab es Menschen, die völlig aus dem Leben anderer verschwanden. Heute heißt das Ghosting. An Dimension hat das Phänomen zugenommen, nicht nur in Beziehungen. Auch in der Arbeitswelt, im Gesundheitswesen und an Schulen greift es um sich.

München. (epd). Geht es darum, jemanden kennenzulernen, ist das echte Leben inzwischen fast zum Nebenschauplatz geworden: Wer Kontakt knüpfen möchte, begibt sich ins Internet. Das tat auch Sandra (Name geändert), Patientin der Münchner Paartherapeutin Sharon Brehm. Die 25-Jährige wurde auch rasch fündig: „Nach nur wenigen Malen des Kontakts hatte sie ihre neue Onlinebeziehung schon als tief und intensiv empfunden“, berichtet Brehm. Dann sei von jetzt auf nachher keine Antwort mehr gekommen: „Das erlebte sie wie einen Aufprall von Wolke sieben auf die Erde.“

Völlig unerwartet verschwindet ein anderer Mensch. Zum Teil gibt es überhaupt keine Möglichkeit mehr, ihn zu erreichen. Die Handynummer wurde nie weitergegeben. Das Profil im Netz wird gelöscht. Wie ein Geist löst sich der andere auf. Daher heißt dieses Phänomen „Ghosting“. In privaten Beziehungen ist es schon länger bekannt.

Personalmangel befördert das Phänomen

Auch in der Arbeitswelt scheint Ghosting zuzunehmen. Davon erzählt die Psychologin Ulrike Witt. Gefördert werde Ghosting in der Arbeitswelt durch den Mangel an Personal, erklärt sie. In bestimmten Branchen, etwa im Einzelhandel oder in der Gastronomie, haben Interessenten eine große Auswahl an Arbeitgebern. Sie bewürben sich darum meist auf mehrere Stellen. Sagen vielleicht mehrfach zum Bewerbungsgespräch zu. Kommen dann aber nicht, und zwar ohne sich abzumelden. In diesem Ausmaß, sagt Witt, habe es das früher nicht gegeben: „Da sagte man ab.“

Witt ging in einer im Januar veröffentlichten Einzelhandelsstudie auf Ghosting ein. Weil die Problematik wächst, fand sie heraus, haben immer mehr Arbeitgeber so genannte Preboarding-Konzepte. Das bedeutet: Sobald jemand den Arbeitsvertrag unterschrieben hat, wird er ins Unternehmen eingebunden. Teilweise deutlich vor dem ersten Arbeitstag. Die neuen Mitarbeiter lernen schon mal das Unternehmen und ihre künftigen Kollegen kennen. Viel wird getan, damit sie tatsächlich zum ersten Arbeitstag erscheinen.

„Häufig reine Gedankenlosigkeit“

Man könne den Ghostern nicht böse Absicht unterstellen, so die Forscherin. Häufig scheint es reine Gedankenlosigkeit zu sein: Ergibt sich etwas Besseres, ist man einfach weg. Dennoch: Dass schlichte Höflichkeitsformen verschwinden, die früher gang und gäbe waren, sei keine gute Entwicklung.

Auch im Gesundheitswesen tritt Ghosting auf. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung und Professor für Neurologie an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Nürnberg, erlebt das mitunter in seiner Spezialsprechstunde. „Diejenigen, die am meisten Tamtam um einen Termin machen, die sofort kommen wollen, sind die, die dann einfach nicht auftauchen“, berichtet er. Weil Ghosting zunehme, ließen sich immer mehr Ärzte bei der Terminvergabe die Adresse des Patienten geben. Tauche jemand nicht auf, werde eine Rechnung geschickt.

Schulvermeidung

Harald Ebert, Leiter der Don-Bosco-Förderberufsschule in Würzburg, erlebt ebenfalls Ghosting, und zwar eng verknüpft mit der Problematik der Schulvermeidung. Schülerinnen und Schüler, so Eberts Überzeugung, möchten, dass ihre Abwesenheit wahrgenommen wird. „Werden junge Menschen an Schultagen vermisst, versuchen wir deshalb, telefonisch Kontakt aufzunehmen oder fragen im Freundeskreis oder in der Klasse vorsichtig nach“, erklärt er.

Durch die Sozialarbeiter der Schule, die den ghostenden Schüler kontaktieren, werde das plötzliche Verschwinden meist erklärbar, sagt der Pädagoge: „Wir hören von psychischen Belastungen, Beziehungskrisen, Mobbing, Schwangerschaften oder sexuellem Missbrauch.“ Für Ebert kann Ghosting zum Teil als selbstverletzendes Verhalten interpretiert werden: „Die kleine Schwester des Abbrechens von Beziehungen heißt Einsamkeit.“

Von Pat Christ (epd)



Soziales

"Wir wollen Leben retten"




Schwester Annette Biecker (l.) und Marion Meister mit einer Puppe an der Babyklappe am St. Vinzenz-Krankenhaus in Hanau
epd-bild/Heike Lyding
Eine Klappe, hinter der ein geheiztes Kinderbett steht. Seit 25 Jahren können Mütter in vielen Städten dort ihre Babys anonym ablegen. Seriöse Zahlen dazu, wie oft das passiert, gibt es nicht. Aber: Der von Kritikern befürchtete Andrang blieb aus.

Hanau/Berlin (epd). Eine Eisentreppe an der Rückseite des St. Vinzenz-Krankenhauses in Hanau führt einige Stufen nach oben. Dort, in einer kaum einsehbaren Nische, steht in roten Buchstaben das Wort „Babyklappe“. Sie öffnet sich, wenn jemand den Knopf links daneben drückt. Hinter der Klappe steht ein Wärmebett, die Decke hat einen Bärchenaufdruck. „Meist werden die Kinder in ein Tuch gewickelt auf der Decke abgelegt“, sagt Schwester Annette Biecker vom Seelsorgeteam des Krankenhauses dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zehn Minuten nachdem die Klappe geschlossen wurde, ertönt in der Ambulanz ein Signal. Das Baby wird geholt und untersucht, die Suche nach Adoptiveltern beginnt.

Vor 25 Jahren, am 8. April 2000, hat der Verein „SterniPark“ in Hamburg die erste Babyklappe in Deutschland eröffnet, und zwar an einer Kita. Anlass war damals der Fund einer Babyleiche in einer Hamburger Recyclinganlage. Die Idee fand viele Nachahmer, rund 100 gibt es Schätzungen zufolge mittlerweile in Deutschland, genaue Zahlen fehlen. Seit Eröffnung der Babyklappe „haben wir 56 Leben gerettet“, teilt „SterniPark“ auf seiner Internetseite mit.

Initiative von Berliner Pastorin

Die erste Babyklappe in einem Krankenhaus geht auf die Initiative von Gabriele Stangl zurück. Die Pastorin und Seelsorgerin am Berliner Krankenhaus Waldfriede hatte mit einer alten Frau gesprochen, die ihr berichtete, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ihr Baby im Wald abgelegt zu haben. Sie war vergewaltigt worden, hatte zwei Kinder und ihr Mann war in Gefangenschaft. „Sie konnte sich niemals verzeihen, was sie getan hat“, erinnert sich Stangl.

Wenig später habe ein Diakon mit einer schwangeren Prostituierten vor ihr gestanden. „Sie war verzweifelt, weil sie Angst hatte, dass ihr Zuhälter das Kind verkauft“, sagt Stangl. Die Pastorin wollte helfen, eventuell mit der Vermittlung einer anonymen Geburt. „Das ist illegal“, habe ihr ein Arzt gesagt und Hilfe abgelehnt. Stangl hatte die Schicksale der alten Frau und der Prostituierten im Hinterkopf, als sie von der Babyklappe in Hamburg hörte. „Ich wollte nie wieder so verzweifelte Menschen wegschicken“, sagt sie. Das verbiete ihr auch ihr Glaube.

Ein Drittel der Mütter nimmt das Kind an

Nach Überzeugungsarbeit der Seelsorgerin eröffnete die Babyklappe im Haus Waldfriede im September 2000. Entgegen der Annahme von Kritikern, dass man es den Müttern zu leicht mache und die Frauen bald „Bauch an Bauch stehen“ würden, um ihre Kinder abzugeben, waren es bis zu ihrem Abschied im Jahr 2017 insgesamt 26 Kinder, sagt Stangl.

Schlimm war, als 2002 ein ermordetes Baby in der Klappe lag. Gabriele Stangl ist noch heute überzeugt, dass nicht die Mutter die Täterin war. Die Presseberichte über das „Daniel Simson“ genannte Kind gingen um die Welt.

Mit großer Freude hingegen erinnert sich Stangl an einen Jungen, der im selben Jahr abgegeben worden war. Drei Tage später stand ein junges Paar vor ihr, sie 17 Jahre alt, er 18. Sie beteuerten weinend, die Eltern zu sein. Nachdem die Mutterschaft festgestellt worden war, nahmen sie das Kind mit. Das Jugendamt wurde zur Unterstützung eingeschaltet und die Großeltern packten mit an.

