Hannover (epd). Margot Käßmann beobachtet die Debatte um Migration und Asyl mit Sorge. „Mit dem aktuellen verbalen Überbietungswettbewerb von 'Wir zeigen jetzt aber mal volle Härte gegenüber Migranten' erfüllt sich, was Alexander Gauland prophezeit hat: Die etablierten Parteien lassen sich von der AfD jagen“, sagte die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und frühere hannoversche Landesbischöfin dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Ich wünsche mir, dass Vernunft, Rechtsstaatsbewusstsein und auch Empathie wieder Teil der Debatte werden.“
„Es geht um Menschen“, betonte Käßmann. „Und wenn so gern immer wieder von westlichen Werten die Rede ist, gehören Menschenrechte, Menschenwürde, christlich gesagt: Nächstenliebe auf jeden Fall dazu.“ In die Debatte gehöre auch die Erkenntnis, dass viele der Eingewanderten längst ein gut integrierter Teil der Gesellschaft seien. „Sie fühlen sich durch die Diskussion der letzten Wochen diffamiert und ausgegrenzt. So entsteht kein Gewebe, das unser Land zusammenhält.“
Der Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz und Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen, Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, nannte die Debatte einen „Überbietungswettbewerb asylrechtlicher Verschärfungen“, der niemandem helfe. Durch emotionalisierte Zuspitzungen und den Ruf nach vermeintlich einfachen Lösungen werde eine gefährliche Dynamik in Gang gesetzt, sagte Heße: „Ängste werden geschürt, unerfüllbare Erwartungen geweckt - und auf diese Weise droht die demokratische und rechtsstaatliche Kultur unseres Landes Schaden zu nehmen.“ Rechtsstaatliche Grundsätze und internationale Verpflichtungen seien ein hohes Gut. Es gelte, durch sachliche Politik zu überzeugen, indem man etwa die Kommunen wirksam unterstütze, bestehende Hürden auf dem Weg zu gelingender Integration abbaue und bürokratische Verfahren vereinfache. Sicherheit und Flüchtlingsschutz seien keine Gegensätze, sondern gehörten zusammen.
Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbands, Eva Maria Welskop-Deffaa, sieht in den hohen Zustimmungswerten zu Positionen der AfD den Versuch vieler Menschen, sich gegen Überforderungen abzuschotten. Welskop-Deffaa sagte beim Jahresempfang ihres Verbandes am 9. September in Berlin, bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hätten sich viele Bürgerinnen und Bürger „gegen die Zumutungen gestellt, die Demokratie, Pluralität und Globalisierung unvermeidlich mit sich bringen“. Mit Abschottung könne aber niemand sein privates Glück verteidigen, warnte die Caritas-Präsidentin.
Der Ratsvorsitzende der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, Thomas Adomeit, sagte dem epd, er könne verstehen, wenn Bürger angesichts zahlreicher Krisen und Herausforderungen verunsichert seien. Auch die Aufnahme von Geflüchteten sei eine große Herausforderung. Er glaube jedoch nicht, dass sich durch eine Verschärfung von Maßnahmen, von denen nicht klar sei, ob sie überhaupt wirkten, die Stimmung in der Gesellschaft verändern lasse, sagte der Oldenburger Bischof: „Schicksale und Härten von Menschen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.“
Der Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Flüchtlingsfragen, Christian Stäblein, appellierte derweil, in der erhitzten Debatte nicht den Flüchtlingsschutz grundsätzlich infrage zu stellen. „Wir brauchen jetzt wohlüberlegte und zielgerichtete Maßnahmen“, sagte der Berliner Bischof dem epd. Dazu zählten beispielsweise mehr Ressourcen für die Sicherheitsbehörden und verstärkte Extremismusprävention. „Denn Terrorismus und religiöse Fanatiker bekämpft man nicht, indem man den Flüchtlingsschutz schwächt und Gruppen unter Generalverdacht stellt“, sagte er.