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Berlin (epd). Ein knallrotes Telefon schrillt unablässig, es schüttelt sich im Dauerbetrieb, der Hörer bleibt nicht mehr auf der Gabel. Daneben steht auf der Homepage „beianrufsorry.de“ in fetten schwarzen Buchstaben die deprimierende Nachricht „In den letzten 24 Stunden musste jedes Pflegeheim und jeder ambulante Dienst durchschnittlich dreimal 'Sorry' sagen und Versorgungsfragen ablehnen“ (Stand: 18. Juli).
Die Folge: Pflegebedürftige und ihre Familien bleiben mit ihrer herausfordernden Situation alleine. Oder sie müssen zumindest lange suchen, bis sie und ihre Angehörigen versorgt sind. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) und der Verein „wir pflegen“ machen mit ihrer Kampagne „Bei Anruf Sorry“ darauf aufmerksam, wie sich der allgegenwärtige Mangel im Pflegesektor auswirkt.
Weiter unten auf der Homepage beschreiben Betroffene ihre Nöte. Oft sind es verzweifelte Rufe, geboren aus Hilflosigkeit, Wut und Überforderung. „Seit März '24 habe ich einen Pflegedienst, der mein Kind morgens wäscht und anzieht“, schreibt Frau K. aus Niedersachsen. „Es fehlen jedoch Kräfte, die tagsüber stundenweise die Betreuung übernehmen. Ich habe über 2,5 Jahre gesucht, alle Pflegedienste in der Stadt und im Umkreis angerufen und mich auf die Wartelisten setzen lassen. Absagen wie Personalmangel und keine Kapazitäten waren Standard.“
Ziel der Aktion ist es zu zeigen, wie schwer es für Pflegebedürftige und deren Angehörige inzwischen geworden ist, eine ambulante Versorgung, einen Tagespflegeplatz oder einen Heimplatz zu finden.
„Wir haben uns mit dem bpa zusammengetan und die Kampagne 'Bei Anruf Sorry' gestartet, um den akuten Versorgungsmangel sichtbar zu machen und die Politik zum Handeln zu bewegen“, sagt Notburga Ott, Vorstandsmitglied bei „wir pflegen“, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Pflegeeinrichtungen sowie Dienstleister wollten helfen, könnten aber nicht, weil das Personal fehle. „Um die Versorgung von Pflegebedürftigen unabhängig von ihrem Pflegegrad und die Unterstützung der pflegenden Angehörigen zu sichern, fordern wir schnell wirksame Schritte zur Personalsicherung und zur Leistungsabsicherung für die Betroffenen.“
Ott kritisiert den jüngst veröffentlichten Bericht der Bundesregierung für eine „Zukunftssichere Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung“. Der gehe auf die Problematik des fehlenden Pflegeangebots nicht ein. „Hier werden Szenarien betrachtet, die allesamt unterstellen, dass es ein hinreichendes Angebot an stationären und ambulanten Angeboten gibt und alle notwendigen Pflegeleistungen dadurch abgedeckt sind“, so Ott. Das sei jedoch weder heute der Fall, noch werde es in absehbarer Zukunft nur annähernd möglich sein. „Damit bleibt die Last heute und in den nächsten Jahren bei den pflegenden Angehörigen. Diese werden in den Zukunftsszenarien des Berichts nicht betrachtet.“
Für den bpa sagt Präsident Bernd Meurer dem epd: „Mit unserer Kampagne zeigen wir, wie häufig Pflegeeinrichtungen inzwischen Versorgungsanfragen ablehnen müssen, weil das Personal fehlt und Refinanzierungen unklar sind.“ Doch man wolle auch die andere Seite sichtbar machen: „Die fehlende professionelle Unterstützung setzt betroffene Familien inzwischen massiv unter Druck.“
Neben der Diskussion um die Finanzierung der Pflegeversicherung brauche man wirksame Sofortmaßnahmen, um die Situation der Einrichtungen und der Pflegebedürftigen zu entspannen. Meurer nennt unter anderem die Befreiung der Pflegeversicherung von versicherungsfremden Leistungen, die Anpassung und Dynamisierung der Leistung für Pflegebedürftige sowie die Einführung einer Kompetenzvermutung für internationale Kräfte, die fachlich ausgebildet nach Deutschland kämen und bisher ihre Qualifikation in langwierigen Verfahren nachweisen müssen. Auch regt Meurer ein Überdenken der Ausbildung in der Pflege sowie eine realistische Gestaltung des Personaleinsatzes in Heimen an.
Nach seinen Worten sollen im Zuge der Kampagne die Daten zu Absagen bis Ende Juli gesammelt und dann ausgewertet werden. Denn, so heißt es auf der Homepage: „Jedes #Sorry' ist ein 'Sorry' zu viel.“