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Gesundheit

Klinikreform: Krankenkassen sehen hohe Kosten bei wenig Nutzen




Beatmungsgerät auf einer Intensivstation in Frankfurt am Main
epd-bild/Heike Lyding
Für die einen ist es ein Meilenstein deutscher Gesundheitspolitik, die anderen sehen in Lauterbachs Klinikreform eine mittlere Katastrophe. Jetzt hat der Minister sein Vorhaben ins Kabinett gebracht - und die Kritik der Verbände reißt nicht ab.

Berlin (epd). Man muss schon lange suchen, um in den Kommentaren zur vom Kabinett am 15. Mai beschlossenen Klinikreform positive Anmerkungen zu finden. Das Projekt bleibt höchst umstritten - aus einer Vielzahl von Gründen. Die Grünen, die ja mit am Kabinettstisch sitzen, sprechen dagegen von einem „weiteren wesentlicher Meilenstein bei der so dringend notwendigen Krankenhausreform“. Die Ziele ab 2026: weniger Kliniken, mehr spezialisierte Krankenhäuser, einheitliche Qualitätsregeln und mit den sogennannten Vorhaltepauschalen ein völlig anderes Finanzierungssystem, das den wirtschaftlichen Druck mindern soll.

Laut Janosch Dahmen, Sprecher für Gesundheitspolitik, und Armin Grau, Obmann im Gesundheitsausschuss, liege nun aufbauend auf den Vorschlägen der Regierungskommission und den zwischen Bund und Ländern vereinbarten Eckpunkten ein Gesetzesentwurf vor, „der die Verbesserung der Versorgungsqualität und die wirtschaftliche Absicherung der Krankenhäuser in den Mittelpunkt stellt“. Sie betonen: „Ohne eine wirksame Krankenhausreform würden viele Krankenhäuser in existenzielle wirtschaftliche Not geraten und gerade auf dem Land und in strukturschwachen Regionen würde die Schließung kleinerer Kliniken drohen.“ Durch die Reform werde langfristig sichergestellt, dass sich Patientinnen und Patienten darauf verlassen können, dass Qualität und Erreichbarkeit der Grund- und Spezialversorgung in Zukunft überall gesichert blieben.

Lauterbach verteidigt seine „Notbremse“

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) selbst teilte mit, mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) ziehe die Bundesregierung die Notbremse. „Ohne die Strukturen der stationären Versorgung zu ändern, drohen Klinikinsolvenzen, schlechte Behandlung und weite Wege. Mit der Reform können wir dagegen in einer alternden Gesellschaft gute stationäre Behandlung für alle gewährleisten. Das Krankenhaus auf dem Land, die Geburtsstation in erreichbarer Nähe, eine schnelle Versorgung im Notfall und hervorragende Qualität bei komplizierten Eingriffen - diesen berechtigten Ansprüchen der Patientinnen und Patienten müssen wir gerecht werden.“

Doch diese Argumente verfangen offenbar nicht. Bei Opposition, Krankenkassen und Klinikverbänden reißt die Kritik nicht ab. CDU/CSU-Fraktionsvize Sepp Müller sagte auf „Web.de News“, die Ampel hinterlasse nur Chaos und weiße Flecken bei der Gesundheitsversorgung. Die Unionsfraktion im Bundestag halte die geplante Krankenhausreform für unzureichend. Sie werde dem Anspruch einer guten Gesundheitsversorgung in der Stadt und auf dem Land nicht gerecht. Die angespannte Lage in vielen Krankenhäusern spitze sich immer weiter zu. Die Unionsfraktion fordert deswegen ein Vorschaltgesetz für die Zeit des Übergangs, um den Kliniken finanzielle Spielräume zu sichern - eine Forderung, die auch die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder stets erhoben hatten. „Ohne eine finanzielle Absicherung wird eine kalte Strukturbereinigung folgen“, sagte Müller. Die Zunahme an Insolvenzen im Krankenhausbereich bestätige das.

