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Das FSJ wird 60 - (k)ein Grund zum Feiern




Tobias leistete sein Freiwilliges Soziales Jahr in Berlin ab (Archivbild)
epd-bild/Jürgen Blume
Am 29. April 1964 verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Förderung eines Freiwilligen Sozialen Jahres. 60 Jahre später bedrohen Mittelkürzungen durch den Bund das vor allem bei jungen Menschen beliebte FSJ. Sozialverbände schlagen Alarm.

Berlin, Hamburg (epd). 60 Jahre sind ein Grund zum Feiern. Eigentlich. Im Fall des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ), das am 29. April einen runden Geburtstag hatte, lässt wohl niemand die Korken knallen. Die Zukunft des FSJ sei von Mittelkürzungen durch den Bund bedroht, beklagen Sozialverbände. Die Rede ist von einem „Desaster“.

Der Deutsche Caritasverband forderte am 29. April in Berlin eine gesetzlich gebundene Finanzierung durch Bund. Und fragt: Was ist uns Engagement in Deutschland wert? „Erst ein Rechtsanspruch kann eine auskömmliche und verlässliche Finanzierung der Freiwilligendienste garantieren, unabhängig von Sparhaushalten“, sagte Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, zur Begründung der Forderung: „Ohne eine verlässliche Finanzierung ist die notwendige Struktur in den Einrichtungen und Diensten der Träger auf Dauer nicht zu halten.“

Verlässliche Finanzierung angemahnt

Sobald es einen gesetzlichen Rechtsanspruch gebe, könnten Träger, Einrichtungen und Freiwillige sicher sein, dass jeder einzelne Freiwilligendienst mit einem verpflichtenden Kostenzuschuss finanziert wird. Das gibt laut Caritas Einrichtungen Planungssicherheit, etwa im Hinblick auf die Finanzierung der pädagogischen Begleitung. Und auch diejenigen, die den Freiwilligendienst leisten, könnten sich auf die Finanzierung ihres Taschengelds für ihren meist 12-monatigen Einsatz verlassen. Auf die derzeit unsichere Finanzierung wurde auch bei einem deutschlandweiten ein Aktionstag am 29. April unter dem Motto „#keinehalbensachen“ aufmerksam gemacht.

Die Freiwilligendienste sind laut Caritas eine Erfolgsgeschichte in Deutschland. Das Interesse an diesem freiwilligen Engagement wachse von Jahr zu Jahr. Das zeigten die Teilnehmendenzahlen. Im Startjahr 1964 machten rund 1500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein FSJ. Im Jahr 2022 waren es rund 46.830 junge Menschen, die ein FSJ absolvierten. Insgesamt engagieren sich heute rund 100.000 Freiwillige pro Jahr im BFD, FSJ, FÖJ und den internationalen Freiwilligendiensten.

Dienste wichtig für gesellschaftlichen Zusammenhalt

Die Bedeutung der Freiwilligendienste für die Gesellschaft könne kaum hoch genug eingeschätzt werden, sagte der Vorstandsvorsitzende des Verbandes diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD), Ingo Habenicht in Bielefeld. „Soziales Engagement eröffnet Erfahrungshorizonte, die für jeden prägend sind. Zudem wirkt es dem Auseinanderdriften unserer Gesellschaft entgegen. Deshalb befürworte ich ein soziales Pflichtjahr.“

Für das Sozialunternehmen Diakoneo aus Bayern sagte die Vorständin Bild, Verena Bikas, die jährlich bis zu 80 Freiwilligen seien eine wertvolle Unterstützung: „Sie entlasten hauptberufliche Kräfte, weil sie praktische, zusätzliche Tätigkeiten übernehmen. In ihrem Freiwilligenjahr können sie sich in sozialen Arbeitsfeldern ausprobieren, erhalten einen praxisnahen Einblick und entscheiden sich vielleicht für einen gesellschaftlich wichtigen, wertvollen und sinnerfüllenden Beruf.“ Allerdings sei eine höhere Förderung dringend nötig, um die in den letzten Jahren gestiegenen Mehrausgaben kompensieren und die Qualität erhalten zu können.

Kürzungen gerade noch abgewendet

Im Herbst vergangenen Jahres wurden in letzter Minute Haushaltskürzungen für 2024 abgewendet. Jetzt drohe für das kommende Jahr eine schwere Lücke, warnt der Paritätische Wohlfahrtsverband: „Für 2025 sind im Bundeshaushalt für die Freiwilligendienste Mittelkürzungen von ca. 25 Prozent geplant.“ Von den Kürzungen wäre allein beim Paritätischen Hamburg bis zu einem Viertel der Einsatzstellen betroffen.

„Setzen sich die Planungen durch, fielen viele Kräfte weg, die etwa in Kitas, Seniorenheimen, Jugendeinrichtungen oder in der Suchthilfe im Alltag unterstützen und zusätzliche Angebote machen können, wie zum Beispiel Spaziergänge, Begleitung bei Arztbesuchen, Musik- oder Spieleangebote oder einfach nur Zuhören“, warnt Kristin Alheit, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Hamburg.

Weitere Einsparungen stehen im Raum

In den Einrichtungen der Diakonie Hamburg leisten nach Angaben des Diakonischen Werks jedes Jahr rund 1.000 zumeist junge Menschen einen Freiwilligendienst. Die angekündigten Kürzungen für die Freiwilligendienste wirkten sich bereits jetzt aus, heißt es. Das Diakonische Werk spricht von 7,5-prozentigen Kürzungen für den neuen FSJ-Jahrgang, der ab September startet, und von Kürzungen um 25 Prozent für den Bundesfreiwilligendienst ab Anfang 2025. Für den Jahrgang ab Sommer 2025 stünden im FSJ sogar weitere Kürzungen von 35 Prozent gegenüber 2023/2024 im Raum. Die Kürzungen würden die Zahl der Plätze in den Freiwilligendiensten deutlich reduzieren, die Vielfalt der Einsatzstellen einschränken und die erreichbaren Zielgruppen verkleinern.

„Freiwilligendienste ermöglichen einen Perspektivwechsel, persönliche Bildung, gesellschaftliches Engagement und auch berufliche Orientierung. Sie sind für junge Menschen ein Geschenk“, so Welskop-Deffaa. „Anstelle der erprobten Freiwilligendienste einen Pflichtdienst einzuführen, wie es immer wieder diskutiert wird, halte ich für falsch. Wir müssen das Erfolgsmodell der Freiwilligenjahre ausbauen und mit einem Rechtsanspruch weiterentwickeln.“

Ein Rechtsanspruch, zu dem die Schüler und Schülerinnen rechtzeitig beraten werden, ermutige die Entscheidung für ein freiwilliges Gesellschaftsjahr und erleichtere die Wahl zwischen zivilen Freiwilligendiensten, Katastrophenschutz und Bundeswehr. Vor allem: Er respektiert die Selbstbestimmung der jungen Menschen. „Zusammenhalt lässt sich nicht verordnen.“

Dirk Baas, Marcel Maack