Berlin (epd). Die Nationale Armutskonferenz und die Diakonie Deutschland haben die Parteien in der Diskussion über die Zukunft des Sozialstaats vor Populismus gewarnt. Die Debatte über Armut und existenzsichernde Mindestleistungen sei in den vergangenen Monaten von Unsachlichkeit geprägt gewesen, sagte der Präsident der Diakonie Deutschland, Rüdiger Schuch, am 27. Januar in Berlin zur Vorstellung des „Schattenberichts - Armut in Deutschland“.

Darin wird unter anderem eine Ausgrenzung armer Menschen in politischen und gesellschaftlichen Debatten beklagt. Die Diskussion etwa über das Bürgergeld sei „geprägt durch die umfassende Diskriminierung von Betroffenen“, heißt es in dem Bericht: „In Armut lebenden Menschen wird unterstellt, sie seien faul und arbeitsunwillig.“ Schuch betonte, der „Schattenbericht“ solle der aufgeheizten Stimmung „eine klare und nüchterne Darstellung entgegensetzen“.

18 Millionen Menschen von Armut und Ausgrenzung bedroht

Demnach waren 2023 rund 5,7 Millionen Menschen in Deutschland „von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen“, heißt es unter Verweis auf Zahlen des Statistischen Bundesamts. Weitere zwölf Millionen Menschen waren armutsgefährdet. Insgesamt waren damit 17,7 Millionen Menschen - gut ein Fünftel der Gesamtbevölkerung - von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Marcel Fratzscher, forderte bei der Vorstellung des „Schattenberichts“ eine Umgestaltung der Sozialsysteme. Das beinhalte unter anderem eine Weiterentwicklung des Bürgergeldes, aber nicht dessen Abschaffung. Nötig sei ein „proaktiver Sozialstaat“. „Dieser versucht, Schäden zu verhindern“, etwa durch zusätzliche Qualifizierung von Menschen und eine bessere Gesundheitsvorsorge. Zu viele Sozialsysteme würden derzeit erst greifen, wenn Menschen krank und arbeitslos werden, sagte Fratzscher. Eine besondere Bedeutung komme der Bildung zu, um die soziale Mobilität im Land zu fördern.

Wegen Neuwahl kein Armutsbericht der Bundesregierung

Fratzscher erklärte mit Blick auf 1,7 Millionen offene Stellen in Deutschland, der Arbeitskräftemangel in Deutschland beinhalte ein Riesenpotenzial zur Bekämpfung der Armut und zur Entlastung der Sozialsysteme. Der „Schattenbericht“ versteht sich als Alternative zur Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung. Darin werden auch Erfahrungsberichte von Armutsbetroffenen aufgeführt. Die Bundesregierung hat wegen der Neuwahl des Bundestages am 23. Februar auf die Vorlage ihres Berichts verzichtet.

Laut dem „Schattenbericht“ bedeutet Armut: „Was für andere Menschen normal ist, steht nicht zur Verfügung.“ Als Beispiele werden etwa gesunde Ernährung und gute Kleidung genannt, „eine im Winter warme und im Sommer kühle Wohnung“, außerdem Medieninformationen, Online-Zugänge und Bildungsmöglichkeiten.

Die Nationale Armutskonferenz ist ein Bündnis von Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Selbsthilfeorganisationen, das sich für eine aktive Politik der Armutsbekämpfung einsetzt. Zu den Mitgliedsorganisationen zählen unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund, Caritas und Diakonie, die Arbeiterwohlfahrt und das Deutsche Kinderhilfswerk.