Sie habe oft erlebt, dass Mütter sich das Leben mit dem Kind zutrauen, wenn sie in ihrer Not gehört werden und Hilfe bekommen, sagt Stangl. Sie habe auch viele Frauen betreut, die später zu anonymen Geburten ins Krankenhaus gekommen seien. Ein Drittel von ihnen habe das Kind am Ende behalten, die anderen haben es zur Adoption freigegeben. „Aber die Geburt war sicher und das Kind wurde betreut“, betont Stangl.

Noch Kontakt zu einigen Kindern

Die Pastorin im Ruhestand hat noch heute Kontakt zu einigen Kindern. „Sie sollen wissen, was passiert ist“, sagt sie und unterscheidet zwischen der „Bauch-Mama“ und der „Herz-Mama“: „Das Kind ist bei beiden gewachsen, das kann man erklären.“

„Es ist Teil ihrer Identität“, sagt auch Florian Hillenbrand von der Adoptionsvermittlung des Sozialdienstes katholischer Frauen in Fulda, der die Kinder aus der Babyklappe in Hanau vermittelt. Die Babyklappe sei Teil der Herkunftsgeschichte eines Kindes. „Wissen ist für die Kinder besser einzuordnen als eine Ahnung oder gar die Fantasie.“ Manche Menschen könnten damit in ihrem weiteren Leben sehr gut umgehen, für andere sei es eine große Verletzung.

Der Sozialdienst katholischer Frauen betreibt auch zwei Babyklappen in Fulda und Kassel. Dort sowie in Hanau seien seit 2001 insgesamt 49 Kinder abgegeben worden. 42 wurden später adoptiert, 7 Kinder kamen zurück zu den leiblichen Müttern.

Recht auf Kenntnis der Abstammung

Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist ein Grundrecht, darauf verweisen Kritiker der Babyklappen. Denn für die Kinder aus einer Babyklappe ist das in den allermeisten Fällen nicht einzulösen. Anders ist es bei einer gesetzlich geregelten vertraulichen Geburt, bei der Frauen seit 2014 medizinisch sicher und zunächst anonym entbinden können: Die Daten der Mutter werden hinterlegt und das Kind kann ab dem Alter von 16 Jahren eine Auskunft verlangen.

Wie groß die Belastung sein kann, nichts über die eigene Herkunft zu wissen, gar keinen Bezug dazu haben, weiß auch Marion Meister vom Sozialdienst katholischer Frauen, die an der Einrichtung der Babyklappe in Hanau mitgewirkt hat. Im Wärmebett im St. Vinzenz-Krankenhaus liegt deshalb ein Brief an die Mutter in mehreren Sprachen. Darin stehen Hinweise, wo sie Hilfe für sich finden kann, und die Bitte, dem Kind etwas mitzugeben: einen Gruß, eine Nachricht, ein Schmusetier. „Wir wollen Leben retten“, betont Meister. Gleichzeitig freuten sich alle, wenn das Kind etwas von der leiblichen Mutter bekomme.

Von Renate Haller (epd)


Verbände sehen keine Entwarnung bei der Pflegeausbildung




Pflegerin mit Heimbewohnerin (Archiv)
epd-bild/Tim Wegner
Die Zahl der Neuverträge in der Pflegeausbildung ist im vergangenen Jahr um neun Prozent gestiegen. Doch die Zunahme reicht laut Verbänden nicht aus, um die Fachkräftelücke zu schließen. Reformen seien nötig.

Wiesbaden (epd). Patientenschützer und Krankenhäuser sehen in steigenden Ausbildungszahlen in der Pflege noch keinen Grund zur Entwarnung. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden vom 18. März wurden im vergangenen Jahr neun Prozent mehr neue Ausbildungsverträge zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann abgeschlossen als im Jahr davor. Laut der Deutschen Stiftung Patientenschutz kommt es allerdings darauf an, den Nachwuchs langfristig im Beruf zu halten. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft verwies darauf, dass der Anstieg bislang nicht ausreiche, die Fachkräftelücke zu füllen.

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, nannte die Zahlen „trügerisch“. Höhere Gehälter reichten nicht, um Pflegekräfte im Job zu halten. „Neben planbaren Arbeitszeiten und einer guten Work-Life-Balance muss der Pflege mehr Verantwortung übertragen werden“, sagte Brysch.

Unattraktive Arbeitsbedingungen

Auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, verwies auf aktuell unattraktive Arbeitsbedingungen in der Pflege. Täglich müsse eine Pflegekraft drei Stunden Schreibarbeit aufwenden, sagte Gaß. Nur eine Stunde weniger Bürokratie täglich würde die Arbeitskraft von 47.000 Fachkräften freisetzen: „Damit wäre der Fachkräftemangel in der Pflege mit einem Schlag gelöst, der Beruf hätte an Attraktivität gewonnen und der Druck auf die Beschäftigten wäre weitaus geringer.“ Zudem reiche das leichte Plus bei den Ausbildungsverträgen nicht aus, da in den kommenden zehn Jahren rund 300.000 Klinikbeschäftigte in den Ruhestand träten.

Laut dem Statistischen Bundesamt gab es im vergangenen Jahr 59.500 Neuverträge in der Pflege, ein Plus von 5.100 im Vergleich zu 2023. Zum Jahresende 2024 befanden sich nach vorläufigen Ergebnissen insgesamt 147.100 Personen in einer Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann. Damit hat sich die Zahl der Auszubildenden in der Pflege insgesamt gegenüber dem Jahresende 2023 (146.900 Auszubildende) kaum verändert.

Drei Viertel der Auszubildenden weiblich

Während die Zahl der weiblichen Auszubildenden 2024 leicht um ein Prozent oder 1.200 auf 108.700 abnahm, stieg die Zahl der männlichen Auszubildenden gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent oder 1.400 auf 38.400. Somit waren immer noch 74 Prozent der Pflegeauszubildenden Frauen. Im Jahr 2020, dem Einführungsjahr der generalistischen Pflegeausbildung, hatte der Frauenanteil bei 76 Prozent gelegen. Damit blieb die Geschlechterverteilung seit der Einführung der neuen Pflegeausbildung weitgehend konstant.



97-Jährige hilft Wohnungslosen: "Noch bin ich ja vorhanden"




Annemarie Streit vor dem Kontaktladen Mecki in Hannover
epd-bild/Jens Schulze
Annemarie Streit unterstützt seit mehr als 40 Jahren wohnungslose Menschen. Immer sucht die 97-Jährige dabei auch die persönliche Begegnung. Regelmäßig kommt sie in den Kontaktladen "Mecki" für Wohnungslose in Hannover und hat Spenden mit dabei.

Hannover (epd). Annemarie Streit steigt aus dem Auto und geht auf den Rollator gestützt die letzten Schritte zum Kontaktladen „Mecki“ in Hannover. Der Treffpunkt für Wohnungslose ist am Morgen schon gut frequentiert, als die 97-Jährige eintritt. Gemeinsam mit ihren Unterstützern Ute und Bernd Winkler, die sie abgeholt haben, pflegt sie so etwas wie ein Ritual. Die alte Dame ist elegant gekleidet an diesem Tag, die Haare sind frisch gestylt. „Alle drei Wochen geht es zum Friseur, zum 'Mecki' und zum Wocheneinkauf bei Aldi“, sagt sie.

Im November ist Annemarie Streit mit dem „Niedersachsenpreis für Bürgerengagement“ ausgezeichnet worden. Nur wenige dürften in ihrem Ehrenamt einen so langen Atem haben wie sie. Seit mehr als 40 Jahren setzt sich die Hannoveranerin für wohnungslose Menschen ein. „Das ist hervorragend“, sagt Sozialarbeiterin Veronika Horn, die selbst schon mehr als 30 Jahre in dem diakonischen Treffpunkt „Mecki“ arbeitet. „Ohne Menschen wie sie wäre unser Angebot so nicht möglich“, fügt sie an. Dann legt sie Schokoriegel, Äpfel und gekochte Eier, auf den Tresen, einen Teil der Lebensmittel, die Annemarie Streit und die Winklers mitgebracht haben und die das Angebot für die Gäste an diesem Tag bereichern.

Selbstgestricktes

Immer haben die drei Besucher auch Hygieneartikel wie Papiertaschentücher und Seife dabei. Mit einer Tasche für seine Gitarre, die sich ein Gast im „Mecki“ wünscht, können sie aber diesmal nicht dienen. „Die kann ich schlecht stricken“, sagt Ute Winkler und lacht. Sie unterstützt Annemarie Streit auch bei der Handarbeit. Denn die 97-Jährige strickt ebenfalls noch regelmäßig die Handschuhe und Mützen, die sie vor allem im Winter immer mitbringen. „Selbstgestricktes hält länger und ist wärmer“, ist Streit überzeugt.

