Berlin (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat für mehr Dienste an der Gemeinschaft geworben, um den Zusammenhalt zu fördern. Deutschland brauche „engagierte Mitmenschlichkeit“, gerade weil gesellschaftliche Konflikte schärfer würden, sagte der Bundespräsident am 15. Mai in Berlin. Zum 60. Jubiläum des Freiwilligen Sozialen Jahres rief Steinmeier zu einer offenen Debatte über Freiwilligen- oder Pflichtdienste auf. Er selbst hatte im vorigen Jahr eine soziale Pflichtzeit ins Gespräch gebracht. Die Wohlfahrtsverbände lehnen Pflichtdienste ab.
Steinmeier sagte, trotz unterschiedlicher Auffassungen über Freiwilligen- und Pflichtdienste dürfe man das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verlieren. Es komme darauf an, dass möglichst viele Menschen einmal in ihrem Leben etwas für das Gemeinwesen täten und die Erfahrung machten, für andere da zu sein. Er sehe „mit Sorge“, wie schwer es vielerorts geworden sei, Menschen für freiwilliges Engagement zu gewinnen. Angesichts der veränderten Sicherheitslage müsse in die Debatte über Bürgerdienste auch die Frage eines Wehrdienstes und die Kombination verschiedener Dienstformen einbezogen werden, sagte Steinmeier.
Der Bundespräsident sprach auf einer Festveranstaltung, mit der die Evangelischen Freiwilligendienste an die Einführung des Diakonischen Jahres vor 70 Jahren erinnerten, aus dem die Jugendfreiwilligendienste hervorgingen. Nach dem Aussetzen der Wehrpflicht wurden sie 2011 um den Bundesfreiwilligendienst erweitert. Auch bei der Bundeswehr ist es möglich, einen Freiwilligendienst zu leisten.
Als Geburtsstunde der Freiwilligendienste gilt das Diakonische Jahr: Am 9. Mai 1954 rief der damalige Leiter der nordbayerischen Diakonie Neuendettelsau, Hermann Dietzfelbinger, junge Frauen dazu auf, „ein Jahr ihres Lebens für die Diakonie zu wagen“. Am 29. April 1964 verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Förderung eines Freiwilligen Sozialen Jahres. Es schuf den gesetzlichen Rahmen für die heutigen Freiwilligendienste.
„Mit dem Aufruf zum Diakonischen Jahr 1954 wurde eine Gründungsidee geboren, die sich in den folgenden Jahrzehnten zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt hat. Heute engagieren sich in den Freiwilligendiensten zwischen Oberstdorf und Flensburg, zwischen Aachen und Görlitz und zwischen San José und Manila jährlich rund 14.000 Menschen in Kirche und Diakonie“, sagte Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch in seiner Begrüßung. Und mit Blick auf die Zukunft fügte er hinzu: „Unsere Vision ist eine langfristig gesicherte Finanzierung der Dienste sowie ein Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst.“
Er forderte ausreichende Ressourcen für die Dienste und einen Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst im In- oder Ausland. Jede und jeder, die oder der einen solchen Dienst leisten wolle, müsse ihn auch absolvieren können. „Aus 100.000 könnten gerne auch 200.000 Freiwillige im Jahr werden“, sagte Schuch.
Auch die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, forderte eine „verlässliche finanzielle Förderung durch den Bundeshaushalt“. Schon die heutigen Dienste bräuchten „dringend“ stabile Rahmenbedingungen.
Angesichts der Sparvorgaben für den Bundeshaushalt 2025, der derzeit von der Regierung erarbeitet wird, fürchten die Träger der Freiwilligendienste eine Wiederauflage der Kürzungspläne für den Bundeshaushalt 2024, die im Verlauf der Haushaltsberatungen nur teilweise zurückgenommen worden waren. Diakonie und evangelische Träger der Freiwilligendienste rechnen nach eigenen Angaben damit, dass Anfang des kommenden Jahres ein Viertel der bisherigen Mittel fehlen. Das Bundesfamilienministerium teilte auf Nachfrage mit, konkrete Aussagen zu den künftigen Freiwilligenjahrgängen könnten voraussichtlich erst im Sommer getroffen werden.
Mit mehr als 60 Organisationen sind die evangelischen Träger nach Angaben ihrer Dachorganisation der größte Anbieter von Freiwilligenplätzen in Deutschland. Jedes Jahr treten bei den evangelischen Organisationen rund 14.000 neue Freiwillige den Dienst an, bundesweit rund 100.000 Menschen.
Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge gratulierte zum Bestehensfest und erinnerte daran, dass bislang bereits 300.000 Menschen Freiwilligendienst bei evangelischen Trägern im In- oder Ausland geleistet haben. Er wünsche „viel Kraft für das weitere Engagement, um die Freiwilligendienste die nächsten Jahrzehnte zu erhalten“. Er selbst arbeite ebenfalls daran, dass diese Dienste für ein solidarisches Miteinander nicht vernachlässigt würden: 2023 hat der Verein Empfehlungen zur Verbesserung des Zugangs zu sozialen Berufen durch Freiwilligendienste veröffentlicht.