

Frankfurt a. M. (epd). Auf der Homepage und in Infoschriften der „Werkstatträte Deutschland“ ist die Hoffnung vieler behinderter Menschen in Werkstätten in leichte Sprache gefasst: „Menschen sollen von ihrem Geld leben können. Auch Menschen mit Behinderung und Erkrankungen. Jeder Mensch soll selbstbestimmt leben können. Oft müssen Menschen mit Behinderung ihr Konto offen zeigen. Das soll nicht mehr so sein.“ All diese Ziele, so der Dachverband der Interessenvertreter, ließen sich mit dem „Basisgeld“ verwirklichen. Doch ob und wann das so kommt, ist offen.
Denn das derzeitige Entgeltsystem der Bezahlung von Werkstattbeschäftigten muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die Reform dazu hat die Ampel auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Sie will ein „nachhaltiges, transparentes und zukunftsfähiges Entgeltsystem in Werkstätten schaffen“. Doch der Weg dahin ist lang.
Nach neuen Daten lag das durchschnittliche Entgelt der im Arbeitsbereich der Werkstätten Beschäftigten 2022 bei monatlich 224 Euro (inklusive 52 Euro Arbeitsförderungsgeld). Im Vergleich zum Jahr davor ist das Entgelt leicht gestiegen (2021: 212 Euro), so die Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM).
Das Entgelt setzt sich aus einem Grundbetrag und einem Steigerungsbetrag zusammen. Der Grundbetrag beträgt seit dem 1. August 2024 monatlich 133 Euro. Weitere Komponenten des Werkstattentgeltes sind das Arbeitsförderungsgeld und ein Zuschuss zur Altersrente.
Das Problem: Grundbetrag und Steigerungsbetrag werden aus dem Arbeitsergebnis der Werkstatt bezahlt, hängen also vom wirtschaftlichen Erfolg der Einrichtung ab. Die Werkstättenverordnung legt fest, dass Werkstätten mindestens 70 Prozent ihres Arbeitsergebnisses in Form von Entgelten an die Beschäftigten auszahlen müssen.
Mit der Reform der Bezahlung gehe es politisch voran, sagte eine Sprecherin von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). „Aktuell erarbeitet das Ministerium den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd): Ziel sei es, den Entwurf noch in dieser Legislaturperiode vorzulegen. Der solle auch Regelungen enthalten, „um das Entgeltsystem transparenter zu machen und die Arbeitsleistung der Werkstattbeschäftigten besser anzuerkennen.“
Geplant sei die Einführung eines „steuerfinanzierten Werkstattgeldes, auf das jede und jeder Werkstattbeschäftigte unabhängig von der individuellen Arbeitsleistung einen Anspruch haben soll.“ Zudem solle das Entgelt nicht mehr auf die Grundsicherung angerechnet werden.
Auf diesen Gesetzentwurf warten auch die „Werkstatträte Deutschland“ mit Spannung. Denn es stockt im vom Bundesarbeitsministerium im vergangenen Oktober begonnenen Dialogprozess zum Umbau der Bezahlung in Werkstätten. Ausgangspunkt war die vom Ministerium in Auftrag gegebene „Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“. In den Gesprächen knirschte es hörbar. Die dortigen Überlegungen für eine Entgeltreform entsprachen nicht den Vorstellungen der Werkstatträte. „Der Vorschlag zur Reform des Entgelts wurde Ende des Jahres 2023 vom Ministerium wieder zurückgezogen“, heißt es auf Anfrage. Seitdem gebe es keinen offiziellen neuen Anlauf, voranzukommen.
Und was erhoffen sich die Beschäftigten selbst? Auch das geht aus der Untersuchung hervor, die im September vergangenen Jahres vorgestellt wurde. „Sehr deutlich kritisieren viele Befragte das viel zu niedrige Entgeltniveau für ihre geleistete Arbeit, mit dem sie nicht einverstanden sind“, so die Autorinnen und Autoren. Gewünscht und gefordert werde eine klare, deutliche Erhöhung des derzeit geltenden Entgelts, teilweise auf Mindestlohnniveau, teilweise auch darunter - sofern die Anhebung jedenfalls so hoch ausfällt, dass Anerkennung und Wertschätzung ihrer Arbeit daraus erkennbar werden.
