Würzburg (epd). Mitglied einer coolen Crew zu sein, gleichzeitig die eigenen Talente entdecken und Gutes tun zu können, ist eine tolle Sache, finden Evelyn Schneider und Josephin Sittig. Die beiden 18-Jährigen sind seit Anfang September Teilnehmer des Bundesfreiwilligendienstes (BFD) beim Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM) in Würzburg.
Damit gehören sie einer rarer werdenden Spezies an: Viele Einrichtungen beklagen, dass sich nicht mehr genug Bewerber für einen BFD oder ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) finden. „Die meisten wollen möglichst bald ins Studium starten“, sagt Sittig. So konnte auch der Würzburger CVJM nicht alle vorhandenen Stellen besetzen.
Durch einen Freiwilligendienst können künftige Studierende auch Einblicke in ihr favorisiertes Studienfach gewinnen. Nicht zuletzt dieser Aspekt bewog Schneider und Sittig, ihrem Studium ein BFD vorzuschalten. Sittig würde gerne auf Lehramt studieren: „Ich bin allerdings noch unsicher, ob ich Lehrerin auf einem Gymnasium, an einer Grund- oder Realschule werden möchte.“ Beim CVJM bietet sich ihr die Chance herauszufinden, welche Altersklasse ihr besonders liegt.
Beim Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe erreichten die Vertragsabschlüsse für den Freiwilligendienst 2021 einen vorläufigen Höhepunkt. „Es waren über 2.000“, berichtet Mathias Schmitten vom „Zentrum Freiwilligendienste“. Derzeit trudelten sogar noch mehr Bewerbungen als vergangenes Jahr ein. „Bei den Vertragsabschlüssen allerdings gibt es einen Rückgang von acht Prozent.“
In Zeiten hoher Inflation könnten sich jedoch immer weniger junge Menschen einen Freiwilligendienst leisten, sagt Schmitten. Dazu sei das Taschengeld zu niedrig. Bei der Diakonie RWL liegt es bei 423 Euro im Monat: „Hinzu kommt, dass die Freiwilligen die Tickets für die Fahrt zum Dienst selbst bezahlen müssen.“ Auf der anderen Seite könnten sich viele Kitas als besonders beliebte Einsatzorte keine Freiwilligen leisten: „Hier übersteigt die Zahl der Bewerbungen die Zahl der Plätze manchmal um das Dreifache.“
Freiwilligendienste können im Jugendverband oder in der Kita, in Förderschulen oder Behindertenwerkstätten, in Einrichtungen der Psychiatrie, in Kliniken oder Frauenhäusern abgeleistet werden. Laut Bundesfamilienministerium absolvierten 2021 knapp 90.000 einen freiwilligen Dienst. „Die BFD-Werte für 2017 bis 2019 waren leicht höher als sonst, weil sie die Sonderkontingente ‚BFD mit Flüchtlingsbezug‘ umfassten“, heißt es zwar von der Pressestelle des Ministeriums. Dennoch könne konstatiert werden, dass die Zahlen seit 2020 sinken.
Besonders im Pflegesektor mit seinem Personalmangel schmerzt das Fehlen von Freiwilligen. Florian Schüßler, Geschäftsführer der Caritas im unterfränkischen Landkreis Main-Spessart, hat zwar derzeit eine Bundesfreiwillige beschäftigt. Doch die könne kaum auffangen, was an ehrenamtlichem Engagement weggebrochen ist: „Vor der Pandemie hatten wir über 80 Ehrenamtliche, aktuell sind noch 20 aktiv.“
Vor diesem Hintergrund arbeiten gerade alle großen Verbände an einer Weiterentwicklung der Freiwilligendienste. So werde beim Deutschen Roten Kreuz zum Beispiel überlegt, inwieweit man die Bewerbung auf einen Platz für einen BFD oder ein FSJ erleichtern könne, erklärt DRK-Pressereferentin Annkatrin Tritschoks.
Im Koalitionsvertrag der Ampel taucht der Freiwilligendienst in zwei Sätzen auf: „Die Plätze in den Freiwilligendiensten werden wir nachfragegerecht ausbauen, das Taschengeld erhöhen und Teilzeitmöglichkeiten verbessern“, heißt es im Unterpunkt „Kinder und Jugend“. Außerdem soll ein „FSJ digital“ kommen. Das Bundesfamilienministerium setze sich „mit Nachdruck für eine mittel- und langfristig auskömmliche Finanzierung aller Freiwilligendienstformate“ ein.