Hannover (epd). Zweimal wurde seine geplante Tournee wegen Corona verschoben, im Frühjahr 2022 soll es hoffentlich losgehen. Heinz Rudolf Kunze „muss raus auf die Straße“, wie es in einem seiner neueren Songs heißt. Seit 40 Jahren steht er auf der Bühne und ist aus der deutschsprachigen Rockszene nicht wegzudenken. Am 30. November feiert der Dichter, Sänger, Musiker, Übersetzer und Schriftsteller, der in der Nähe von Hannover lebt, seinen 65. Geburtstag.
Kunze gehört zu den produktivsten Vertretern seiner Zunft. Seit seinem Debüt „Reine Nervensache“ 1981 hat er insgesamt 46 Studioalben veröffentlicht. Mit „Dein ist mein ganzes Herz“ gelang ihm 1985 der Durchbruch, der ihn allerdings nicht dauerhaft in die musikalische „Champions League“ brachte, wie er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erzählt. Dafür habe er aber auch nichts mit „Abstiegskampf“ zu tun.
Oft sperrige Texte
Was ihn an der musikalischen „Champions League“ gereizt hätte? „Na, alles! Jeder Mensch, der Musik zum Beruf macht und sich in die Öffentlichkeit begibt, möchte ein Maximum an Resonanz und Erfolg.“ Das sei in seinem Fall allerdings nur schwer möglich, „wenn man vom Hörer relativ viel verlangt“.
Kunze, dessen Markenzeichen seine schwarze Brille ist, gilt als Intellektueller unter den Liederdichtern. Viele seiner Texte sind sperrig, provokant oder in ihrer Metaphorik schwer zu entschlüsseln. Er verehrt Bob Dylan, nicht erst, seit der den Nobelpreis für Literatur erhalten hat.
In diesen Tagen erscheint das neue Album „Werdegang“ des Rockpoeten Kunze, ein Best-of-Album, für das er junge Produzententeams gebeten hat, seine größten Hits neu zu interpretieren. Unter dem gleichen Titel hat er seine Autobiographie herausgebracht. Ist er mit seinem Werdegang im Reinen? „Was bleibt mir anderes übrig? Ich hatte nur diesen. Ich habe oft mit mir gehadert und ich glaube, ich bin immer mein eigener schärfster Kritiker gewesen.“
Gegen geschlechtergerechte Sprache
Durch seine scharfzüngigen Kommentare zu gesellschaftlichen und politischen Themen zieht der Musiker jedoch auch Kritik auf sich. Etwa, als er im Namen mehrerer Kollegen 1997 eine Quotenregelung für deutschsprachige Popmusik forderte - und dann allein die Prügel dafür einstecken musste. Aktuell macht er mit seiner Ablehnung einer geschlechtergerechten Sprache von sich reden, spricht von „Gender-Irrsinn“: „Auch ich halte viel von Toleranz und Respekt und Achtung vor anderen Lebensformen, aber ich kann das auch praktizieren, ohne zu gendern und damit die Sprache zu verunstalten“, sagt er.
Heinz Rudolf Kunze wird 1956 im ehemaligen Flüchtlingslager Espelkamp in Ost-Westfalen geboren und wächst in Osnabrück auf, seine Eltern kommen aus dem ostdeutschen Guben. Im Lied „Vertriebener“ greift er seine Herkunft auf („Ich hab nie kapiert, woher ich stamm“). Auch viele andere seiner Lieder tragen autobiografische Züge - für ihn seien die Alben immer Tagebuch-Ersatz gewesen.
Er studiert Germanistik und Philosophie, geht den Weg zum Gymnasiallehrer, wechselt aber noch im Referendariat den Beruf: 1980 nimmt er erfolgreich am Deutschen Pop-Nachwuchs-Festival in Würzburg teil. Das ebnet ihm den Weg zu einem Plattenvertrag. Seine Alben „Dein ist mein ganzes Herz“ (1985) und „Wunderkinder“ (1986) machen ihn bekannt. Zuvor waren bereits vier Studioalben und ein Live-Doppelalbum erschienen.
Libretto für „Les Misérables“
Auch als Musical-Übersetzer macht Kunze sich einen Namen. Er schreibt die deutschen Libretti unter anderem für „Les Misérables“ und „Miss Saigon“. In den Herrenhäuser Gärten in Hannover bringt er gemeinsam mit seinem langjährigen Gitarristen Heiner Lürig vier Shakespeare-Musicals auf die Bühne. Daneben schreibt er Prosa und ist seit einigen Jahren auch ab und an als Schauspieler in Fernseh-Nebenrollen zu sehen - etwa als kauziger Mordverdächtiger im „Tatort“. Der Vater von zwei Kindern ist seit 2009 in zweiter Ehe verheiratet.
Der Deutsche Evangelische Kirchentag beauftragt ihn mit einer Hymne für das Christentreffen 2005 in Hannover unter dem Motto „Wenn dein Kind dich morgen fragt“. Und im Jahr 2020, in der Hochphase der Pandemie, nimmt er gemeinsam mit dem Produzenten Dieter Falk und einem virtuellen Chor den Mut machenden Gospelsong „Zusammen“ auf.
Auf sein Verhältnis zur Kirche angesprochen, bezeichnet er sich selbst als „wohlwollende Karteileiche“. Zwei seiner besten Freunde seien Pastoren, deshalb könne er gar nicht aus der Kirche austreten. „Ich sympathisiere mit dem lieben Gott.“ In einem Lied von 2015 fordert er jedoch: „Jeder bete für sich allein“. „Für mich ist Religion eine ganz individuelle Angelegenheit. Ich glaube, wenn das jeder mit sich selber abmachen würde, gäbe es keine Kriege mehr auf der Welt.“