Berlin (epd). Die sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege beobachten Einschnitte in den eigenen Angeboten mit Sorge und sehen bei weiteren Kürzungen den sozialen Frieden in Deutschland in Gefahr. Menschen in schwierigen Lebenssituationen und Notlagen zu helfen, werde angesichts massiver Kostensteigerungen und sinkender Haushaltsmittel immer schwieriger, erklärten die Verbände am 19. Juni in Berlin.
Laut einer Umfrage unter den Einrichtungen und Diensten zu deren finanzieller Lage hätten knapp zwei Drittel in den vergangenen beiden Jahren Angebote eingeschränkt oder ganz eingestellt. „Bei 14,7 Prozent der Befragten führte dies sogar dazu, dass Angebote und Leistungen gänzlich eingestellt werden mussten“, so die Befragten.
Mehr als drei Viertel der Befragten rechneten zudem damit, Angebote auch im nächsten Jahr weiter zurückfahren zu müssen. Ein weiteres Problem treibt die Branche in diesem Zusammenhang um: Vielfach sind die Träger in ihren Quartieren, Städten und Regionen Ankerpunkte für Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement. 70,5 Prozent der Befragten sind sich sicher oder befürchten, dass dieses Engagement durch den Wegfall ihrer Angebote und Leistungen ebenfalls zurückgehen wird.
Der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Michael Groß, nannte die Sparpolitik von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) eine „ernste Bedrohung für die soziale Infrastruktur in unserem Land“. Statt auf Kosten der Menschen und ihrer Zukunft zu sparen, müsse die Bundesregierung umsteuern und in Zusammenhalt investieren, forderte Groß, Vorsitzender des Präsidiums im Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO).
Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch sagte: „Weitere Kürzungen bei sozialpolitischen Leistungen und bei der Förderung von freiwilligem Engagement im Bundeshaushalt 2025 sind demokratiegefährdend und nicht akzeptabel.“ Wer stattdessen die soziale Arbeit in den Wohlfahrtsverbänden stärke und in den Sozialstaat investiere, sichere die Demokratie und unterstützt konkret den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Derzeit arbeitet die Ampel-Koalition an der Aufstellung des Etats für das nächste Jahr.
„Eine starke Gesellschaft lebt von aktiven Bürgerinnen und Bürgern, die im Sinne des Gemeinwohls mitgestalten. Wenn soziale Angebote beispielsweise in der Alten-, Kinder- und Jugendhilfe wegfallen, fallen auch Orte des ehrenamtlichen Engagements und damit des gesellschaftlichen Zusammenhalts weg“, warnte Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Das Ehrenamt sei das Rückgrat unserer Gesellschaft. Daran zu sparen wäre fatal, betonte Hasselfeldt.
Abraham Lehrer, Präsident der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), verwies auf die Bedeutung von intakten Beratungsstrukturen. „Die Unterstützung und Befähigung gesellschaftlicher Teilhabe ist eine Langzeitaufgabe und erfordert verlässliche Strukturen. Unzureichende Beratungsstrukturen können gesellschaftliche Spaltung bedeuten und antidemokratische Ressentiments befeuern“, betonte Lehrer.
Die Online-Umfrage unter den Einrichtungen und Diensten fand vom 7. bis 16. Juni statt. Die Teilnahme war anonym und freiwillig, sie wurde beworben über Mail-Verteiler und Newsletter der beteiligten Wohlfahrtsverbände sowie in sozialen Medien. Insgesamt gingen den Angaben zufolge 8.297 valide Fragebögen ein.
In der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege arbeiten die sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege zusammen, das sind die Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Deutsche Caritasverband, der Paritätische Gesamtverband, das Deutsche Rote Kreuz (DRK), die Diakonie Deutschland und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Nach eigenen Angaben sind unter dem Dach der Freien Wohlfahrtspflege bundesweit rund 118.000 Einrichtungen und Dienste tätig, die etwa 1,9 Millionen Beschäftigte haben.