An diesem Tag hat sie kaum Platz genommen, da kommt ein alter Bekannter auf sie zu. Der ältere Mann mit Bart umfasst ihre Hände. „Schön, Sie hier zu sehen!“ Beide kommen ins Philosophieren, darüber, wie viel schneller die Zeit im Alter verfliegt und sie sagt: „Noch bin ich ja vorhanden.“ Annemarie Streit ist es wichtig, die Spenden persönlich vorbeizubringen, obwohl sie immer weniger der Besucher im „Mecki“ kennt. „Vieles hat sich verändert“, sagt sie. „Es kommen immer mehr, die kein Deutsch sprechen.“

In jüngeren Jahren ist sie gemeinsam mit ihrem mittlerweile verstorbenen Bruder Gerhard viele Jahre lang regelmäßig in den Straßen Hannovers unterwegs gewesen. „Ich habe mich immer zu den Leuten auf die Bank gesetzt und mit ihnen geredet“, sagt sie. „Das ist die Hauptsache.“ So erfuhren sie, was die Menschen wirklich benötigten - von der Hundeleine über die Unterhose bis zum Vogelkäfig. „Ich organisiere sehr gerne“, sagt Streit. „Das habe ich von meiner Mutter.“

„Wohnungslose haben oft keine Lobby“

Warum sie all dies tut, kann Annemarie Streit selbst nicht erklären. Seit mehr als 90 Jahren lebt sie in dem Haus, in dem sie aufgewachsen ist und das voll von Erinnerungen an die Eltern und Geschwister ist. „Ich habe alles, was ich brauche.“ Doch auch Entbehrungen habe sie kennengelernt - als sie und die Geschwister mit der Mutter vor den Weltkriegsbomben aus Hannover fliehen mussten. Weil der Vater nach dem Krieg noch viereinhalb Jahre in Gefangenschaft war, ging sie arbeiten statt zu studieren: als Schwesternschülerin, als Zahnarzt-Helferin, schließlich die meiste Zeit bei einer Versicherung.

Sie kann viele Geschichten von ihren Begegnungen mit Wohnungslosen erzählen. Bei drei Hochzeiten, bei denen sich Verkäuferinnen und Verkäufer des Straßenmagazins „Asphalt“ das Ja-Wort gaben, war sie Trauzeugin. Bis heute widerspricht die 97-Jährige laut, wenn jemand sich abfällig über wohnungslose Menschen äußert. „Die haben ja sonst oft keine Lobby.“

In Hannover engagieren sich rund 100 Menschen freiwillig in der Wohnungslosenhilfe der Diakonie. Noch mehr sind es, wenn man andere Träger hinzurechnet wie den hauptsächlich aus Ehrenamtlichen bestehenden Verein „Obdachlosenhilfe Hannover“ oder die Caritas. „Teile unseres Angebots können in dem Umfang ohne ehrenamtliches Engagement nicht geleistet werden“, sagt Anne Wolters vom Diakonischen Werk. Doch wichtiger noch sei eine andere Dimension: „Die Betroffenen erfahren durch das ehrenamtliche Engagement häufig mehr Akzeptanz und Wertschätzung.“

Annemarie Streit duzt die Menschen nicht, die sie in ihrem Engagement kennengelernt hat. Doch sie nennt manche beim Vornamen, immer wieder fallen welche, wenn sie erzählt. Bei ihrem Besuch im „Mecki“ verabschiedet sich ihr alter Bekannter, in dem er ihr „Gottes Segen“ wünscht. Annemarie Streit will mit ihrem Engagement noch längst nicht aufhören: „Bis ich tot umfalle, wird es wohl so weitergehen.“

epd video

Von Karen Miether (epd)


Im dritten Jahr in Folge weniger Elterngeldbezieher



Wiesbaden (epd). Rund 1,67 Millionen Frauen und Männer haben im vergangenen Jahr in Deutschland Elterngeld bekommen. Das waren rund 95.000 (5,4 Prozent) weniger als im Jahr 2023. Damit sank die Zahl der Elterngeldbezieher im dritten Jahr in Folge und war 10,6 Prozent niedriger als 2021, wie das Statistische Bundesamt am 24. März in Wiesbaden mitteilte.

Im Vorjahresvergleich ging die Zahl der Elterngeld beziehenden Männer 2024 um 31.000 oder 6,6 Prozent auf 432.000 zurück. Die Zahl der leistungsbeziehenden Frauen sank um 65.000 oder 5 Prozent auf 1,24 Millionen.

Die durchschnittliche Dauer des geplanten Elterngeldbezugs lag bei den Frauen unverändert bei 14,8 Monaten. Die von Männern angestrebte Bezugsdauer war mit durchschnittlich 3,8 Monaten dagegen deutlich kürzer und im Vergleich der vergangenen Jahre nahezu konstant.



VdK-Chefin Bentele warnt Union und SPD vor Sozialkürzungen



Berlin (epd). Die VdK-Präsidentin Verena Bentele hat Union und SPD vor Kürzungen im Sozialbereich, etwa beim Bürgergeld und bei der Förderung des Heizungstauschs, gewarnt. „Mit der Schaffung des Sondervermögens hat Friedrich Merz wirklich alle Karten in der Hand, die deutsche Gesellschaft zusammenzuführen“, sagte die Chefin des Sozialverbands dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (23. März). „Diese Chance sollte er sich nicht mit kurzfristig gedachten Kürzungen im Sozialhaushalt verspielen“, sagte Bentele.

Bei Kürzungen des Bürgergelds befürchtet Bentele negative Folgen für die Berufsqualifizierung der Empfänger. „Die Spielräume beim Bürgergeld sind kleiner, als viele suggerieren: an einem gesetzlich vorgeschriebenen Existenzminimum und bescheidenen Regelsätzen kann nicht mehr gekürzt werden“, sagte die VdK-Chefin. Zudem sollte es die neue Bundesregierung in Zeiten eines Arbeitskräftemangels vermeiden, an Qualifikationen und Weiterbildungen zu sparen.

Einsparungen beim sogenannten Heizungsgesetz seien weder nötig noch klug, fügte Bentele hinzu. „Durch die zusätzlichen Mittel aus dem Sondervermögen muss immer genug Geld für sozial gerechte Förderungen da sein“, sagte die Verbandschefin.




Medien & Kultur

Liebesdrama im Künstlermilieu




Doppelbildnis "Oskar Kokoschka und Alma Mahler" (1912)
epd-bild/Udo Gottschalk
Die Liebe des Malers Oskar Kokoschka zu Alma Mahler währte nur drei Jahre. Künstlerisch hinterließ sie bei dem Expressionisten tiefe Spuren. Das Museum Folkwang in Essen zeigt dies unter dem Gemäldetitel "Frau in Blau".

Essen (epd). Der expressionistische Maler Oskar Kokoschka wollte die verborgene Aura eines Menschen sichtbar machen, ihr Innerstes erkunden - und hat dabei schonungslos auch sein eigenes Seelenleben entblößt. Davon erzählen die Werke Kokoschkas (1886-1980) aus der Zeit seiner obsessiven und letztlich unerfüllten Liebe zu der Wiener Komponistin und Gastgeberin künstlerischer Salons, Alma Mahler (1879-1964). Das Essener Museum Folkwang stellt die künstlerischen Folgen von Kokoschkas Liebe ins Zentrum einer Ausstellung, die bis zum 22. Juni zu sehen ist.

Angefangen vom ersten Porträt in Wien im April 1912, wo er die Witwe des Dirigenten und Komponisten Gustav Mahler, kennenlernte und sich sofort verliebte, bis hin zu Bildnissen mit einer lebensgroß nachgebildeten Puppe der Angebeteten, die ihm nach drei Jahren den Laufpass gegeben hatte. Die „Frau in Blau“, eine Inszenierung der Puppe alias Alma, ist das berühmteste dieser Bilder.

Handbemalte Fächer als Weihnachtsgeschenk

Insgesamt 35 Exponate dieses Liebesdramas im Künstlermilieu von 1912 bis 1922 zeigt das Folkwang Museum in Essen. Unter dem Titel „Frau in Blau. Oskar Kokoschka und Alma Mahler“ zeichnet die thematisch eng begrenzte kleine Werkschau die Geschichte der beiden prominenten Figuren der Wiener Moderne nach. Erstmals seit mehr als 30 Jahren und vermutlich zum letzten Mal, wie Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter betont: „Viele der Werke sind fragil und werden nicht mehr ausgeliehen.“ Ein gut vier Meter langes Wandbild etwa, das über dem Kamin der Villa Mahler hing, 1988 erst wiederentdeckt wurde und heute in Privatbesitz in Österreich ist. Sehenswert auch sechs handbemalte Fächer, die Kokoschka seiner Geliebten jeweils zum Geburtstag und zu Weihnachten schenkte.

Ein Schlüsselwerk steuert die Sammlung Folkwang selbst zur Ausstellung bei, das sogenannte „Verlobungsbild“ von Mahler und Kokoschka aus den Anfängen ihrer Beziehung. Das Gros der Exponate jedoch sind Leihgaben aus Museen in New York, Tokio, Wien, Berlin, Stuttgart und Hamburg - große Kunst in zwei kleinen Räumen auf knapp 200 Quadratmetern. Sie sind unterteilt in zwei Werk- und Lebensphasen, die gemeinsame Zeit des Paares in Wien und die kreative Selbstinszenierung Kokoschkas mit der selbst entworfenen Alma-Puppe in Dresden nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg.

