sozial-Politik

Jugend

Verbände wollen Rechtsanspruch auf Freiwilligendienst-Platz




Bundesfreiwilligendienst bei den Johannitern
epd-bild/Jörn Neumann
Sozialverbände fordern, die Jugendfreiwilligendienste kräftig aufzuwerten und reagieren damit auf die Pläne von Verteidigungsminister Pistorius zu Änderungen beim Wehrdienst. Mit ihrem Modell kontern sie auch die Rufe nach einem sozialen Pflichtdienst.

Berlin (epd). Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will mehr Freiwillige für die Bundeswehr begeistern, die Sozialverbände wollen einen Schub für die Freiwilligendienste. Mit ihrem Drei-Punkte-Plan könne die Zahl der Freiwilligen in drei bis vier Jahren von 100.000 auf 200.000 pro Jahr verdoppelt werden, sagte der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und AWO-Chef Michael Groß, am 13. Juni in Berlin.

Drei Veränderungen sind aus Sicht der 25 Verbände notwendig, die dafür ein gemeinsames Konzept erarbeitet haben: ein Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst-Platz für alle jungen Menschen, die sich dafür entscheiden, eine deutliche Erhöhung des Freiwilligengeldes und eine Einladung an alle Schulabgängerinnen und -abgänger, sich für ein Jahr zu engagieren. Ebenso wie Pistorius denken die Verbände an ein Anschreiben und, bei Interesse, eine Beratung der jungen Menschen, die sich einen Dienst vorstellen können.

Vorschlag: Freiwilligengeld auf BaföG-Niveau

Mit einem Freiwilligengeld auf Bafög-Niveau wollen die Initiatoren die Freiwilligendienste stärker für junge Menschen öffnen, die sich ein Freiwilliges Soziales Jahr im In- oder Ausland heute aus finanziellen Gründen nicht leisten können. Das Freiwilligengeld wäre den Plänen zufolge deutlich höher als die Höchstgrenze für das Taschengeld, die demnächst auf 604 Euro im Monat steigt. Der gerade erhöhte Bafög-Höchstsatz beträgt 992 Euro im Monat. Die Zusatzkosten pro Jahr beziffern die Verbände mit 2,7 Milliarden Euro. Es sei „eine Frage des politischen Willens“, das Geld aufzubringen, sagte der Vertreter für die Freiwilligendienste im Ausland, Claudio Jax.

Ein Pflichtdienst würde den Staat viel mehr kosten, rechnen die Verbände vor, jährlich rund 13 Milliarden Euro. Ein Pflichtdienst wird etwa von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gefordert.

AWO-Chef Groß betonte, es sei „jetzt an der Zeit zu investieren“, statt bei den Freiwilligendiensten zu kürzen. Wie schon im vergangenen Jahr drohen auch für den Bundeshaushalt 2025, der derzeit innerhalb der Regierung ausgehandelt wird, Einschnitte bei der Finanzierung der Freiwilligendienste, die beim Bundesfamilienministerium angesiedelt sind. Groß sagte, gerade eine Demokratie unter Druck profitiere vom ehrenamtlichen Einsatz für die Allgemeinheit. Man werde sich dafür einsetzen, parallel zu den Plänen von Pistorius auch die Attraktivität der Freiwilligendienste zu erhöhen.

Gemeinsames Anschreiben für alle 18-Jährigen denkbar

Die Verbände, zu denen unter anderem der BUND, das Rote Kreuz, die Malteser, die Deutsche Sportjugend und Umweltschutz-Organisationen gehören, können sich Groß zufolge sogar vorstellen, „unsere gute Idee möglichst innerhalb des Pistorius-Vorschlags“ umzusetzen - und in einem einzigen Anschreiben alle jungen Menschen nach ihrem Interesse für einen Freiwilligendienst oder einen freiwilligen Wehrdienst zu befragen. Bisher machen etwa zehn Prozent der Schulabgänger anschließend ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr. Studien zufolge ist das Potenzial damit aber nicht ausgeschöpft.

Zu den Plänen von Pistorius für einen neuen Wehrdienst sagte der Paritätische Gesamtverband, der Wehrdienst müsse freiwillig bleiben und zugleich müssten die Freiwilligendienste gestärkt werden. „Das freiwillige soziale Engagement junger Menschen in gemeinnützigen Arbeitsfeldern ist von Haushaltskürzungen bedroht. Dazu darf es nicht kommen“, sagte Joachim Rock, Abteilungsleiter und designierter Hauptgeschäftsführer. „Bevor über neue Pflichtdienste verhandelt wird, ist die Bundesregierung gefordert, ihrer Verantwortung für attraktive Rahmenbedingungen in den bestehenden Diensten gerecht zu werden.“

Caritas: Recht auf freiwilligen Gesellschaftsdienst schaffen

Das sieht auch der Deutsche Caritasverband so. Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa sagte in Berlin, Überlegungen zur Wiedereinführung von verpflichtenden Elementen bei der Rekrutierung von Wehrdienstleistenden dürften nicht alleinstehen. „Wir brauchen ein integriertes Konzept von Gesellschaftsdiensten in einer Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit.“ Dazu müssten die nötigen Finanzmittel im Bundeshaushalt gesichert werden: „Alle jungen Menschen in Deutschland müssen verlässlich die Chance erhalten, einen freiwilligen Gesellschaftsdienst im Rahmen eines Engagementjahres zu leisten. Wir fordern einen Rechtsanspruch auf einen freiwilligen Gesellschaftsdienst als Beitrag für eine resiliente demokratische Gesellschaft.“

Der Freiwilligendienst könne als sozialer oder ökologischer Freiwilligendienst, als Dienst im Inland oder Ausland, in der Katastrophenhilfe oder bei der Feuerwehr geleistet werden. „Ein Rechtsanspruch schafft - verknüpft mit Pistorius‘ Vorschlägen zum Wehrdienst - die Möglichkeit, jungen Menschen einen freiwilligen Dienst als Orientierungszeit verlässlich anzubieten“, so die Präsidentin. Und er schaffe für die Träger der Freiwilligendienste endlich wieder eine finanzielle und strukturelle Planungssicherheit.

Verteidigungsminister Pistorius will für mehr Freiwillige in der Bundeswehr künftig alle 18-Jährigen mit einem Online-Fragebogen erreichen, auf dem sie angeben, ob sie Interesse an einem freiwilligen Grundwehrdienst haben, der mindestens sechs Monate dauert. Damit will er zunächst 5.000 Männer und Frauen pro Jahr gewinnen und ausbilden lassen, später mehr. Für Männer ist die Beantwortung des Schreibens verpflichtend, für Frauen freiwillig.

Bettina Markmeyer, Dirk Baas