Berlin (epd). In einer Anhörung des Bundestags haben Sachverständige am 14. Oktober in Berlin Kritik am Rentenpaket II der Ampel-Koalition geübt. Der Ökonom Manfred Werding sieht jüngere Beschäftigte benachteiligt. Werding erklärte, alle Personen, die derzeit 46 Jahre oder jünger sind, würden durch höhere Rentenbeiträge und dadurch sinkende Nettoeinkommen stärker belastet als sie durch die Festschreibung des Rentenniveaus profitierten. Diese Belastungen seien bisher „verniedlicht“ worden, sagte Werding.
Sie bedeuteten eine Abkehr von der langjährigen Politik, die Lasten der Alterung der Gesellschaft auf Jüngere und Ältere möglichst gleichmäßig zu verteilen, erklärte Werding, der als Mitglied des Wirtschafts-Sachverständigenrats auch die Bundesregierung berät. Der Vertreter der Wirtschaft, Alexander Gunkel von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, sagte, die Politik nehme „einseitig Partei für die Generation der Rentner“ und belaste mit steigenden Rentenbeiträgen auch die Wirtschaft.
Der Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zum Rentenpaket II sieht vor, das Rentenniveau bis 2039 bei mindestens 48 Prozent und damit auf heutigem Niveau zu stabilisieren. Ohne die Reform würde es in den kommenden 15 Jahren auf 45 Prozent sinken. Das Rentenniveau beschreibt das Verhältnis einer Standardrente zum aktuellen Durchschnittseinkommen.
Heil erklärte anlässlich der Sachverständigen-Anhörung, alle Generationen müssten sich auf die gesetzliche Rente verlassen können: „Wenn wir jetzt nichts machen, werden künftige Rentner ärmer im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung.“
Mit der Reform will die Ampel-Koalition zugleich den Beitragsanstieg bremsen. Dafür soll die gesetzliche Rente ab Mitte der 2030er Jahre zusätzlich zu Beiträgen und Steuern über Kapitalmarkt-Erträge finanziert werden. Dafür nimmt der Staat Darlehen auf und legt ein sogenanntes Generationenkapital an. Laut Gesetzentwurf steigt der Beitrag dadurch bis zum Jahr 2045 auf 22,3 statt 22,7 Prozent. Heute beträgt er 18,5 Prozent des Bruttoeinkommens.
In der Anhörung übte der Wirtschaftswissenschaftler Axel Börsch-Supan deutliche Kritik am Reformplan. Er konzentriere sich einseitig auf die Leistungsstabilität auf Kosten der Generationengerechtigkeit. Die Festschreibung des Rentenniveaus werde aber langfristig kaum zu finanzieren sein, warnte er.
Greenpeace meldete Bedenken gegen die Anlagekriterien für das Generationenkapital an. Für die Umsetzung einer glaubwürdigen Nachhaltigkeitsstrategie brauche es Änderungen am Gesetzentwurf, erklärte die Umweltschutzorganisation. Konkret fürchtet Greenpeace, dass der geplante Staatsfonds auch Geld in Unternehmen investiert, die Umweltschäden oder Menschenrechtsverletzungen in Kauf nehmen. Die Umweltorganisation fordert, dass die Beachtung von Nachhaltigkeitsprinzipien im Rentengesetz als festes Kriterium neben Rendite, Sicherheit und Liquidität festgehalten wird, um solche Investitionen auszuschließen. Dafür setzen sich auch die Rentenpolitiker der grünen Bundestagsfraktion ein.
Peer Rosenthal von der Arbeitnehmerkammer Bremen begrüßte dagegen die Rentenpläne: Die langfristige Stabilisierung des Rentenniveaus sei eine zentrale Stellschraube und erneuere das Leistungsversprechen der gesetzlichen Rentenversicherung, gerade auch für die jüngere Generation.
Das Rentenpaket II wird derzeit im Parlament beraten. Überlagert werden die Beratungen von Differenzen innerhalb der Ampel-Koalition. Die FDP-Fraktion will der Vorlage nur zustimmen, wenn die Finanzierung der Renten aus Kapitalanlagen verstärkt wird.
Der Sozialverband VdK forderte die Ampel-Koalition auf, das Paket zügig zu verabschieden. Es könne das Vertrauen in die gesetzliche Rente wieder stärken, erklärte die Präsidentin Verena Bentele. Mehr als 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner könnten sich darauf verlassen, dass ihre Renten weiterhin so steigen würden wie die Löhne. Für die 58 Millionen jüngeren Versicherten bedeute die Reform stabile Renten und moderate Beitragssatzsteigerungen.
Das auch vom VdK kritisierte Generationenkapital sei neben den steuerfinanzierten Bundeszuschüssen eine weitere, wenn auch bescheidene Finanzquelle für die Rentenversicherung. „Es ist ein Zugeständnis an diejenigen, die mehr Kapitaldeckung fordern, aber es macht die gesetzliche Rente nicht komplett abhängig vom Auf und Ab der Aktienmärkte. Das ist ein tragfähiger Kompromiss für die Parteien der Ampel und das war bei seiner Vorstellung auch die Botschaft des Rentenpakets“, sagte Bentele.
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) rief die FDP auf, ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen und den Kompromiss in der Ampelkoalition nicht länger zu hintertreiben: „Die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent ist für Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mittleren Alters, die in den kommenden Jahren in Rente gehen, eine existenzielle Frage. Sie darf nicht länger Spielball bei der politischen Profilierung sein“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke in Berlin: „Einfach Wort zu halten und den Kompromiss zu akzeptieren, wäre stattdessen ein aktiver Beitrag gegen Politikverdrossenheit und weitere Radikalisierungstendenzen in der Gesellschaft.“