Mahler, Gropius, Werfel

Alma Mahler sei „eine der faszinierendsten und widersprüchlichsten Persönlichkeiten der Wiener Kunstszene“ gewesen, beschreibt Kuratorin Anna Brohm die Witwe des berühmten, 1911 gestorbenen Komponisten Gustav Mahler. Sie sei nicht nur Muse, sondern selbst auch Künstlerin gewesen. 1915 heiratete sie den Bauhaus-Architekten Walter Gropius, später dann den Dichter Franz Werfel. Passend dazu die Geschichte ihres Porträts, das Oskar Kokoschka anfertigte. Nach der Trennung von Kokoschka schenkte sie es dem Museum Folkwang, erbat es aber nach der Scheidung von Gropius vom Museum zurück und nahm es 1940 mit ins US-amerikanische Exil. „Jetzt ist es nach mehr als 100 Jahren erstmals wieder hier“, berichtet Gorschlüter. Eine Leihgabe aus Tokio.

Während der erste Raum der Ausstellung bis 1915 Kokoschka und Mahler vielfach als Liebespaar zeigt, oder zumindest Kokoschkas Träume davon, weichen die eher pastelligen Farben im zweiten Raum dunkleren, oft dick aufgetragenen Farbtönen. Kokoschka, ein Pionier des Expressionismus, bestellte bei der Münchner Kunsthandwerkerin Hermine Moos eine lebensgroße Puppe nach Almas Abbild. Auch Skizzen und Vorlagen dazu zeigt die Folkwang-Schau, ebenso wie Darstellungen mit der lebensgroßen Puppe - mal sorgfältig gekleidet, mal nackt und zerbrechlich im Arm eines besitzergreifenden Mannes.

Obsession

Ob diese „stille Frau“ eine Sexpuppe, geschickte künstlerische Inszenierung oder ein Fetisch war? Museumsleiter Gorschlüter hält die Pseudo-Alma ebenso wie andere Kunstexperten eher für einen wohl kalkulierten künstlerischen Mythos: „Heute würde man sagen: gutes Marketing.“ 1922 schließlich habe Kokoschka die Puppe bei einem Künstlerfest im Garten zerstört. Auf seinem farbenfrohen Selbstbildnis mit Staffelei von 1922 jedenfalls hat er seine Obsession offenbar überwunden, die Puppe ist nur noch eine Randerscheinung. Inspiration liefert sie jedoch immer noch. Ausgehend von Kokoschkas Skizzen hat der Schweizer Künstler Denis Savary 2007 mehrere Puppen nachgebildet, zwei von ihnen sind jetzt auch in der Folkwang-Schau zu sehen.

Begleitend zur dreimonatigen Dauer der Ausstellung „Frau in Blau“ findet in Essen zeitgleich ein Festival statt, das Alma Mahler-Werfel gewidmet ist: „Doppelbildnisse. Alma Mahler-Werfel im Spiegel der Wiener Moderne“. Darin beleuchten sechs Essener Kulturinstitutionen in einem breit gefächerten Programm mit Musikveranstaltungen und Symposien das Leben und Wirken der österreichischen Künstlerin.

Von Bettina von Clausewitz (epd)


Rosen und Ranunkeln neben Rubens und Cragg




"17 Farbreihen" von Nina Gehrke
epd-bild/Hans-Jürgen Bauer
Das Düsseldorfer Museum Kunstpalast greift das Thema "Blumen und Kunst" auf ungewohnte Weise auf. Hier prangen Rosen, Ranunkeln und Rittersporn nicht auf den Gemälden, sondern als eigenständige Kunstwerke zwischen Bildern und Skulpturen.

Düsseldorf (epd). Zum Frühlingsanfang grünt und blüht es am Düsseldorfer Kunstpalast nicht nur vor der Tür. Mit der Ausstellung „Palastblühen“ entfalten sich ab Freitag ungewöhnliche Blumenkreationen auch in den Museumsräumen. Bis zum 30. März sind insgesamt 28 florale Kunstwerke zu sehen, die Düsseldorfer Floristinnen und Floristen passend zu den Sammlungsräumen oder zu einzelnen Werken geschaffen haben. Mit „Leidenschaft, Hingabe und kreativer Könnerschaft“ hätten sie ihre Ideen umgesetzt und dabei witzige und intelligente Bezüge zu den Kunstobjekten hergestellt, lobte Generaldirektor Felix Krämer.

Beteiligt an der Ausstellung sind 13 Floristinnen und Floristen von acht Düsseldorfer Blumenhäusern. Sie entwickelten völlig unterschiedliche Arbeiten, die entlang des Rundgangs durch die Sammlungspräsentation zu entdecken sind. Jule Schnaugst vom Blumenhaus am Hofgarten lässt eine „Wolke“ aus Schleierkraut unter der Decke schweben. Alla Mandic von Nymph Blumen stellt eine Kollektion von blumigem Kopfschmuck aus Hortensien, Rosen und Gräsern vor. Nina Gehrke vom October First Studio präsentiert eine Ikebana-Komposition mit Frühlingszweigen und Orchideen vor einem Boro Kimono.

Dornenkranz aus Rosen- und Brombeerranken

Einige Kompositionen beziehen sich in Form und Farbe auf ein einzelnes Gemälde. So greift Victoria Bernds von der Blumenbinderei Lehmann in vier opulenten Gestecken mit Calla, Rittersporn, Tulpen, Lilien, Ranunkeln, Anthurien und vergoldeten Zweigen die Farben der roten, blauen, weißen und orangen Gewänder der Madonna und der Heiligen auf Giovanni Bellinis „Priuli Altarbild“ auf. Astrid Franke von der Tannendiele spiegelt die Farbe des prächtigen dunkelroten Kleides auf dem Gemälde „Sibylla Agrippina“ von Jan van den Hoecke in einem üppigen Arrangement mit Rosen, Gerbera und Anthurien, die von einem Dornenkranz aus Rosen- und Brombeerranken umgeben sind.

Andere florale Arbeiten dominieren den ganzen Raum, wie Manfred Hoffmanns sieben Meter langer aus Naturmaterialien wie Stroh, Moos, Blättern oder Wolle gewebter, genähter und gehäkelter sowie mit weißen Blüten verzierter Teppich, in den viele Überlegungen und Gedanken des Blumenkünstlers eingeflossen sind. Seine Arbeit verbinde verschiedenste Handwerkstechniken und Materialien, erinnere ebenso an einen Hochzeits- wie auch an einen Gebetsteppich und beziehe so auch verschiedene religiöse Traditionen ein, erläuterte Hoffmann, Chef im A la Casa del Fiore und Creative Cirector des Fachverbandes Deutscher Floristen.

Konzept aus den USA

Victor Breuer verbindet im Bronner-Saal die meterhohen Arbeiten von Peter Paul Rubens und El Anatsui mit einer eigenen Installation „Es bitten zu Tisch: Rubens, El Anatsui und Breuer“. Auf mehreren Tischen, umgeben von Stühlen und Bänken, präsentiert er unzählige Gefäße mit Anthurien, Mohn, Lilien, Anemonen und blühenden Zweigen, die die Farben und Kleinteiligkeit des aus zahllosen Kronkorken gefertigten „Earth Cloth“ von El Anatsui und von Rubens' „Mariä Himmelfahrt“ aufgreifen.

Michael Frings von der Tannendiele präsentiert hohe, mit Wasser gefüllte Glaszylinder mit Orchideen neben dem aus Plastikfundstücken bestehenden Wandmosaik „Der General“ von Tony Cragg und stellt so einen Verweis auf die Bedrohung der Schönheit der Natur durch Plastikmüll im Meer her. Unter der Videoinstallation „Fish flies on Sky“ von Nam June Paik hat Tino Hoogterp eine regelrechte Installation aus Aquarien und Blumen aufgebaut, deren Blüten unter Schwarzlicht leuchten, und mit dem Titel „Galchi Jorim“ versehen, der ein koreanisches Fischgericht bezeichnet.

Vergleichbare Ausstellungen fänden in den USA jährlich in mehreren Museen statt, darunter etwa im Saint Louis Art Museum oder im Museum of Fine Arts in Boston, hieß es. In Deutschland sei der Kunstpalast das erste Museum, das im vergangenen Jahr erstmals das Konzept verwirklichte, „Blumen und Kunst zusammen zu denken und zu bringen“, sagte Krämer. Zur ersten Auflage des neuntägigen „Palastblühens“ 2024 kamen nach seinen Worten 26.000 Besucherinnen und Besucher. Die Ausstellungsreihe soll in den kommenden Jahren fortgesetzt werden.

Von Esther Soth (epd)


documenta 16: Naomi Beckwith betont Respekt und Haltung des Teilens




Naomi Beckwith
epd-bild/Andreas Fischer

Kassel (epd). Die documenta 16 soll nach Darstellung der künstlerischen Leiterin Naomi Beckwith ein Ort der Begegnung und des gegenseitigen Respekts sein. Sie sei offen für Debatten und Diskussionen, vertrete aber einen Null-Toleranz-Standpunkt, wenn es um Rassismus, Antisemitismus und jegliche Form von Diskriminierung gehe, sagte Beckwith am 18. März in der Kasseler documenta-Halle. Die documenta 15 war von einem Skandal um antisemitische Bildmotive überschattet worden. Die nächste Weltkunstschau findet vom 12. Juni bis zum 19. September 2027 statt.

