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Ruhestand

Silver Worker: Im Alter aktiv gegen den Fachkräftemangel




Martin Röttger in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Klinikums Nürnberg
epd-bild/Stefanie Unbehauen
Der Fachkräftemangel weitet sich aus und hemmt die Wirtschaft. Ältere Arbeitnehmer, die nach ihrer Verrentung zumindest in Teilzeit für ihr Unternehmen weiterarbeiten, können die Lücke ein wenig kleiner machen. Von zwei 66-Jährigen, die einfach im Job bleiben.

Frankfurt a. M. (epd). 40 Jahre lang hat Martin Röttinger als Krankenpfleger gearbeitet. Doch auch nach seinem Renteneintritt für besonders langjährig Versicherte im März 2023 blieb der 66-Jährige weiter in seinem Beruf tätig. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Klinikums Nürnberg arbeitet er nun an zweieinhalb Tagen im Monat als geringfügig Beschäftigter. „Mir macht die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen viel Spaß. Es ist sehr lebhaft“, sagt er. Außerdem gefalle ihm das gemeinsame Arbeiten im Team.

Bereits seit 1982 arbeitet der gebürtige Nürnberger auf dieser Station. Hier sind Kinder zwischen 6 und 18 Jahren mit psychischen Problemen untergebracht. „Von ADHS über Essstörungen und Depressionen bis hin zu Persönlichkeitsstörungen ist hier alles vertreten. Das kann sehr herausfordernd sein, aber am Ende bleiben es dennoch Kinder und Jugendliche, die einfach Hilfe brauchen“, sagt Röttinger. Nach dem Renteneintritt weiterzuarbeiten, lohne sich für ihn nicht nur finanziell. „Es hilft auch dabei, den Übergang in den Ruhestand zu schaffen. Dadurch ist das weniger abrupt.“

Klinikum bietet verschiedene Jobmodelle

Für das Klinikum Nürnberg mit rund 2.800 Beschäftigten im Pflegedienst ist Röttinger eine große Unterstützung. „Es kommt immer wieder vor, dass Arbeitnehmer aus freien Stücken als Rentner weiterarbeiten möchten. Hierfür bietet unser Personalmanagement verschiedene Beschäftigungsmodelle an“, sagt Isabel Lauer, Sprecherin der Klinik.

Viele ältere Arbeitnehmer, die sogenannten Silver Worker, wollen länger arbeiten. Jürgen Deller von der Leuphana Universität Lüneburg sieht dafür mehrere Motive. „Zunächst einmal hat Arbeit für viele Menschen eine sehr große Bedeutung, weil sie durch Arbeit merken, dass sie etwas verändern und bewirken können“, sagte der Wirtschaftspsychologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch soziale Kontakte spielten eine wichtige Rolle. „Viele Menschen sind im Alter einsam, besonders wenn sie keinen Ehepartner oder Enkelkinder haben“, sagt Deller, der seit 15 Jahren zum Phänomen „Silver Worker“ forscht.

Arbeit ist auch Taktgeber im Alltag

Zudem diene Erwerbsarbeit als Taktgeber. „Sie strukturiert den Alltag, bietet einen Grund, morgens aufzustehen.“ Geld sei für die meisten nicht der treibende Faktor. Aber: „Es gibt durchaus Rentner, die sich durch Arbeit etwas hinzuverdienen wollen.“

Der Begriff Silver Worker ist nicht einheitlich definiert. Manche Experten benutzen den Begriff für Menschen ab 60 Jahren, die bereits in Rente gehen können. Manche Experten definieren Arbeitnehmer ab 55 Jahren als Silver Worker.

Arbeitgeber können laut Deller durch den Einsatz von Silver Workern profitieren. „Ältere Mitarbeiter haben vieles erlebt, wie etwa Umstrukturierungen und betriebliche Herausforderungen. Sie sind also oft resilienter und gelassener als jüngere Mitarbeiter“, sagt der Wirtschaftspsychologe. Gerade mit Hinblick auf den derzeit in vielen Branchen bestehenden Fachkräftemangel sei es ein großer Vorteil für Unternehmen, auf motivierte, erfahrene Arbeitskräfte zurückgreifen zu können. Hierfür sollten Führungskräfte bereits ein bis zwei Jahre vor Eintritt des Ruhestands das Gespräch mit ihrem Mitarbeiter suchen. „Viele Führungskräfte nutzen diese Chance nicht“, sagt der Lüneburger Professor.

Politik kann Bedingungen attraktiver machen

Auch die Politik sieht Deller in der Verantwortung: „Sie kann die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, zum Beispiel, indem Arbeit neben der Rente teilweise steuerfrei wird.“ Wenn das Potenzial älterer Arbeitnehmer genutzt werde, entstünden Vorteile: mehr Wohlstand, mehr Steuern, mehr Fachkräfte. „Davon profitiert die gesamte Gesellschaft“, sagt Deller.

Ulrich Kreßel ist seit 1. Mai 2024 im Ruhestand. Eigentlich. Denn der 66-Jährige bleibt seinem Unternehmen erhalten. „Bei uns gibt es die Möglichkeit, ein Jahr lang nach Renteneintritt zwei Tage die Woche weiterzuarbeiten“, sagt er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Ingenieur nahm das Angebot an. „Damit ist der Übergang von Vollzeitarbeit zum Ruhestand etwas einfacher. Ich arbeite einfach gerne.“

Seit 1998 arbeitet Kreßel bei Mercedes-Benz in Sindelfingen. Die Idee, nach Renteneintritt weiterzuarbeiten, kam von ihm selbst. „Das erfolgte in Absprache mit meinem Chef. Ich betreue öffentlich geförderte Projekte. Das lässt sich an zwei Tagen in der Woche gut umsetzen.“ Was ihm an seiner Arbeit besonders gefalle? „Es sind der Umgang mit den Kollegen und die Aufgaben selbst, die mir Freude bereiten.“

Stefanie Unbehauen


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