Frankfurt a.M. (epd). Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) beharrt auf der Einführung der Kindergrundsicherung. Die Ampel-Koalition stehe gemeinsam in der Verantwortung, dieses zentrale Versprechen des Koalitionsvertrags gegenüber den Familien in Deutschland einzulösen, sagte Paus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am 7. Juli. Doch die so ehrgeizigen wie umstrittene Sozialreform steht nach der Einigung der Ampel-Spitzen auf Eckpunkte für den Bundeshaushalt 2025 infrage.
Paus sagte der Zeitung, trotz großer Sparvorgaben werde der Einzeletat ihres Hauses weiter aufwachsen. Damit sei „eine weitere finanzielle Grundlage im Vorgriff auf die Einführung der Kindergrundsicherung gelegt“.
Im Eckpunktepapier der Koalition für den Bundeshaushalt 2025 wird die Kindergrundsicherung nicht erwähnt. Statt Geld dafür im Etat zu veranschlagen, verständigten sich die Koalitionäre darauf, den Kindersofortzuschlag und das Kindergeld jeweils um fünf Euro pro Monat zu erhöhen. Auf die Frage, ob es bei der geplanten Einführung der Kindergrundsicherung bleibe, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lediglich: „Es geht jetzt um die besten Schritte, und darüber wird konkret im Parlament geredet.“
Die Kindergrundsicherung gilt als die größte Sozialreform der Ampel-Koalition. Sie soll das Kindergeld, den Kinderzuschlag für einkommensarme Familien sowie die Sozialleistungen für Kinder bündeln. Seit Monaten hängt der Gesetzentwurf jedoch im Bundestag fest, weil SPD, FDP und Grüne unterschiedliche Ziele ins Zentrum stellen.
„Die Haushaltseinigung ist da, Bundestag und Bundesregierung gehen in die Sommerpause. Das wichtigste sozialpolitische Vorhaben dieser Legislaturperiode ist allerdings nicht vorangekommen“, sagte Sabina Schutter, Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nachdem im Bundeshaushalt 2025 lediglich Erhöhungen von Kindergeld und Kindersofortzuschlag vorgesehen seien, „scheint die Kindergrundsicherung vom Tisch zu sein. Dieser dringend notwendige Systemwechsel in der Armutsbekämpfung wird wohl eine Aufgabe für die nächste Legislatur bleiben.“
Schutter betonte, der Kampf gegen Kinderarmut sei ohne einen Systemwechsel nicht zu schaffen. „Es bleibt dabei: Angesichts von gravierender Chancen- und Bildungsungleichheit, angesichts von Familien, die Probleme haben, ihre Kinder gesund zu ernähren oder von Sommerurlaub auch nur träumen, brauchen wir eine nachhaltige und umfassende Armutsbekämpfung.“ Die müsse aus einer Kindergrundsicherung bestehen, die die neu berechneten, empirischen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen decke und einfach zugänglich mache.
„Der Kampf gegen Kinderarmut muss unbedingt auf der Agenda bleiben. Dafür halten wir weiterhin eine echte Kindergrundsicherung für das richtige Mittel“, sagte Daniel Grein, Bundesgeschäftsführer des Kinderschutzbundes, dem epd. „Was aktuell aber im Kindergrundsicherungsgesetz zur Debatte steht, ist maximal noch eine Schmalspurversion.“ Der Haushaltsplan sehe auch kaum noch Mittel für die Reform vor. „Wir sehen das mit großer Sorge, denn weiterhin ist jedes fünftes Kind in Deutschland von Armut bedroht oder betroffen.“
Grein begrüßte, dass die lange geplanten zwei Milliarden Euro Bereich der Kindertagesstätten nicht gekürzt werden und der Bund sich auch weiterhin am Ausbau der Kita-Qualität beteiligen will. „Denn nur durch gute Infrastruktur und Betreuung mit ausreichenden finanziellen Mitteln in den Familien kann Kinderarmut wirklich effizient und dauerhaft bekämpft werden.“
Nach den Worten von Eric Großhaus von der Hilfsorganisation Save the children ist das, was im Haushaltsentwurf steht, keine echte Kindergrundsicherung mehr, sondern nur eine Aufstockung innerhalb des bestehenden Systems. Er sei auch skeptisch, ob die Einführung einer Grundsicherung noch erreicht werden könne. Dagegen spreche die Erhöhung des Kindersofortzuschlags, der eingeführt worden sei, um die Zeit bis zur Einführung der Kindergrundsicherung zu überbrücken, sagte er dem epd.
Die weiteren Beratungen würden zeigen, ob ein Systemwechsel noch möglich sei. „Die Bündelung von Leistungen steht aus“, erklärte Großhaus, ebenso wie eine realistische Erhebung des Bedarfs von Kindern. Der Grundgedanke von Paus' Reform, dass nur noch eine Behörde für die Belange von Kindern zuständig sein solle, sei nach wie vor richtig.
Bei der Bekämpfung von Kinderarmut sei die Kindergrundsicherung aber nur eine Baustelle von vielen, sagte Großhaus. Es gehe dabei auch um eine ausreichende Präventionsinfrastruktur, um Kreisläufe von Armut zu durchbrechen. Das seien beispielsweise Familienzentren, gut ausgestattete Kitas oder mehr Mittel für Schulen in sozial benachteiligten Gegenden.
Auch der Kinderschutzbund kritisierte, dass sich die Ampel-Koalition von zentralen Punkten der Kindergrundsicherung verabschiedet habe. Präsidentin Sabine Andresen sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (11. Juli): „Das, was im Moment diskutiert wird, ist kein Systemwechsel und damit keine Kindergrundsicherung.“
„Bezahlkartensysteme, die Verlängerung und Erhöhung des Kindersofortzuschlags, die Erhöhung des Kindergeldes: Das sind alles Reparaturversuche im bestehenden System. Sie werden in einem bestimmten Umfang auch helfen, ebenso wie die Mittel für die frühkindliche Bildung und das Startchancenprogramm“, sagte Andresen.
Aber der Kern der Kindergrundsicherung bestehe in einer „Orientierung an einer Neuberechnung des sogenannten Existenzminimums für Kinder und Jugendliche“ sowie in der „Zusammenführung und Entbürokratisierung zentraler familienpolitischer Leistungen - und von diesem Gedanken hat sich die Koalition offenbar verabschiedet“, kritisierte die Verbandspräsidentin den Angaben zufolge.
Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager (CDU), forderte die Ampel-Parteien dagegen auf, die geplante Kindergrundsicherung zu kippen. Dass sich die Koalition in den Haushaltsverhandlungen von der Schaffung einer neuen Behördenstruktur verabschiedet habe, sei „mehr als überfällig“ gewesen, sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Eigentlich hätte sich die Regierungskoalition ehrlich machen und sich vom vollkommen verkorksten Projekt der Kindergrundsicherung gänzlich trennen müssen.“ Das sollte sie nun im parlamentarischen Verfahren tun.
Die Kindergrundsicherung bringe bedürftigen Familien keinen Mehrwert und wäre selbst in der kleinsten Ausbaustufe nicht einfach umzusetzen, erklärte Sager. „Das Projekt in seinem ursprünglichen Zuschnitt hätte nur dazu geführt, dass es für den Steuerzahler sehr viel teurer und für Familien sehr viel komplizierter geworden wäre“, sagte der Vertreter der Landkreise.