Vor rund 700 Gästen gab die US-Amerikanerin Beckwirth einen ersten Einblick in ihr kuratorisches Konzept für die Weltkunstausstellung. Zu ihrem persönlichen Verständnis von Menschenwürde führte sie aus, dass ihre Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern von einem tiefen gegenseitigen Respekt und einer Haltung des Teilens geprägt sein werde. „Unsere unterschiedlichen Identitäten betrachten wir als eine Stärke und nicht als Grund für Spaltung.“

„Aufregende Herausforderung“

Die documenta zu leiten, sei „eine der aufregendsten Herausforderungen, die ich mir vorstellen kann“, sagte die 49-Jährige. Im Sommer wird sie nach Kassel ziehen. „Ich freue mich schon sehr darauf, hier zu wohnen“, sagte sie. Sie spüre, wie sehr die documenta den Menschen dort am Herzen liege. Beckwith ist stellvertretende Direktorin und Chefkuratorin des Guggenheim Museums in New York.

Naomi Beckwith war im Dezember als künstlerische Leitung der documenta 16 vorgestellt worden. Die Vorstellung ihres kuratorischen Konzepts und eine Erklärung dazu, wie sie die Achtung der Menschenwürde unter Wahrung der Kunstfreiheit schützen will, sind Teil der Veränderungen bei der documenta nach dem Antisemitismus-Skandal der vergangenen documenta.



Klassik-Stiftung präsentiert den "Faust" in allen Facetten



Die Stiftung Weimarer Klassik widmet dem Hauptwerk Goethes ein ganzes Themenjahr. 250 Jahre nach der Ankunft des Dichters in Weimar sollen Ausstellungen und Bildungsangebote dem Publikum den "Faust" in all seinen Facetten nahebringen.

Weimar (epd). Mit der Präsentation des Themenjahrs „Faust“ ist die Klassik Stiftung Weimar am 20. März in die neue Saison gestartet. Die beiden Teile von Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) Zentralwerk seien in ihrer Gesamtheit eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur, sagte Stiftungspräsidentin Ulrike Lorenz. Es sei das passende Thema für die Erinnerung an die Ankunft des Universalgelehrten in Weimar vor 250 Jahren im November 1775.

Im Zentrum des Themenjahrs steht laut Kuratorin Petra Lutz die Eröffnung einer „Faust“-Ausstellung am 30. April. Der Fokus der Schau liege auf der Rezeptions- und Entstehungsgeschichte des Werkes. Erstmals ist auch das Original-Manuskript des „Faust II“ an ausgewählten Tagen öffentlich zu sehen. Umrahmt wird der Start in das Themenjahr in der Nacht zum 1. Mai mit einer Feier in die Walpurgisnacht vor dem Stadtschloss. Neben den Ausstellungen bietet die Stiftung für Schüler und junges Publikum verschiedene Seminare zu einzelnen Aspekten des Werkes an.

Bühnenbild von Oskar Schlemmer

Goethe begann die Arbeit am „Faust“ zwischen 1772 und 1775. Er fertigte zunächst verschiedene Fassungen, die 1806 in der Veröffentlichung des ersten Teils mündeten. Den zweiten Teil stellte er 1830 fertig.

Beginnen sollte das Themenjahr am 21. März mit der Eröffnung der Kabinettsausstellung „Nietzsche, Goethe, Faust“ im Nietzsche-Archiv. Gezeigt werden unter anderem Feldpostkarten von „Faust“ und „Also sprach Zarathustra“. Am 22. März lenkte die Stiftung den Blick auf eine fast vergessene Auftragsarbeit Oskar Schlemmers (1888-1943). Der Bauhauskünstler entwarf 1922 das Bühnenbild für das Stück „Don Juan und der Faust“ aus dem Jahr 1828 des Dramatikers Christian Dietrich Grabbe (1801-1836).

Abseits des Themenjahrs investiert die Stiftung 2025 erneut Millionensummen in den Gebäudebestand. So wird nach Angaben der Bauabteilung im Ostfügel des Stadtschlosses die 2018 begonnene Sanierung vermutlich Anfang 2026 abgeschlossen werden. Inzwischen sei der Schwammbefall in diesem Bereich beseitigt. Derzeit laufen in allen Etagen des Ostflügels der Innenausbau. Anschließend komme ab 2027 der Rest der Vierflügelanlage in die Kur.

Goethehaus am Frauenplan soll saniert werden

Für die im kommenden Jahr anstehende Sanierung des Goethehauses am Weimarer Frauenplan hofft die Stiftung nun auf Mittel aus dem vom Bundestag beschlossenen Sondervermögen „Infrastruktur“. Stiftungspräsidentin Lorenz befindet sich eigenen Angaben zufolge darüber aktuell in Gesprächen mit der Thüringer Landesregierung. Eine Entscheidung müsse in diesem Jahr fallen, sagte Lorenz. Anderenfalls werde die Zeit knapp, um zu den ursprünglichen Bauplanungen zurückzukehren.

Die Stiftung kalkulierte bis Mitte 2024 mit einer Bausumme von 35 Millionen Euro für die Sanierung des Goethehauses. Dann zog der Bund seine Finanzierungszusage überraschend zurück, sodass aktuell nur noch 18 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Diese Summe reiche aus, um die notwendigsten Arbeiten an dem Denkmal auszuführen, sagte Lorenz. Vorgesehene Verbesserungen in Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit seien mit den reduzierten Mitteln jedoch nicht umsetzbar.



Deutscher Hörbuchpreis geht an sieben Produktionen und Stimmen



Vorlesen in seiner schönsten Form: Der Deutsche Hörbuchpreis ehrt wieder die besten deutschsprachigen Produktionen und Leseleistungen. Die Jury zeichnete auch einen Podcast über Rechtsextremismus in Ostdeutschland aus.

Köln (epd). Die Schauspielerin Maria Wördemann und der Schauspieler Julian Horeyseck haben den Deutschen Hörbuchpreis 2025 erhalten. Auf einem Festakt am 18. März beim WDR in Köln erhielten sie zwei der insgesamt sieben Preise. Wördemann bekam die Auszeichnung als „Beste Interpretin“ für das Hörbuch zu „Xerox“ von der niederländischen Autorin Fien Veldman. Horeyseck wurde als „Bester Interpret“ für die Lesung des Romans „Leuchtfeuer“ von Dani Shapiro ausgezeichnet.

Wördemann treffe „immer den richtigen Ton“, lobte die Jury. Mit einer variantenreichen Stimme und rhythmischen Wechseln mache sie die Entwicklung und Gefühlswelt der Protagonistin von „Xerox“ erfahrbar. Horeyseck fessele und berühre die Zuhörenden mit seiner außergewöhnlichen Stimme und interpretiere den wendungsreichen Roman über Verlust und Veränderung „in Perfektion“.

Bestsellerautor mit Thrillerdebüt

In der Kategorie „Bestes Hörspiel“ wurde der Regisseur Florian Fischer für die Adaption von Fatma Aydemirs Roman „Dschinns“ geehrt. Die Jury würdigte die „subtile und kluge Inszenierung“ der Geschichte über eine deutsch-kurdische Familie. Der Preis für die „Beste Unterhaltung“ ging an den Bestsellerautor Marc-Uwe Kling für seine Lesung seines Thrillerdebüts „Views“. Er bringe das Entsetzen über gesellschaftlich destruktive Kräfte mit seiner eigenen Stimme überzeugend zum Ausdruck.

Die Auszeichnung für das „Beste Kinderhörbuch“ bekam der Schauspieler Nico-Alexander Wilhelm für seine Lesung des Fantasytitels „Royal Institute of Magic. Die Hüter der verborgenen Königreiche“ von Victor Kloss. Mit seiner „geheimnisvollen und mysteriösen Stimme“ ziehe Wilhelm in die Geschichte hinein, hieß es.

Zum „Besten Podcast“ wurde die zweite Staffel von „Springerstiefel“ gekürt. Hendrik Bolz und Don Pablo Mulemba gehen darin der Frage nach, wie es zum Wiederaufleben rechter Gewalt in ihrer ostdeutschen Heimat kam. Es gelinge ihnen, ein Gesprächsklima der Offenheit und des Vertrauens zu schaffen. Der Podcast mache Hoffnung, indem er „Narrative aufbreche, vielleicht sogar verändere“, lobte die Jury. Die Preise sind mit je 3.333 Euro dotiert

Mozarts Geniestreich noch heute „bestes Entertainement“

Der undotierte Preis für das „Besondere Hörbuch“ ging an „Opera re:told: Die Hochzeit des Figaro“ des Verlags Buchfink. Das „vergnügliche“ Hörbuch zeige, dass Mozarts Geniestreich aus dem 18. Jahrhundert noch heute „bestes Entertainment“ sei.

21 Produktionen waren für den Deutschen Hörbuchpreis 2025 nominiert. Die Auszeichnungen werden in diesem Jahr zum 23. Mal vom Verein Deutscher Hörbuchpreis verliehen. Die Preisverleihung ist Teil des Kölner Literaturfests lit.Cologne.



Journalisten sind besonders häufig mit Slapp-Klagen konfrontiert



Berlin (epd). Journalistinnen und Journalisten sehen sich laut einer Studie besonders häufig mit Einschüchterungsversuchen wie sogenannten Slapp-Klagen konfrontiert. Grundsätzlich verwenden mächtige Akteure vielfältige Strategien, um Einzelpersonen oder Kollektive von einer öffentlichen Beteiligung abzuhalten, heißt es in der Studie „Einschüchterung ist das Ziel - Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPPs) in Deutschland“, die von der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung herausgegeben und am 19. März in Berlin vorgestellt wurde.

