Frankfurt a.M. (epd). Als der dreijährige Salomon Korn mit seinen Eltern und seinem Bruder Benjamin nach dem Krieg in ein Lager von Holocaust-Überlebenden kommt, wird der Widerspruch in ihm wach. Der am 4. Juni 1943 im polnischen Lublin Geborene soll in Berlin-Schlachtensee einen Kindergarten besuchen, schleicht aber jeden Tag heimlich zum Fußballkick auf die Wiese. Als der Vater nach einiger Zeit den Eigensinn bemerkt, setzt es die erste Tracht Prügel. Doch der Junge bleibt widerständig.
Über ein weiteres Lager in Frankfurt-Zeilsheim gelangt die Familie nach Frankfurt am Main und wird dort ansässig. Der neunjährige Salomon und sein Bruder Benjamin werden für ein Jahr auf ein strenges jüdisches Internat in die Schweiz geschickt. Das Verbot am Sabbat-Feiertag hielt ihn nicht davon ab, es einem Kameraden nachzutun und Steine in eine Pfütze zu werfen, wie Korn erzählt. Zur Strafe mussten sich die Jungen nackt ausziehen und in die Pfütze setzen. Der Schulkamerad habe gelacht und in der Pfütze herumgespritzt. „Da habe ich viel gelernt“, sagt Korn. „Man kann die Dinge auch anders sehen.“
Mit Anfang 20 setzt Korn seinen Studienwunsch gegen die zunächst erfolgte Ablehnung durch die TH Darmstadt durch und wird Architekt. 1975 übernimmt er die Leitung eines Immobilienunternehmens der Familie und baut es aus, bis er sie 2008 an seinen Sohn Daniel übergibt. Daneben wird er zu einem der prominentesten Vertreter des Judentums in Deutschland.
Wollte nicht an Spitze des Zentralrats
1986 wird Korn in den Vorstand der Jüdischen Gemeinde Frankfurt gewählt. Seit 1999 ist er als Nachfolger seines Mentors Ignatz Bubis Vorstandsvorsitzender und hat zahlreiche Ehrenämter inne. Zudem war er von 2003 bis 2014 Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, lehnte die Kandidatur für das Präsidentenamt aber ab. Er habe sich nicht den damit verbundenen Sicherheitsmaßnahmen unterwerfen wollen, begründet er.
Der Glaube ist ihm mit dem Zweifel verbunden. „Wie kann Gott allmächtig sein und die unzähligen Galaxien des Universums geschaffen haben und gleichzeitig die Anbetung von Menschen brauchen?“, fragt Korn. Dies sei ein Widerspruch. „Der Zweifel ist mir mit zum Wichtigsten geworden, was mich treibt“, bekennt er. „Zweifel und Widerspruch bringen uns voran.“ Darauf beruhe auch die Demokratie, fügt er dankbar an.
Als jugendlicher Kinogänger zeigte er den Wunsch, Gutes und Böses klar identifizieren zu können. Besonders gerne habe er Cowboyfilme gesehen: „Da war von vornherein klar, die weißen Hüte sind die Guten, die schwarzen Hüte die Bösen, und die Guten werden siegen.“ In der deutschen Gesellschaft sind die Fronten dagegen nicht so klar geschieden.
„Sehe Entwicklung des Judentums in Deutschland positiv“
Die Verwicklung in den Nationalsozialismus sei in vielen Familien totgeschwiegen worden, sagt Korn. Der Antisemitismus sei zunächst abgetaucht, komme aber in der dritten Generation wieder mehr ans Tageslicht. Der Antisemitismus sei dreister geworden, wie Studien zeigten. Persönlich habe er Judenfeindlichkeit nicht zu spüren bekommen - er oder seine Familienangehörigen seien nie bedroht worden, sagt Korn. Deshalb habe er auch nie erwogen, Deutschland zu verlassen.
Ein Leitmotiv in Korns Reden ist die Frage, ob Juden in Deutschland wieder heimisch werden. Bei der Eröffnung des von ihm geplanten Frankfurter Gemeindezentrums 1986 sagte er: „Wer ein Haus baut, will bleiben, und wer bleiben will, erhofft sich Sicherheit.“ Die Sicherheit von Juden ist fragil geblieben. 2016 spricht Korn von „wachsender Hoffnung und vorsichtigem Vertrauen in die Weiterentwicklung jüdischen Lebens in Deutschland“. Dabei hat er nicht nur die Bedrohung durch Judenfeindlichkeit im Blick, sondern auch die Überalterung der jüdischen Gemeinden.
Zurück blickt Korn zufrieden: „Ich sehe die Entwicklung des Judentums in Deutschland positiv.“ Mit sich selbst ist er im Reinen: „Ich wüsste nicht, was ich im Nachhinein anders machen würde.“
Korns Alltag ist gefüllt von den Anliegen seiner Familie, seiner Frau, den beiden Söhnen und der Tochter sowie den neun Enkelkindern. Auch pflegt er einen langjährigen Freundeskreis. „Wir leben in Mitteleuropa auf einer Insel der Seligen“, ist er überzeugt. „Ich bin dankbar, dass ich in einem Land lebe, in dem Frieden herrscht, das die Demokratie pflegt und Armut bekämpft.“