Eschede (epd). Heinrich Löwen sprach zum Auftakt mit leiser Stimme und ohne Mikrofon. Am Mahnmal mit den Kirschbäumen und der Inschriftenwand erinnerte er am Samstag in Eschede an das Zugunglück in dem niedersächsischen Ort vor 25 Jahren. Als eine „Zeitenwende“ bezeichnete der Sprecher der „Selbsthilfe Eschede“ die Katastrophe bei der Gedenkveranstaltung. „Seither ist unser Leben von diesem Unfall geprägt.“
Der heute 78-Jährige hat bei dem Unglück seine Frau Christl und Tochter Astrid verloren. Noch am Morgen des 3. Juni 1998 schien die Welt in Ordnung gewesen zu sein, erinnerte er sich. „Doch der ICE raste in die Katastrophe, er raste in den Tod.“ Zwischenzeitlich übertönten Züge seine Worte, die während der Gedenkstunde mit deutlich verminderter Geschwindigkeit vorbeifuhren. Seit dem Unglück sei nichts mehr wie vorher. „101 Menschen fehlen“, sagte Löwen. „Wir müssen es aushalten und ertragen, dass es so gekommen ist.“
Bischof Meister sprach Gebet
Bei dem Unglück am 3. Juni 1998 kamen 101 Menschen ums Leben. Mehr als 100 Menschen wurden verletzt, als der ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ auf seiner Fahrt von München nach Hamburg wegen eines gebrochenen Radreifens entgleiste und in Eschede mit hohem Tempo gegen eine Straßenbrücke prallte. Neben Löwens Beitrag leiteten Worte der Zugbegleiterin Angelique Koch ein stilles Gedenken ein - um 10.58 Uhr, dem Zeitpunkt, an dem sich vor 25 Jahren die ICE-Katastrophe ereignete. Kränze wurden niedergelegt und der hannoversche Landesbischof Ralf Meister sprach ein Gebet.
Lange Zeit war das Verhältnis zwischen der Bahn und den Hinterbliebenen und Überlebenden vom Ringen um Entschädigung und eine juristische Aufarbeitung angespannt. Erst 2013 hatte mit Rüdiger Grube erstmals ein Bahnvorstand um Entschuldigung gebeten, daran erinnerten Redner auf dem Brückenplateau oberhalb der Gedenkstätte.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sagte, unvermittelt seien vor 25 Jahren Menschen aus einem glücklichen, unbeschwerten Leben gerissen worden. „Es gibt kaum Worte für das Ausmaß, die Folgen und das Leid, das Opfer, Familien, Angehörige und Freunde dadurch erlitten haben.“ Das Unglück bleibe wie auch das vor einem Jahr in Garmisch-Partenkirchen eine Mahnung an alle Verantwortlichen, wachsam zu bleiben.
Wie bereits vor fünf Jahren erneuerte der amtierende Bahnchef Richard Lutz die Bitte um Entschuldigung noch einmal mit Nachdruck. Er spreche mit dem Gefühl großer Demut zu den Betroffenen, die darauf zu lange hätten warten müssen. Dass ein gemeinsames Gedenken möglich sei, sei alles andere als selbstverständlich. „Die Erinnerungen müssen extrem schmerzhaft für Sie sein“, sagte er. „Und sie werden es wohl auch immer bleiben.“ Auch für die Bahn bedeute die ICE-Katastrophe eine Zäsur. „Es gibt ein Davor und ein Danach.“
„Zeit heilt nicht alle Verletzungen“
Löwen sagte, Grubes Bitte um Entschuldigung sei ein großer Schritt hin zu einem Klima gewesen, das sich mittlerweile weiter verbessert habe. „Aber die Zeit heilt nicht alle Verletzungen.“ Auch die juristische Aufarbeitung sei eine Enttäuschung gewesen und habe den Betroffenen weiteren Schmerz zugefügt.
Die Präsidentin des Bayerischen Landtages Ilse Aigner (CSU) erinnerte daran, dass mehr als die Hälfte der Getöteten in Bayern in den Zug gestiegen waren. Niemand habe geahnt, dass der Abschied von ihnen dort für immer sein werde.
Viele Einsatzkräfte von Rettungsdiensten und Feuerwehr in Uniformen waren ebenso zu der Gedenkfeier gekommen wie Anwohner und Seelsorger. Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) sagte, der Ort Eschede stehe nicht nur für Leid, „sondern auch für in der Katastrophe gelebte Mitmenschlichkeit und spontane Solidarität“.
Fast 2.000 Helferinnen und Helfer waren nach dem Unglück in Eschede im Einsatz. Erstmals hatte es ein umfassendes Nachsorgeangebot für die Retter gegeben. Auch die Dorfgemeinschaft engagierte sich. Der Name Eschede sei zwar für immer mit dem Zugunglück verbunden, sagte Bürgermeister Heinrich Lange. Aber er trage keinen Makel.