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Freiwiligendienst

Interview

Diakonie Hessen: Angst vor weiteren Kürzungen beim FSJ bleibt




Ingrid Pontzen
epd-bild/Diakonie Hessen
Der drohende finanzielle Kahlschlag bei den Freiwilligendiensten im Bundesetat 2024 wurde soeben noch abgewendet. Doch Kürzungen gibt es trotzdem. Viele andere Probleme bei FSJ und BFD bleiben bestehen, sagt Ingrid Pontzen von der Diakonie Hessen im Interview mit epd sozial. Und die Angst vor weiteren finanziellen Einschnitten bleibt.

Frankfurt a.M. (epd). Wäre es tatsächlich zu den massiven Kürzungen bei den Freiwilligendiensten gekommen, wäre bis zu einem Drittel der rund 650 Stellen bei der Diakonie Hessen weggefallen. Doch so kam es nicht. Der öffentliche Protest habe sich gelohnt, sagt Ingrid Pontzen, die Pädagogische Leiterin der Freiwilligendienste. Aber, so stellt sie fest, es fehle weiter Geld im System: „Bereits jetzt können wir das aktuelle Angebot an Plätzen nur mit einem gewissen Eigenmittelbeitrag finanzieren.“ Und die finanzielle Absicherung der Dienste für 2025 sei weiter offen. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Am 18. Januar hat der Haushaltsausschuss die befürchteten Kürzungen für die Freiwilligendienste zurückgenommen. Wie dramatisch haben Sie die Wochen und Monate davor noch in Erinnerung?

Ingrid Pontzen: Sehr dramatisch. Wir mussten mit einer gravierenden Kürzung der Bundesmittel rechnen, damit hätten wir das jetzige Angebot der Freiwilligendienste nicht aufrechterhalten können.

epd: Die Wohlfahrtsverbände haben mit ihrem Widerstand gegen die zunächst angekündigten Einschnitte nie nachgelassen. Hat die deutlich hörbare Kritik letztlich zum Umdenken geführt?

Pontzen: Auf jeden Fall, es wurde ja an vielen Stellen in den Medien über die Folgen der möglichen Kürzungen informiert. Und wir konnten überzeugen mit der Qualität und dem auch gesamtgesellschaftlichen Wert der Freiwilligendienste. Mut hat uns auch gemacht, dass wir in unseren Gesprächen mit Abgeordneten in Bund und Ländern immer wieder gehört haben, dass sie auf unserer Seite stehen.

epd: Gehen wir noch mal zur besseren Einordnung der Zahlen ins Detail. 100.000 Menschen sind jährlich im Freiwilligendienst oder im BFD. Wie viele Stellen hat die Diakonie Hessen und wie viele wären bei Ihnen wohl weggefallen, wenn der Etat wie ursprünglich geplant zusammengestrichen worden wäre?

Pontzen: Jährlich besetzten wir rund 650 Stellen, davon wäre bis zu einem Drittel weggefallen, denn die fehlenden Zuschüsse hätten nicht an anderer Stelle kompensiert werden können, etwa durch eine Erhöhung der Einsatzstellen-Beiträge.

epd: Welche Bereiche wären in Hessen besonders betroffen gewesen? Wo Sie die FSJ-ler dann hätten abziehen müssen, ist ja Ihre Entscheidung?

Pontzen: Das hätte grundsätzlich alle Bereiche betroffen. Die Plätze werden bei uns nach Eingang der Bewerbungen und nach Interesse der Freiwilligen besetzt. Wir hätten also nicht per se einzelne Bereiche ausgeschlossen. Aber erfahrungsgemäß hätten wahrscheinlich jene Einsatzstellen, die die Kosten am schwierigsten refinanzieren können, ihre Plätze nicht mehr belegen können.

epd: Jetzt ist die Lage zunächst mal entschärft, aber noch ist kein Grund, sich zurückzulehnen. Wie sieht die weitere Finanzierung der Freiwilligendienst aus?

Pontzen: Der Jahrgang 2024/25 ist für das FSJ jetzt mit einer moderaten Kürzung von rund 7,5 Prozent der Zuschüsse davongekommen. Das ist ein besseres Ergebnis, als wir befürchtet hatten. Im BFD sieht es ungünstiger aus. Da werden wir in 2025, wenn nicht im Laufe des Jahres noch nachjustiert wird, deutlich weniger Kontingente als zuvor zur Verfügung haben. Aber auch jetzt schon müssen wir die fehlenden Zuschüsse an anderer Stelle kompensieren und können gegebenenfalls einzelne Stellen nicht wieder besetzen.

epd: Aus dem Bundesfamilienministerium heißt es, der Jahrgang 2024/2025 sei nicht durchfinanziert. Kann es hier doch noch zu Kürzungen kommen und welche Folgen hätten die dann?

Pontzen: Darüber haben wir noch keine Informationen. Wenn es jedoch zu weiteren Kürzungen kommt, werden sich die beschriebenen Probleme auf jeden Fall verschärfen.

epd: Bis wann müssen Sie für Ihre Planungen verlässlich wissen, ob weiter genügend Geld fließt?