„Slapp“ steht für das englische „Strategic Lawsuit against Public Participation“. Zugleich ist „Slap“ das englische Wort für „Ohrfeige, Schlag ins Gesicht“. Im Kern der Studie stand eine Online-Befragung, an der im September 2024 227 Personen teilnahmen. 116 Personen gaben an, eigene Erfahrungen mit Einschüchterungsversuchen gegen öffentliche Beteiligung zu haben, davon stammten 60 Prozent aus dem Journalismus. Neben der Berufsgruppe der Journalisten waren vor allem Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen betroffen.

„Problem für die Demokratie“

Gut 40 Prozent der Menschen, die Einschüchterungsversuche erfahren hatten, wurden selbst beklagt. Jedoch zeigt die Befragung, dass Slapps inhaltlich sehr heterogen sind und sich nicht nur auf eine Klageerhebung oder Klageandrohung vor Zivilgerichten beschränken. Sie umfassen auch einfache Kontaktaufnahmen, Forderungen von strafbewehrten Unterlassungserklärungen und die Einschaltung von Ermittlungsbehörden.

Slapps seien ein Problem für die Demokratie, heißt es in der Studie. Denn eine Demokratie sei auf zuverlässige Informationen, einen sachlichen Diskurs, kritische Beiträge und breite Partizipation angewiesen. Nach aktueller Rechtslage können die Gerichte in diesem Zusammenhang einer Instrumentalisierung wenig entgegensetzen. „Sie müssen grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Persönlichkeit, die Herkunft und die Leistungen der Prozessparteien über eine Klage entscheiden, es sei denn, diese Merkmale sind von rechtlicher Relevanz für die eingeklagten Ansprüche.“ Hier setze die Anti-Slapp-Richtlinie der Europäischen Union (EU) an.

Die Anti-Slapp-Richtlinie sieht vor, dass Betroffene von strategischen Klagen finanzielle Unterstützung, Rechtsbeistand und psychologische Hilfe bekommen. Ist eine Klage offensichtlich unbegründet, sollen Richter diese im frühestmöglichen Stadium des Verfahrens abweisen. Gerichte können bei Einschüchterungsklagen auch Strafen gegen die Kläger verhängen. Im März 2024 gaben die EU-Mitgliedsstaaten der Richtlinie grünes Licht; die Regierungen haben nun noch ein Jahr Zeit, sie in nationale Gesetze zu übertragen.



Filme der Woche



Beating Hearts

Voller Gefühl, Zärtlichkeit und inszenatorischer Phantasie erzählt Gilles Lellouche in seinem dritten Spielfilm die Liebesgeschichte von Jackie und Clotaire. Die beiden kommen aus unterschiedlichen Umfeldern: Sie aus bürgerlich-intellektuellem Hause, er aus der Banlieue in Lille. Lebendige Bilder des alltäglichen Lebens, das für Clotaire von Bandenkriminalität und Gewalt geprägt ist, geben dem Film eine einprägsame und realitätsnahe Wirkung. Die Beziehung der beiden fängt mit spöttischen, konfrontativen Bemerkungen an und entwickelt sich zu einer innigen, sanftmütigen Liebe. Eine tragische Wendung nimmt ihre Liebesgeschichte, als Clotaire für zehn Jahre ins Gefängnis muss. Nachdem er seine Strafe abgesessen hat, stellt er fest, dass Jackie mit einem anderen Mann verheiratet ist. Nun stellt sich die Frage, ob die beiden zu ihrer sinnlichen Liebe zurückfinden können.

Beating Hearts (Frankreich/ Belgien 2024). Regie und Buch: Gilles Lellouche. Buch: Gilles Lellouche, Audrey Diwan, Julie Lambroschini, Ahmed Hamidi. Mit: Adèle Exarchopoulos, Francois Civil, Malik Frikah, Mallory Wanecque, Alain Chabat. Länge: 166 Min.

Mond

Kurdwin Ayubs zweiter Spielfilm „Mond“ beeindruckt, wie schon ihr Debüt „Sonne“, durch Klarheit und Bodenständigkeit. Die Kampfsportlerin Sarah (Florentina Holzinger) weiß nach dem Ende ihrer erfolgreichen sportlichen Karriere nicht so richtig, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Als sie das Jobangebot bekommt, die Töchter einer reichen jordanischen Familie zu unterrichten, lässt sie sich in der Hoffnung auf einen Neustart darauf ein. Im Hotel in Amman angekommen, sind die Lebensumstände für sie zunächst traumhaft, es scheint hier an nichts zu fehlen. Doch der Schein trügt. Die Töchter, die sie trainiert, zeigen sich uninteressiert und unaufmerksam. Von der Außenwelt sind sie nahezu vollkommen abgeschnitten, sie leben in einem goldenen Käfig. Florentina kommen Zweifel an ihrem Auftrag, und es stellt sich die Frage, ob sie den unglücklichen Mädchen bei einem Ausbruchsversuch helfen sollte. Der Film hinterfragt auf umsichtige Weise Klischees wie das der weißen Retterfigur und wirft einen strengen, aber sachlichen Blick auf die unterschiedlichen Milieus.

Mond (Österreich 2024). Regie und Buch: Kurdwin Ayub. Mit: Florentina Holzinger, Andria Tayeh, Celina Antwan, Nagham Abu Baker. Länge: 93 Min.

I Like Movies

Der 17-jährige Lawrence (Isaiah Lehtinen) ist fest entschlossen, Regisseur zu werden. Sein größter Traum ist es, an der Tisch School of Arts in New York zu studieren. Eifrig arbeitet er auf sein Ziel hin: In seiner Freizeit dreht er Kurzfilme mit seinem besten Freund Matt (Percy Hynes White). Allerdings tut er sich schwer mit seinem Highschool-Abschluss-Video. Die Zeit reicht nie - schließlich hat er auch noch einen Brotjob in einer Videothek. Mit seiner arroganten und direkten Art verletzt er seine Freunde und sein gesamtes Umfeld, bis er allein dasteht und ihm bewusst wird, dass er ohne die Hilfe anderer nicht weit kommt. Ein schöner, genau beobachteter Coming-of-Age Film über einen jungen Mann, der lernen muss, Verantwortung zu übernehmen.

I Like Movies (Kanada 2022). Regie und Buch: Chandier Levack. Mit: Isaiah Lehtinen, Percy Hynes White, Anand Rajaram, Eden Cupid, Krista Bridges. Länge: 99 Min.

Funny Birds

„Funny Birds“ inszeniert einen Generationenclash zwischen drei Frauen auf einer urigen Hühnerfarm, zwischen Mutter Laura (Andrea Riseborough), ihrer Tochter Charlotte (Morgane Saylor) und Großmutter Solange (Catherine Deneuve). Charlotte hat wegen der Krebserkrankung ihrer Mutter ihr prestigeträchtiges Studium des Finanzwesens pausiert und ist auf ihren Hof zurückgekehrt, um sie zu pflegen. Als dann plötzlich Solange auftaucht, die sich nie um die Familie gekümmert und einiges „abzuarbeiten“ hat, müssen die drei ihr Zusammenleben organisieren. Zwar hangelt sich der Film an ziemlich vielen Klischees entlang, kann aber als putziges, sehr französisches Märchen durchgehen und hat als Plus Deneuve in ihrer Paraderolle als ältere, selbstbewusste Frau, die sich allen Regeln widersetzt.

Funny Birds (Frankreich/ Belgien/ Großbritannien 2024). Regie und Buch: Marco La Via, Hanna Ladoul. Mit: Catherine Deneuve, Andrea Riseborough, Morgan Saylor, Naima Hebrail Kidjo, John Robinson. Länge: 93 Min.

www.epd-film.de




Entwicklung

Kreuzfahrtschiffe und eine Straße durch den Regenwald



Zehntausende Menschen werden im November zur 30. Weltklimakonferenz in Belém erwartet - doch in der brasilianischen Amazonas-Metropole mangelt es an Unterkünften. Ausgerechnet klimaschädliche Kreuzfahrtschiffe sollen nun Abhilfe schaffen.

Berlin/Belém (epd). Bevor es um den weltweiten Klimaschutz geht, kommen die Bagger. Eine Schneise wird in den brasilianischen Regenwald geschlagen und der Lehmboden planiert. Die 13 Kilometer lange „Avenida Liberdade“ soll bis zur 30. UN-Klimakonferenz (COP 30) in der Amazonas-Metropole Belém fertig sein.

Die Straße soll die Teilnehmer im November schnell von einem zum anderen Ende der Stadt bringen. Jedoch verläuft ein Teil der vierspurigen Straße durch den geschützten Regenwald. Auch das Kongresszentrum für die zweiwöchige Zusammenkunft ist noch nicht fertig. Doch am meisten Kopfzerbrechen bereiten die fehlenden Unterkünfte. Zwar werden noch Hotels errichtet, doch ist unklar, wie die etwa 50.000 erwarteten Gäste untergebracht werden können.

Belém, die Hauptstadt des Amazonas-Bundesstaates Pará, ist rund acht Monate vor dem UN-Klimagipfel eine riesige Baustelle. Politiker versprechen eine „urbane Revolution“ und die Modernisierung der ganzen Stadt. Doch Anwohner und Umweltschützer sind skeptisch.

