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Ruhestand

Interview

Psychologe: Arbeitende Rentner sind ein Gewinn für Unternehmen




Jürgen Deller
epd-bild/Brinkhoff-Mögenburg/Leuphana
Es sind nicht in erster Linie finanzielle Gründe, die junge Rentnerinnen und Rentner dazu motivieren, erwerbstätig zu bleiben. Es geht auch um den Wert der Arbeit an sich, um Wertschätzung. Das sagt Jürgen Deller, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Leuphana Universität Lüneburg, im epd-Interview.

Lüneburg (epd). Welche Motive treiben über 60-Jährige an, auch im Ruhestand weiterzuarbeiten? Mit welchen Vorurteilen werden sie konfrontiert? Und wie profitieren Arbeitgeber von älteren Mitarbeitern? Diese Fragen beantwortet der Lüneburger Wirtschaftspsychologe Jürgen Deller. Er forscht seit rund 15 Jahren zum Phänomen „Silver Worker“. Mit ihm sprach Stefanie Unbehauen.

epd sozial: Herr Professor Deller, immer mehr Rentenbezieher entscheiden sich dazu, weiter oder wieder zu arbeiten. Welche Motive stecken dahinter?

Jürgen Deller: Es gibt eine ganze Reihe an Motiven. Zunächst einmal hat Arbeit für viele Menschen eine sehr große Bedeutung, weil sie durch Arbeit merken, dass sie etwas verändern und bewirken können. Wertschätzung durch andere ist zudem ein wichtiger Faktor. Außerdem hat man durch den Arbeitsplatz soziale Kontakte. Viele Menschen sind im Alter einsam, besonders wenn sie keinen Ehepartner oder keine Enkelkinder haben. Zudem ist Arbeit ein Taktgeber. Sie strukturiert den Alltag, gibt den Menschen einen Grund aufzustehen.

epd: Gibt es mit Blick auf die Inflation und die aktuelle Wirtschaftslage auch finanzielle Gründe?

Deller: Ob die Inflation eine treibende Kraft hierbei ist, können wir noch nicht sagen. Für manche spielt Geld sicherlich auch eine Rolle, aber es ist nicht der primäre Faktor. Unser Sozialsystem ist immer noch so gut aufgestellt, dass für vieles im Alter gesorgt ist. Zudem sind die Renten in den letzten Jahren stärker gestiegen als die Löhne. Dass die Leute nur fürs Geld länger arbeiten, stimmt also nicht. Es würde mich jedoch nicht überraschen, wenn im Laufe der Zeit dieser Aspekt wichtiger wird. Das liegt auch daran, dass die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, in den nächsten Jahren in Rente gehen werden und hier auch Geringverdiener dabei sind. Der Großteil der Menschen aber, die im Rentenalter arbeiten wollen, ist sehr gut ausgebildet. Armut ist also nicht der zentrale, treibende Faktor. Aber es gibt durchaus Rentner, die sich durch Arbeit etwas hinzuverdienen wollen für die ein oder andere Mehrausgabe. Ich denke da beispielsweise an einen Rentner, der mit seiner Enkeltochter eine Kurzreise nach Paris unternehmen wollte und sich das nur durch Mehrarbeit leisten konnte.

epd: Wie können Unternehmen auch im Hinblick auf den bestehenden Fachkräftemangel von älteren Arbeitnehmern profitieren?

Deller: Unternehmen haben vielseitige Vorteile durch den Einsatz von sogenannten Silver Workern. Ältere Mitarbeiter haben vieles erlebt, wie etwa Umstrukturierungen und betriebliche Herausforderungen. Sie sind daher oft resilienter und gelassener als jüngere Mitarbeiter. Außerdem bringen sie viel Erfahrung und Wissen mit. Wenn man dieses Know-how im Unternehmen hält, profitieren davon auch jüngere Mitarbeiter. Ich würde sogar sagen, dass junge und alte Mitarbeiter gegenseitig voneinander lernen können. Außerdem haben viele Unternehmen - wie Sie bereits sagten - mit Fachkräftemangel zu kämpfen. Wenn man hier auf motivierte, erfahrene Arbeitskräfte zurückgreifen kann, besonders bei einer hohen Auftragslage, ist das ein großer Gewinn für jeden Betrieb.

epd: Was müssen Arbeitgeber tun, um Silver Workern das Arbeiten so einfach wie möglich zu machen?