Pontzen: Zur Planung brauchen wir etwa ein Jahr vor Beginn des kommenden Jahrgangs verlässliche Finanzzusagen, weil die Bewerbungen auch dann schon eintreffen. Je später wir informiert werden, desto mehr wirkt sich das auf die gesamte Planung aus. Das Problem ist dann der Zeitdruck. Potenzielle Freiwillige entscheiden sich dann vielleicht doch anders und treten den Dienst nicht an. Ersatz für die Einsatzstellen kann dann vielleicht nicht mehr gefunden werden. Und auch Personalstellen können nicht eingeplant werden, was fatal ist angesichts des stark gestiegenen individuellen Betreuungs- und Unterstützungsbedarfs der Freiwilligen.

epd: Immer wieder war in der Vergangenheit zur hören, dass die Zahl der öffentlich finanzierten FSJ- und FÖJ-Plätze längst nicht ausreicht. Der Bedarf sei deutlich höher. Wie ist die Lage bei Ihnen? Wie viele zusätzlich Plätze könnten Sie besetzen?

Pontzen: Das deckt sich mit unseren Erfahrungen. Bereits jetzt können wir das aktuelle Angebot an Plätzen nur mit einem gewissen Eigenmittelbeitrag finanzieren. Die Sach- und Personalkosten sind in den vergangenen Jahren stets gestiegen, während die staatlichen Zuschüsse auf demselben Niveau blieben und nicht erhöht wurden. Das werden wir auf Dauer nicht aushalten können, wenn hier die Schere bei der Refinanzierung weiter auseinandergeht. In Zahlen ausgedrückt: Wenn wir das Angebot halten oder in der Attraktivität steigern könnten, etwa durch ein höheres Taschengeld und Mobilitätszuschläge für den ÖPNV, würden wir sicher rund zehn Prozent mehr Plätze besetzen können.

epd: Also letztlich braucht es mehr Geld ...

Pontzen: Ja, es geht darum, die Freiwilligenangebote verlässlich sicherzustellen. Das bezieht sich vor allem auf die angemessene Bezuschussung durch Bundesmittel, aber auch auf andere Anerkennungsleistungen, wie etwa Zuschüsse für die ÖPNV-Nutzung, um zum Dienst zu kommen. Es geht aber auch um die Anerkennung des geleisteten Dienstes etwa bei der Bewerbung um Ausbildungsplätze oder auf einen Studienplatz.

epd: Kürzlich sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), die Dienste müssten künftig besser finanziert werden. Dann würde vielleicht auch ein höheres Taschengeld drin sein. Wie wichtig nehmen die Freiwilligen die Bezahlung?

Pontzen: Mit einem höheren Taschengeld würden wir mehr Freiwillige gewinnen können. Die Bezahlung ist für Freiwillige angesichts der auch für sie steigenden Lebenshaltungskosten ein wesentlicher Faktor. Sie vergleichen unser Angebot mit dem anderer Träger oder auch mit dem Einkommen eines Minijobs. Auch aus diesem Grund haben wir die Taschengelder erhöht, um hier ein Signal an alle Freiwilligen zu senden. Grundsätzlich reicht das aber immer noch nicht aus, um auch Freiwilligen aus einkommensschwachen Verhältnissen einen Freiwilligendienst zu ermöglichen. Klar ist leider: Wenn keine finanzielle Sicherheit etwa durch die Familie im Hintergrund ist, kann ein Freiwilligendienst nicht geleistet werden, weil allein die Mieten schon das Taschengeld übersteigen würden.

epd: Jetzt wird auch der Teilzeitdienst erleichtert. Wie bewerten Sie das? Kann das womöglich auch die Organisation der Angebote erschweren?

Pontzen: Es gibt schon jetzt schon die Möglichkeit, den Dienst in Teilzeit ab 50 Prozent zu leisten, doch das ist an Kriterien wie etwa eine eigene Beeinträchtigung oder Pflege- und Betreuungsaufgaben gebunden. Bei uns ist Teilzeit in Einzelfällen nachgefragt worden und wir haben sie immer umsetzen können. Daher begrüßen wir das neue Teilzeitgesetz für den Freiwilligendienst, weil es für viele Freiwillige, die nicht täglich in Vollzeit arbeiten können, eine sehr gute Chance bedeutet. Die organisatorische Umsetzung werden wir gemeinsam mit den Einrichtungen klären, wir erwarten hier zunächst keine größeren Verwerfungen.

epd: Letzte Frage: Im Zuge der Diskussion um die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht wird erneut über eine generelle Dienstpflicht diskutiert. Gemeinhin lehnen meisten Sozialverbände das ab. Wie ist Ihre Meinung?

Pontzen: Wir lehnen einen allgemeinen Pflichtdienst eindeutig ab. Das geschieht vor allem aus der Überzeugung heraus, dass wir die Freiwilligkeit im Engagement und die eigene Motivation zur Mitarbeit insbesondere in sozialen Tätigkeitsfeldern, im Umgang mit Menschen, für ganz wesentlich halten. Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Demokratielernen, Berufsbildung und -orientierung können bei einem freiwilligen Setting besser erreicht oder gestärkt werden als durch eine Dienstpflicht. Und: Freiwillige brauchen intensive Begleitung und Anleitung. Das wäre auch bei einem sozialen Pflichtdienst so. Der Betreuungsbedarf würde noch weiter steigen. Es ist fraglich, wie die Einrichtungen das angesichts des zunehmenden Personalmangels überhaupt gewährleisten könnten.