Bis zu 10.000 Euro für eine Wohnung - täglich

Die Millionenstadt verfügt über 24.000 Betten aller Standards. Es gibt aber nur drei Luxushotels, wo Staatsgäste untergebracht werden können. Die Vermietung von Zimmern und Wohnungen über eine Online-Plattform soll weitere rund 11.000 Betten bringen. Dort gibt es allerdings Ärger wegen der horrenden Preise. Umgerechnet bis zu 10.000 Euro pro Tag verlangen private Anbieter für eine Wohnung.

Außerdem will die Stadt während des Gipfels 17 Schulen in Hostels für rund 5.000 Delegierte umwandeln. Auch das Militär will Unterkünfte bereitstellen. Auf zentralen Plätzen sollen zudem klimatisierte Zelte aufgestellt werden. Die Regierung plant sogar, Kreuzfahrtschiffe in Outero, etwa 20 Kilometer von Belém entfernt, anlegen zu lassen - was bei Umweltschützern aufgrund der hohen Treibhausgasemissionen für Empörung sorgt.

Als Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva jüngst auf die fehlenden Unterkünfte angesprochen wurde, sagte er vor Journalisten, dass die Menschen im schlimmsten Fall „unter freiem Himmel unter den Sternen“ nächtigen müssten. Auf jeden Fall werde es der beste Umweltgipfel aller Zeiten. Erstmals werde nicht nur über den Amazonas gesprochen, sondern der Gipfel finde in dem Gebiet statt.

Lula versprach, dass alle Investitionen für den Gipfel nachhaltig und keine „Scheinlösungen“ seien. Rund 30 Bauprojekte mit einem Volumen von umgerechnet rund 210 Millionen Euro sollen bis November fertiggestellt werden.

Eine der ärmsten Großstädte Brasiliens

Dazu gehören auch Bauten für ein Abwassersystem. Denn Belém gehört zu den ärmsten Großstädten in Brasilien. Rund die Hälfte der rund 1,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner lebt in Armenvierteln. Etwa 80 Prozent der Häuser sind an kein Abwassersystem angeschlossen. Stattdessen gibt es offene, stinkende Kanäle mit dreckigem Wasser und Müllberge. Während der Regenzeit kommt es regelmäßig zu Überschwemmungen.

Trotzdem wollte Lula den Gipfel in Belém. Bei Amtsantritt vor rund zwei Jahren versprach er, die illegale Abholzung des Amazonas-Regenwalds, der für das Klimasystem eine entscheidende Rolle spielt, bis 2030 komplett zu stoppen. Unter seinem rechtsextremen Vorgänger Jair Bolsonaro (2019 bis 2023) war die Vernichtung des Regenwalds um etwa 70 Prozent gestiegen. Tatsächlich kann die Regierung unter Lula auf erste Erfolge verweisen. Im vergangenen Jahr ging die illegale Abholzung laut staatlichem Weltrauminstitut Inpe um etwa 30 Prozent zurück.

Fossile Projekte in der Amazonas-Region

Doch zugleich treibt Lula wie in seiner ersten Amtszeit (2003 - 2010) Megaprojekte in der Amazonas-Region voran. Er will die Erdöl- und Erdgasförderung ausweiten, auch im Mündungsbecken des Amazonas-Flusses. Von mehreren Milliarden Barrel ist die Rede. Zunächst verweigerte die brasilianische Umweltbehörde Ibama die Zustimmung aus Sorge, dass bei einem Leck die einzigartige Tier- und Pflanzenwelt vernichtet werden könnte. Doch auf Druck der Regierung gab die Behörde nach und erteilte eine Lizenz für die Bohrungen.

Einen Widerspruch zwischen der Förderung von fossilen Brennstoffen und den Klimazielen des Landes sieht Lula nicht. Bei seinem Besuch in Belém im Februar protestierten zahlreiche Umweltschützer gegen das Erdöl-Vorhaben. Sie passen nicht ins Bild des klimafreundlichen Gipfels, das Brasiliens Regierung gern ins Ausland sendet.

Von Susann Kreutzmann (epd)


Konflikt in Tigray: Die Angst vor einem neuen Krieg in Äthiopien



In der äthiopischen Tigray-Region arbeiten mehrere Konfliktparteien auf einen neuen Krieg hin - und setzen damit das erst Ende 2022 geschlossene Friedensabkommen aufs Spiel. Fachleute warnen sogar vor einem regionalen Krieg.

Nairobi, Addis Abeba (epd). Die Angst vor einem neuen Krieg in Tigray ist groß. Seit Monaten schwelt in der nordäthiopischen Region eine politische Krise. Nun ist sie eskaliert: Teile der paramilitärischen Verteidigungskräfte von Tigray (TDF) haben mehrere größere Städte in der Region eingenommen, die bisher unter Kontrolle der Übergangsregierung standen.

Auch den wichtigsten Radiosender in der Regionalhauptstadt Mekelle haben sie laut lokalen Medien unter ihre Kontrolle gebracht. Unter den Bewohnern Tigrays, wo die Infrastruktur nach einem verheerenden Krieg zwischen 2020 und 2022 zu großen Teilen noch zerstört ist, schlägt die Kriegsangst laut einem Bericht des Magazins „The Africa Report“ mit Sitz in Paris in blanke Panik um.

In dem Konflikt stehen sich die zwei Fraktionen der zerstrittenen - derzeit offiziell nicht als Partei anerkannten - Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) sowie der ebenfalls gespaltenen paramilitärischen Verteidigungskräfte von Tigray (TDF) gegenüber. Aber auch die äthiopische Regierung unter Ministerpräsident Abiy Ahmed sowie der Nachbarstaat Eritrea mischen mit.

Immer noch eine Million Vertriebene

Hintergrund für die aktuelle Krise sind die Folgen des verheerenden Bürgerkriegs in Tigray, durch den zwischen 2020 und 2022 nach Schätzungen bis zu 600.000 Menschen starben. Damals kämpften TPLF und TDF gegen die äthiopische Armee, die unter anderem von Truppen aus Eritrea unterstützt wurde. Der Krieg wurde zwar im November 2022 im südafrikanischen Pretoria durch ein Abkommen beendet, dessen schleppende Umsetzung aber zugleich ein entscheidender Grund für die jüngste Eskalation ist.

Weiter ungeklärt ist etwa der Status von fruchtbaren und landwirtschaftlich wertvollen Gebieten im Westen Tigrays, die während des Krieges von regionalen Truppen des benachbarten Bundesstaates Amhara erobert wurden. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) leben mehr als zwei Jahre nach Kriegsende immer noch rund eine Million Vertriebene unter ärmlichen Verhältnissen und in Ungewissheit über ihre Zukunft.

Kaum Fortschritte bei Demobilisierung

Auch bei der Demobilisierung und Wiedereingliederung von Kämpfern der TPLF in die Gesellschaft, was auch einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen soll, gibt es kaum Fortschritte. Ein großes Problem ist zudem, dass wichtige Gewaltakteure bei den Verhandlungen in Pretoria gefehlt haben. Nicht vertreten waren Repräsentanten des Nachbarlandes Eritrea und der Fano-Miliz, die mehrheitlich aus Mitgliedern der Volksgruppe Amhara besteht. Eritreas Präsident Isaias Afewerki soll damals mit dem Ende des Krieges nicht einverstanden gewesen sein: Er hätte die TPLF - einen alten Feind aus früheren Konflikten - gerne ein für alle Mal vernichtet.

Konkret stehen sich in Tigray nun die Parteiführung der TPLF um Debretsion Gebremichael und die von der Zentralregierung eingesetzte regionale Übergangsverwaltung TIRA gegenüber. Die Debretsion-Fraktion wirft der Übergangsverwaltung vor, eine Marionette der Zentralregierung zu sein. Das Lager rund um Debretsion will eine Abspaltung von Äthiopien, zur Not mit Gewalt.

Sorge vor Konfrontation zwischen Äthiopien und Eritrea

Bitter für die Bevölkerung ist, dass sich offenbar beide Seiten an Akteure von außen gewandt haben. Die TIRA-Führungsriege brachte mit öffentlichen Äußerungen eine mögliche Intervention der Zentralregierung in Addis Abeba ins Gespräch - den Feind aus dem jüngsten Krieg. Seinem Kontrahenten Debretsion wirft sie vor, sich an Eritrea gewandt zu haben, also ebenfalls einen früheren Kriegsfeind, dem noch dazu von Menschenrechtsorganisationen in dem Konflikt besonders schwere Verbrechen vorgeworfen werden.

Debretsion weist das zurück. Bemerkenswert ist jedoch, dass Eritrea nach Berichten lokaler Medien im Februar die Generalmobilmachung ausrief. In einer Analyse der US-amerikanischen Zeitschrift „Foreign Policy“ warnen einige Fachleute nun sogar davor, dass Tigray der Ausgangspunkt für eine viel größere Konfrontation zwischen Äthiopien und Eritrea werden könnte, die die gesamte Region erschüttern würde.