AOK warnt vor enormen Kosten für Beitragszahler

Erneute Kritik äußerte auch die AOK. Sie erwartet enorme Kosten für Beitragszahlende bei unklarem Nutzen für die Qualität der Patientenversorgung - und will nicht für die Strukturreform im Klinikwesen mit Beitragsgeldern aufkommen. Aus der Sicht des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbandes, Jens Martin Hoyer, müssten Reformen und die Finanzierung bei der Umsetzung der Krankenhausreform Hand in Hand gehen. „Wenn die Pläne zur Finanzierung der Krankenhausreform weiter durchsegeln wie heute vom Kabinett beschlossen, wird das die Beitragszahlenden der GKV sehr teuer zu stehen kommen und zu höheren Beitragssätzen führen.“

Er rügte, dass die gesetzliche Krankenversicherung die Modernisierung der Krankenhauslandschaft bezahlen solle, obwohl das die bisherige Logik der Krankenhausfinanzierung auf den Kopf stelle. „Für die Bezahlung der Investitionskosten sind ausschließlich die Länder zuständig, aber nicht die gesetzlichen Krankenkassen.“ Wer wie die Länder allein über die Krankenhausstruktur bestimmen wolle, müsse auch die dafür entstehenden Kosten vollumfänglich übernehmen.

GKV verweist auf Zuständigkeit der Länder

Ähnlich distanziert äußerte sich der GKV-Spitzenverband: „Auf- und Umbau von Krankenhäusern sind originäre Aufgaben des Staates und zuvorderst der Bundesländer. Die Finanzierung der Behandlungen und Operationen ist hingegen die Aufgabe der Krankenkassen“, sagte Vorständin Stefanie Stoff-Ahnis. Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Aufgabenteilung sei es absolut inakzeptabel, den Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenkassen den größten Anteil der Finanzierung des Transformationsfonds aufzubürden. „Mit ihren Finanzierungsplänen tritt die Bundesregierung in einer ohnehin angespannten Finanzsituation der GKV eine Kostenlawine los, die auf die Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenkassen zurollt. Das lehnen wir nachdrücklich ab“, so Stoff-Ahnis.

Sie rechnete vor: Der Krankenhaustransformationsfonds soll 50 Milliarden Euro umfassen, von denen die gesetzlichen Krankenkassen 25 Milliarden Euro übernehmen sollen. Die private Krankenversicherung ist mit 0 Euro beteiligt. „Das sind 25 Milliarden Euro aus den Portemonnaies der Beitragszahlenden für eine staatliche Aufgabe“, bei der noch nicht mal sicher sei, in welche Richtung und mit welchem konkreten Zielbild losgegangen werde.

Kritik an geplanter Vorhaltevergütung

Simon Reif, Leiter der ZEW-Forschungsgruppe „Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik“ am ZEW Mannheim, sieht ebenfalls Korrekturbedarf. „Grundsätzlich ist es sehr zu begrüßen, dass sich die Bundesregierung einer Krankenhausreform annimmt. Die aktuelle Krankenhausstruktur ist einer der Gründe dafür, dass in Deutschland beispielsweise trotz einer im internationalen Vergleich sehr hohen Anzahl an Pflegekräften über Pflegemangel geklagt wird. Es besteht aber noch dringend Verbesserungsbedarf am aktuellen Entwurf des Gesetzes“, so der Professor.

Der Ansatz zur Vorhaltevergütung stelle den Krankenhäusern im Grunde kein Geld für die Vorhaltung bereit, sondern knüpfe diesen Vergütungsbestandteil an die Anzahl an Behandlungsfällen. „Eine echte Vorhaltevergütung würde die reine Vorhaltung eines Versorgungsangebots finanziell abgelten, und zwar unabhängig von der erbrachten Leistungsmenge.“ Deshalb würde dieser Ansatz sowohl aktuelle Fehlversorgung fortschreiben als auch weiterhin den Anreiz setzen, möglichst viele Operationen zu erbringen.

Ver.di mahnt Nachbesserungen an

Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler sagte: „Es ist gut, dass die Bundesregierung in Sachen Krankenhausreform aufs Tempo drückt. Der heute vorgelegte Gesetzentwurf muss allerdings deutlich nachgebessert werden, um das zentrale Ziel zu erreichen: eine bedarfsgerechte, wohnortnahe und am Gemeinwohl orientierte Gesundheitsversorgung.“ Für eine hochwertige Qualität im Krankenhaus brauche es nicht nur Routine der Operateure und eine gute technische Ausstattung. Entscheidend ist auch, dass genug qualifiziertes Personal eingesetzt wird. „Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft ver.di nach derzeitigen Planungen nicht in dem Ausschuss vertreten sein sollen, der die Qualitätskriterien festlegt“, so Bühler.

Dirk Baas