Berlin (epd). Ohne Geld geht nichts im Kampf gegen Wohnungslosigkeit, vor allem, wenn mehr neue Wohnungen im bezahlbaren Segment entstehen sollen. Doch Geld allein sei nicht alles, sagt Joachim Krauß. Er begrüßt den wenn auch unverbindlichen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit. Und hofft, dass jetzt verschiedene Maßnahmen gleichzeitig ergriffen werden. „So müssen präventive Maßnahmen verstärkt werden, um zu verhindern, dass Menschen überhaupt ihre Wohnungen verlieren. Dazu gehört der Ausbau von Fachstellen, die Einführung von Schonfristzahlungen und die langfristige Bindung von Wohnraum an soziale Kriterien.“ Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Von Christian Lindner (FDP) stammt der Spruch, es sei besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Ist es also nun besser, einen viel kritisierten „Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit“ zu haben als gar kein Konzept?
Joachim Krauß: Herr Lindner würde uns nicht vordergründig als Protagonist für den Nationalen Aktionsplan einfallen. Aber sein Ressort ist ganz entscheidend, denn ohne finanzielle Unterfütterung wird es keine Erfolge geben. Ansonsten muss man die Frage mit Ja beantworten. Die Bundesregierung bringt erstmalig zum Ausdruck, dass die Überwindung der Obdachlosigkeit eine ressort- und akteursübergreifende Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen ist.
epd: Warum ist es so relevant, dass alle an einem Strang ziehen?
Krauß: Das ist ein wichtiges politisches Signal. Die Bundesregierung nimmt sich des Themas an und bekennt sich damit zu ihrer sozialstaatlichen Pflicht. Darüber hinaus wird auch die Öffentlichkeit auf die gesellschaftliche Problemlage aufmerksam gemacht. Dadurch gelangen die Themen Wohnungsnot, Obdachlosigkeit, Diskriminierung und auch gesundheitliche Verelendung verstärkt in die gesellschaftliche Diskussion.
epd: Ist die jetzt vorgelegte Strategie, wie Wohnungslosigkeit zurückgedrängt werden soll, mehr als eine blumige Absichtserklärung, denn es fehlen ja zentrale und auch messbare Zielgrößen?
Krauß: Wir als BAG W sehen den Plan als Ergebnis politischer Kompromissfindung. Nichtsdestotrotz ist es korrekt, dass wir nachprüfbare Ziele und Zeitpläne im Aktionsplan vermissen und sie als zielführend erachtet hätten. Die Bundesregierung muss nun schnellstmöglich handeln und konkrete Maßnahmen umsetzen.
epd: Ist es korrekt, dass das hehre Ziel, bis 2030 Wohnungslosigkeit komplett zu überwinden ist, nur durch den massiv gesteigerten Bau von bezahlbaren und damit Sozialwohnungen gelingen kann?
Krauß: Ja, das ist einer der wichtigsten Schlüssel. Aber allein auf den Neubau können wir nicht warten. Mehrere Maßnahmen müssen jetzt gleichzeitig ergriffen werden. Erstens müssen präventive Maßnahmen verstärkt werden, um zu verhindern, dass Menschen überhaupt ihre Wohnungen verlieren. Dazu gehört der Ausbau von Fachstellen, die Einführung von Schonfristzahlungen und die langfristige Bindung von Wohnraum an soziale Kriterien. Zweitens müssen Menschen, die bereits wohnungslos sind, durch Quotierungen wieder in den Wohnungsmarkt integriert werden. Ansonsten haben sie in der Regel keine Chance auf dem angespannten Mietmarkt.
epd: Nochmal zurück zu den Bauvorhaben. Ist es nicht schon heute völlig illusorisch, auf den schnellen Bau von Zehntausenden Wohnungen zu hoffen, wo die Baubranche mehr oder weniger zusammengebrochen ist und Bund und Länder Milliarden investieren müssten, die sie gar nicht haben?
Krauß: Schon aus Gründen der Ressourcenschonung ist nicht nur auf Neubau zu setzen. Es geht auch um die Frage, wie Leerstand von Immobilien beseitigt wird, wie die Umnutzung ungenutzten Gewerbeimmobilien funktioniert und es braucht einfach mehr Wohnungen im Bestand der Kommunen, die sie der Marktlogik entziehen können.
epd: Immer wieder wird auch gefordert, dass Kommunen Sozialwohnungen ankaufen, um obdachlose Menschen unterzubringen. Wie realistisch ist das, wo man doch unterstellen darf, dass auch Wohnungen, die die Sozialbindung verlieren, vermietet sind?