Darüber hinaus müsste die Entgeltreform den Befragten zufolge so gestaltet werden, dass möglichst keine anderen Sozialleistungen mehr erforderlich sind. Und: „Schließlich sollte das künftige Entgeltsystem auch nachvollziehbar und verlässlich sein. So betonen vor allem Werkstatträte und Frauenbeauftragte, dass das monatliche Entgelt konstant und ohne Schwankungen bleiben sollte.“
Mindestlohn - auch diese Variante wurde in der Studie untersucht - wird in den Werkstätten nicht bezahlt. Denn bei diesen Tätigkeiten handelt es sich um ein sogenanntes arbeitnehmerähnliches Beschäftigungsverhältnis. Die Beschäftigten sind keine Arbeitnehmer im klassischen Sinn. Eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung sei kein herkömmlicher Betrieb, erläutert die Lebenshilfe. „Hier werden Menschen beschäftigt, für die der allgemeine Arbeitsmarkt nicht zugänglich ist. Menschen sollen auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereitet werden“, heißt es auf der Homepage.
Auch die BAG WfbM betont, dass die Tätigkeit mit einem Vollzeit-Arbeitsplatz in einem Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht direkt vergleichbar ist. „Werkstätten sind keine Erwerbsbetriebe. Nicht das wirtschaftliche Ergebnis steht bei der Werkstattleistung im Vordergrund, sondern die berufliche Entwicklung durch individuell angepasste Arbeit und Beschäftigung sowie arbeitsbegleitende Maßnahmen“, sagt Geschäftsführerin Kathrin Völker dem Evangelischen Pressedienst (epd). Und sie ergänzt: „Sie haben alle Schutzrechte von Arbeitnehmern, aber nicht deren Pflichten. So haben sie zum Beispiel Anspruch auf Urlaub, Mutterschutz oder das Recht auf Teilzeit. Sie können jedoch nicht gekündigt oder abgemahnt werden, und sie haben keine Leistungsverpflichtung, wie es sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt.“
Weiter sagte die Geschäftsführerin: „Der alleinige Ruf nach Einführung des Mindestlohns in Werkstätten greift zu kurz, um eine umfassende Verbesserung der Einkommenssituation von Werkstattbeschäftigten zu bewirken.“ Vielmehr müsse eine detaillierte Betrachtung der geltenden Regelungen in den Sozialgesetzbüchern erfolgen, um ein zukunftsfähiges Entgeltsystem für alle Werkstattbeschäftigen zu schaffen.
Auch Wilfried Oellers, Behindertenbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, betont, dass das Arbeitsumfeld in den Werkstätten „ein ganz anderes als in der freien Wirtschaft ist, auch die Anforderungen sind völlig anders“. Das spreche dagegen, den Betroffenen einen Mindestlohn zu zahlen. Und: Ein Mindestlohn in Werkstätten mindere die Anreize der Betroffenen, auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln.
Er schlägt vor, das staatlich finanzierte Arbeitsförderungsgeld, das Werkstattbeschäftigte schon jetzt neben dem Grund- und Steigerungsbetrag ohne Anrechnung auf Sozialleistungen erhalten, als stabile Größe des Werkstattlohns zu stärken. Er könne sich vorstellen, „das Arbeitsförderungsgeld noch um einen pauschalen Betrag einmalig zu erhöhen“, sagte er dem epd. Weiterhin sollte es keine Deckelung mehr geben, wenn Grund- und Steigerungsbetrag sowie Arbeitsförderungsgeld zusammen den Betrag von 351 Euro überschreiten.
Dazu sagt die BAG WfbM: „Der Ansatz stellt einen Schritt zur Verbesserung der Einkommenssituation der Werkstattbeschäftigten dar. Allerdings wird auch hiermit die Forderung nach einem existenzsichernden Einkommen für Werkstattbeschäftigte nicht erfüllt.“
Das aber müsse das Kernziel aller Reformen sein, so Werkstatträte Deutschland. Dazu habe man schon 2019 das „Basisgeld zur Gleichstellung dauerhaft voll erwerbsgeminderter Menschen“ entwickelt. Es soll 70 Prozent des Durchschnittslohns betragen. Vorteil dieses Konzepts: Werkstattbeschäftigte müssen dann nicht mehr vor Ämtern ihre Konten offenlegen. Sie erhalten genug Geld, um davon leben zu können - und werden frei von der Grundsicherung. „Das Basisgeld soll ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Das Basisgeld zur Gleichstellung dauerhaft voll erwerbsgeminderter Menschen bringt vielen Menschen nicht nur etwas mehr Geld ins Portmonee, sondern gibt ihnen auch das gute Gefühl, respektierter Teil der Gesellschaft zu sein“, heißt es in einem Positionspapier dazu.
„Nach wie vor sehen wir das Basisgeld als eine gerechte und angemessene Bezahlung von Werkstattbeschäftigten an“, sagte Koordinatorin Katrin Rosenbaum dem epd. Diese Form der Bezahlung sei in der Entgeltstudie „in mehreren Teilen als gut befunden worden“. Aber: Es käme teurer „als die anderen untersuchten Vorschlägen wie etwa der Mindestlohn“.