Frankfurt a.M. (epd). „Schriftsteller von Weltrang“ und „streitbarer Geist“: Der Tod von Martin Walser hat Betroffenheit und Trauer ausgelöst. Neben der Würdigung seiner literarischen Größe wurde auch an die bisweilen umstrittene Rolle in gesellschaftlichen Debatten des im Alter von 96 Jahren gestorbenen Autors erinnert.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte Walser einen „großartigen Menschen und einen Schriftsteller von Weltrang“. Sein Werk „umspannt mehr als sechs Jahrzehnte, und er hat die deutsche Literatur in dieser Zeit entscheidend geprägt“, betonte Steinmeier in einem Kondolenzschreiben.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb: „Seine Bücher haben Generationen gelesen.“ Walsers „Freude am Argument“ habe für viele lebhafte Debatten gesorgt. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) erklärte: „In seinen literarischen Werken hat er die bürgerlichen Fassaden des Nachkriegsdeutschland als hohlen Schein entlarvt und ist dem Seelenleben der Deutschen auf den Grund gegangen.“
Eklat bei Friedenspreis-Verleihung
Walser war nach Angaben des Rowohlt-Verlags am 28. Juli gestorben. Der Autor von Werken wie „Ein fliehendes Pferd“, „Ehen in Philippsburg“ oder „Dorle und Wolf“ bekam alle großen deutschen Literaturpreise und galt international als einer der Hauptvertreter der deutschen Literatur nach 1945.
Bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 sorgte Walser für einen Eklat, als er in seiner Dankesrede sagte, Auschwitz eigne sich nicht dafür, „Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung“. Der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, sprach daraufhin von „geistiger Brandstiftung“.
Vier Jahre später sorgte Walser für Diskussionen mit seinem Roman „Tod eines Kritikers“, der als eine Abrechnung mit dem Kritiker Marcel Reich-Ranicki gelesen wurde, die sich antisemitischer Klischees bedient. Politisch stand Walser, der 1927 in Wasserburg am Bodensee zur Welt kam, jahrzehntelang auf der linken Seite. So protestierte er in den 60er Jahren mit der Studentenbewegung gegen den Vietnamkrieg.
„Tiefgründiger Beobachter“
Staatsministerin Roth betonte, Walser habe sich nie mit der Rolle des beobachtenden Erzählers begnügt: „Er scheute auch nicht davor zurück, Position in gesellschaftlichen Debatten zu beziehen, auch mit der Lust zur Provokation.“ Seine Anmerkungen zum Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit 1998 hätten zu Recht heftigen Widerspruch ausgelöst.
Das Internationale Auschwitz Komitee betonte, Auschwitz sei „eine der großen Herausforderungen“ in Walsers Leben gewesen. „Trotz mancher Fehlinterpretationen und Missverständnisse bei öffentlichen Auftritten schulden wir ihm Dank für seine Liebe zum Leben und sein Anschreiben gegen die Vergesslichkeit der ewig Gestrigen und ihren Hass“.
Bundespräsident Steinmeier erklärte, Walser habe als „streitbarer und eigenwilliger politischer Geist“ weder Auseinandersetzungen noch Kritik gefürchtet. „Alle Versuche, Martin Walser in eine politische oder weltanschauliche Ideologie einordnen zu wollen, verkannten, was diesen Schriftsteller im Innersten antrieb: den eigenen Empfindungen so wahrhaftig wie möglich Ausdruck zu verleihen.“
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sprach von einem „scharfen, tiefgründigen, immer wieder auch streitbaren Beobachter und Kommentator“. Die tiefe Verbundenheit mit der Heimat habe Walser zeitlebens begleitet. Der Schriftsteller lebte bis zu seinem Tod in Nußdorf am Bodensee.
Der Rowohlt-Verlag erklärte, Walser habe „als Schriftsteller und Homo politicus über Jahrzehnte die deutsche Kultur geprägt“.