Von Bettina Rühl (epd)


Tuberkulose-Expertin: Kriege und Konflikte treiben Ausbreitung an




Röntgenbilder von Tuberkulose-Kranken im Tuberkulose Museum Heidelberg (Archivbild)
epd-bild/Heike Lyding

Frankfurt a.M. (epd). Der zuletzt beunruhigende Anstieg von Tuberkulose-Fällen dürfte nach Einschätzung der Gesundheitsexpertin Brit Häcker durch die Kriege und Konflikte in vielen Regionen der Welt weiter angetrieben werden. Schon nach den jüngsten Daten seien 10,8 Millionen Neuerkrankte und 1,25 Millionen Tote für das Jahr 2023 gemeldet worden, sagte die ärztliche Mitarbeiterin beim Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) dem Evangelischen Pressedienst (epd) zum Welt-Tuberkulose-Tag am 24. März. Ein Zusammenbruch von Gesundheitssystemen und katastrophale Bedingungen für die Bevölkerung inmitten von Kämpfen und Flucht ließen eine weitere Ausbreitung der Tuberkulose erwarten.

„Man braucht gute Diagnostik und gute Therapie, um die Krankheit zu erkennen und zu behandeln“, erklärte die Lungenfachärztin. „Das heißt, man braucht eine stabile Gesundheitsversorgung, aber Konflikte zerstören dieses Gefüge.“ Zudem übertrage sich der Tuberkulose-Erreger unter beengten und schlechten hygienischen Bedingungen leichter. „Und Menschen in einem schlechten Gesundheitszustand, wie oft in Konfliktregionen oder auf der Flucht, sind noch einmal anfälliger.“

Anstieg in der Ukraine

Der Zusammenhang zwischen Krieg und Tuberkulose sei am besten für die beiden Weltkriege dokumentiert. Doch auch in der Ukraine, die vor dem russischen Angriffskrieg ein sehr effektives Tuberkulose-Programm gehabt habe, sei schon ein Anstieg der Fälle zu beobachten.

Die Auswirkungen zeigten sich allerdings mit Verzögerung, erklärte die Expertin. Die zuletzt zunehmenden weltweiten Zahlen würden auf die Corona-Einschnitte zurückgeführt, die vor fünf Jahren begannen: Im Kampf gegen die Pandemie seien andere Gesundheitsprobleme in den Hintergrund gerückt, sagte Häcker. „Dabei ist auch Tuberkulose vernachlässigt worden und man sieht jetzt sozusagen einen Anstieg der Fallzahlen.“ Erkrankungen seien nicht oder zu spät gefunden, Behandlungen unterbrochen worden.

Monatelange Therapie

Doch eine wirksame Therapie braucht Zeit: Zur Behandlung der Tuberkulose muss eine Kombination aus Antibiotika zuverlässig für mindestens sechs Monate eingenommen werden, manchmal auch länger. Geschätzt ein Viertel der Weltbevölkerung trägt den Erreger in sich, bei etwa fünf Prozent der Menschen bricht die Krankheit aus. Meist sei dies ein bis zwei Jahre nach der Ansteckung, manchmal aber auch später, erklärte Häcker - „insbesondere wenn es eine Schwächung des Immunsystems gibt, die durch Versorgungsdefizite oder extremen Stress, wie sie in kriegerischen Auseinandersetzungen auftreten, verstärkt wird.“

epd-Gespräch: Silvia Vogt


Experten warnen vor neuer Aids-Epidemie nach US-Rückzug




Aids-Medikamente (Archiv)
epd-bild/Friedrich Stark

Berlin, Wien (epd). Deutsche und österreichische Gesundheitsorganisationen warnen vor einer neuen Aids-Epidemie nach dem weitgehenden Rückzug der USA aus internationalen HIV-/Aids-Programmen. „Es ist ein gravierender Verstoß gegen die Menschenrechte und ethisch wie epidemiologisch unverantwortlich, Menschen die lebensrettende Therapie vorzuenthalte“, kritisierte der Vorsitzende der Deutschen Aids-Gesellschaft, Stefan Esser, am 19. März vor einem Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses in Wien.

Die USA seien bislang der größte Geldgeber im globalen Kampf gegen HIV und Aids, heißt es in der gemeinsamen Mitteilung von deutscher und österreichischer Gesellschaft sowie anderen Organisationen weiter. Mit dem Auslaufen des US-Hilfsprogramms und dem angekündigten Rückzug der USA unter Präsident Donald Trump aus dem Aids-Programm der Vereinten Nationen, Unaids, stehe die Versorgung von Millionen Menschen auf dem Spiel. Zwar gibt es laut den Organisationen eine Ausnahmeregelung für lebensnotwendige Therapien, diese wirke aber nur bedingt. Viele Einrichtungen in stark von HIV betroffenen Ländern seien bereits geschlossen und Personal gekündigt worden.

Millionen Neu-Infektionen erwartet

Unaids rechne bis Ende 2029 mit rund neun Millionen neuen HIV-Infektionen, mehr als sechs Millionen Aids-Toten und etwa dreieinhalb Millionen Aids-Waisen, sollten die US-Mittel dauerhaft ausbleiben. Besonders gefährdet sind den Experten zufolge Menschen in stark betroffenen Regionen wie dem südlichen Afrika sowie gesellschaftliche Gruppen mit erschwertem Zugang zu medizinischer Versorgung. Dazu zählten junge Frauen, Männer, die Sex mit Männern haben, Transpersonen, Drogenkonsumierende oder Menschen in Haft.

Neben der deutschen und der österreichischen Aids-Gesellschaft beteiligten sich an dem Appell auch die Deutsche Aidshilfe, die Aids Hilfe Wien und das Aktionsbündnis gegen Aids. Sie fordern, dass wirtschaftlich starke Nationen wie Deutschland und Österreich führende Rollen im Kampf gegen die Immunschwäche-Krankheit übernehmen.



Oxfam: Klimakrise zerstört Lebensgrundlagen in Ost- und Südafrika



Berlin (epd). Die Hilfsorganisation Oxfam warnt anlässlich des Weltwassertages vor den Folgen von Wasserknappheit und Klimawandel in Ost- und Südafrika. Die Klimakrise zerstöre die Lebensgrundlage von Millionen Menschen, für die Regenwasser überlebensnotwendig sei, erklärte Oxfam-Referent Ludwig Gloger am 20. März in Berlin.

Die internationale Hilfsorganisation veröffentlichte einen Bericht zu den Folgen des Klimawandels für die Wasserversorgung und Ernährungsknappheit in acht Ländern in der Region, darunter Äthiopien, Kenia, Mosambik und Simbabwe. In Kenia etwa seien zwischen 1980 und 2020 mehr als 136.000 Quadratkilometer Land trockener geworden. In den untersuchten Ländern sind laut Angaben von Oxfam 91 Prozent der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern fast ausschließlich auf Regenwasser angewiesen.

Schutz von Gletschern

Zu den in dem Bericht erwähnten Ländern zählen auch Malawi, Somalia, der Südsudan und Sambia. Insgesamt fehle in den acht Ländern 116 Millionen Menschen der Zugang zu sauberem Trinkwasser, hieß es. Zugleich seien dort 55 Millionen Menschen von Hunger betroffen. Die Klima-, Wasser- und Ernährungskrise seien untrennbar miteinander verknüpft, sagte Oxfam-Referent Gloger und rief dazu auf, afrikanische Länder stärker bei der Bewältigung des Klimawandels zu unterstützen.

Der Weltwassertag wird seit mehr als 30 Jahren am 22. März begangen. Thematisch ist er in diesem Jahr dem Schutz von Gletschern gewidmet.




Termine

25.3. Evangelische Akademie Villigst

Online Nach der Pandemie ist vor der Pandemie - Lehren aus Corona Pandemie ohne (Pandemie-)Plan - Folgen für Kinder und Alte. Ein größeres Interesse daran, sich mit den Grundrechtseinschränkungen, den psycho-sozialen Folgen von Vereinzelung und Kontaktbeschränkungen bei Kindern und Jugendlichen zu beschäftigen, oder die Vereinsamung von Menschen in Pflegeeinrichtungen zu thematisieren, wäre wünschenswert.

27.3. Evangelische Akademie Bad Boll

Online Arbeit, Suffizienz und Politiken der Erschöpfung Die Debatten über eine öko-soziale Transformation zeigen oft die Spannung zwischen einer ökologischen Perspektive, die auf Suffizienz und weniger Konsum basiert und einer sozialen Politik, die eine Besserung der materiellen Position der Arbeiter*innen sichern will. Diese Spannung schwächt die politische Kraft einer Transformationspolitik, die eine breite Unterstützung der Bevölkerung benötigt. Ist es möglich, die Diskussionen auf einer neuen Grundlage zu führen, auf einer transökologische Perspektive, die Arbeiter*innen als Subjekte der gegenwärtigen Transformation miteinbezieht?

29.3. Evangelische Akademie Villigst

Online Nach der Afghanistan-Aufarbeitung: Schlussstrich oder neue Mitverantwortung Deutschlands? Eine neu gewählte Bundesregierung wird neben all den drängenden europäischen, transatlantischen und weltweiten Herausforderungen auch eine Antwort finden müssen auf die nach wie vor riesigen Probleme, vor die die Menschen in Afghanistan - insbesondere Frauen und Mädchen - durch die massiven Repressionen von Seiten der Taliban-Machthaber gestellt sind.