Deller: Das ist aktuell unser Forschungsschwerpunkt. Wir haben weltweit in 23 Ländern Projekte, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Dazu haben wir einen Index entwickelt, der das misst, den sogenannten Later Life Workplace Index. In diesem Index beschreiben wir, was ein Arbeitgeber tun muss, um den Arbeitsplatz für Silver Worker so passend wie möglich zu machen. Wichtig ist, dass das Unternehmen ein Klima etabliert, das ältere Mitarbeiter wertschätzt und achtet. Dafür benötigt es ein altersfreundliches Organisations- und Führungsklima. Es ist wichtig, Arbeitszeiten und -orte zu flexibilisieren, wo das möglich ist. Es muss auch darauf geachtet werden, dass der Arbeitsplatz für Menschen passt, die weniger körperliche Kraft haben.

epd: Was kann man konkret als Führungskraft tun, um ältere Mitarbeiter im Betrieb zu halten?

Deller: Führungskräfte sollten ein bis zwei Jahre vor Eintritt des Ruhestands das Gespräch mit ihrem Mitarbeiter suchen: Was willst du nach Renteneintritt machen? Wie geht es weiter? Welche Pläne hast du? Da gibt es einige Arbeitnehmer, die dem Betrieb erhalten bleiben möchten. Die wenigsten wollen jedoch Vollzeit weiterarbeiten, sondern eher ein bis zwei Tage die Woche. Andere wollen nur noch einzelne Projekte machen, die sie interessieren, dafür aber dann in Vollzeit, zum Beispiel drei Monate am Stück und dann wieder ein halbes Jahr frei haben. Viele Führungskräfte nutzen diese Chance nicht.

epd: Wieso merken viele erst im Ruhestand, dass sie doch wieder arbeiten möchten?

Deller: Viele freuen sich zunächst auf den Ruhestand, wollen Angelegenheiten klären, für die sie in den letzten Jahren keine Zeit hatten, genießen die neu gewonnene Freizeit. Aber wenn dann der Ruhestand eintritt, fallen sie durch den Wegfall der Strukturen in ein Loch und merken dann: Ich möchte doch noch arbeiten, weiterhin ein nützlicher Teil der Gesellschaft sein.

epd: Mit welchen Vorurteilen sehen sich ältere Arbeitnehmer konfrontiert?

Deller: Körperliche, aber auch geistige Vorurteile. Manche jüngeren Mitarbeiter oder Vorgesetzten befürchten, dass ältere Mitarbeiter nicht mehr so viel leisten können. Doch man sollte sich bewusst machen, dass es sich hierbei wirklich nur um Vorurteile handelt, die einzelne Erfahrungen übergeneralisieren. Natürlich gibt es Menschen, die mit 50 oder 60 nicht mehr fit sind, aber andererseits gibt es auch 70-Jährige, die noch gesund und vital sind. Die Realität ist also viel differenzierter. Unsere Vorurteile spielen uns oft einen Streich.

epd: Gehen Sie davon aus, dass in den nächsten Jahren mehr Silver Worker auf den Arbeitsmarkt treten werden?

Deller: Ja, davon gehen wir aus. Wenn man sich die letzten zehn Jahre anschaut - mit einem kleinen Einbruch während Corona - ist die Zahl der älteren Arbeitnehmer immer weiter gestiegen. Durch den Renteneintritt der Babyboomer wird sich dieser Trend in den kommenden Jahren noch verstärken. Menschen mit hohem Bildungsstand wollen weiterhin gefordert werden, und Unternehmen haben weiterhin Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern. Es profitieren also beide Seiten.

epd: Was kann die Politik tun, um Silver Worker zu unterstützen?

Deller: Die Politik kann die richtigen Rahmenbedingungen hierfür schaffen, zum Beispiel, indem Arbeit neben der Rente teilweise steuerfrei wird. Wenn die Politik Silver Worker unterstützt, wird dieser Trend noch stärker zunehmen. Das Potenzial ist sowieso schon da. Ältere Mitarbeiter sind ein Reservoir, aus dem man schöpfen kann. Wenn man das nutzt, entstehen viele Vorteile: mehr Wohlstand, mehr Steuern, mehr Fachkräfte. Davon profitiert die gesamte Gesellschaft.



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