Krauß: Wir sehen aktuell mit steigenden Mieten und fehlenden Sozialwohnungen die Konsequenzen der Entscheidungen von vor zwanzig und mehr Jahren, als zahlreiche Kommunen ihren Wohnungsbestand verkauften. Es wird aber kein Weg daran vorbeiführen, wenn der wachsenden Zahl wohnungsloser Menschen wirksam geholfen werden soll, braucht es mehr Wohnungen, die nicht der Gewinnoptimierung unterliegen. Somit besteht hoher Handlungsdruck für viele Städte.
epd: Was sind wichtige Stellschrauben, an denen an der Basis gedreht werden kann, und für die weniger Geld nötig ist?
Krauß: Es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn die Hilfen nach §§ 67 ff. SGB XII bundesweit niedrigschwellig und rechtskonform umgesetzt würden. Die ordnungsrechtliche Unterbringungsverpflichtung müssen die Kommunen allen gewähren, die des Schutzes bedürfen. Der Datenschutz darf nicht dazu führen, dass im Falle von Zwangsräumungen es keinen Informationsfluss zwischen den relevanten Stellen geben kann, die eine Räumung verhindern könnten. Wir müssen uns darüber bewusst sein, dass Mieterschutz, Prävention, kurze Unterbringungszeiten und angemessene Standards in der ordnungsrechtlichen Unterbringung Geld kosten. Für die Einrichtung kommunaler Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlust braucht es anfangs auch Ressourcen. Die Etablierung nachhaltiger Strukturen ist erst einmal aufwendig, aber so minimiert man langfristig die Kosten und sorgt für sozialen Frieden.
epd: Blicken wir auf das Mietrecht. Müssten hier nicht auch rechtliche Anpassungen erfolgen, um die Prävention zu stärken und Wohnungsverluste zu vermeiden? Während der Corona-Pandemie gab es doch etwas schon.
Krauß: Ja, es braucht zum Beispiel Schonfristzahlungen, damit nicht nur die außerordentliche Kündigung, sondern auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses geheilt wird. Hier muss der Gesetzgeber aktiv werden. Zudem wurden während Corona die Zwangsräumungen ausgesetzt, was wir sehr begrüßt haben. Nach der Pandemie haben die Räumungen aber schnell wieder ein hohes Maß erreicht. Und es muss unbedingt sichergestellt werden, dass eine Zwangsräumung nicht in die Wohnungslosigkeit führt.
epd: Kommunale Präventionsstellen gegen Wohnungsverlust sieht nun auch der Regierungsplan vor. Die gibt es doch in manchen Bundesländern schon. Aber unter dem Strich ist die Zahl der Wohnungslosen zuletzt weiter gestiegen?
Krauß: Das stimmt leider. Die Präventionsstellen müssen ausgeweitet und flächendeckend im Bundesgebiet vorzufinden sein, damit sie für jeden und jede erreichbar sind. Die Fachstellen sind die ersten Anlaufstellen, die eingreifen, bevor ein Wohnungsnotfall eskaliert. Wenn Sie auf die Zusammensetzung der Gruppe der Wohnungslosen schauen, erkennen Sie, dass es einen hohen Anteil an Menschen mit Fluchthintergrund betrifft. Hier sehen wir die Auswirkungen des drastischen Mangels an bezahlbaren Wohnungen.
epd: Form und Dimension von Obdachlosigkeit sind lokal sehr unterschiedliche ausgeprägt. Jetzt soll ein Nationales Forum gegen Obdachlosigkeit mit einem speziellen Lenkungskreis entstehen. Das klingt eher nach Beratungen von Expertinnen und Experten, dicken Planungspapieren und weniger nach Schritten der Tat. Wie sinnvoll ist ein solches Gremium?
Krauß: Es darf auch aus unserer Sicht nicht zu einem Missverhältnis zwischen konkreten Maßnahmen und zusätzlichen Gremien kommen. Eine gute Koordination im föderalen System ist notwendig. Aber ob und wie sie erfolgen wird, bleibt noch abzuwarten. Für uns ist wichtig, dass die Förderinstrumente und leistungsfähiger Strukturen der Umsetzung gut ausgestaltet werden. Durch eine nachhaltige Finanzierung könnte hier Herr Lindner gutes Regierungshandeln zeigen.