Frankfurt a. M. (epd). Es waren überaus zähe und nicht selten hitzige Debatten, die am 29. April 1994 schließlich nach zwei Sitzungen des Vermittlungsausschusses des Bundestags und des Bundesrats durch einen einstimmigen Beschluss in das „Pflege-Versicherungsgesetz (PflegeVG)“ mündeten: Deutschland bekam eine fünfte Säule der sozialen Sicherung - ergänzend zur Kranken-, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung.
Hauptgrund dieser lange diskutierten Neuerung: Für die teure Unterbringung in einem Pflegeheim reichte selbst eine hohe Rente oftmals nicht aus. Die Sozialhilfe musste vielfach einspringen, und das drohte die Kommunen finanziell zu überfordern. Zudem lagen valide Berechnungen zur künftig höheren Lebenserwartung vor, die die Zahl der Pflegebedürftigen langfristig würde ansteigen lassen.
Anfangs heftig umstritten war vor allem die Finanzierung dieses Mammutprojektes. Um die Arbeitgeber bei der paritätischen Beitragsfinanzierung des neuen Systems zu entlasten, wurde ein gesetzlicher Feiertag gestrichen - in den meisten Bundesländern war das der Buß- und Bettag.
Dass es nach 20 Jahren politischen Zauderns zu einer sozialen Pflegeversicherung kam, die im Umlageverfahren finanziert wurde, war lange Zeit keinesfalls sicher. Denn im Raum stand auch das konkurrierende Modell einer privatwirtschaftlichen Versicherungslösung, dem seit jeher die Liberalen zuneigten.
Schließlich setzte sich Norbert Blüm, Bundessozialminister unter Kanzler Helmut Kohl (beide CDU), mit seinem Ansatz jedoch weitgehend durch. Seit dem 1. Januar 1995 ist das Risiko der Pflegebedürftigkeit teilweise abgesichert durch eine Pflichtversicherung für alle Arbeitnehmer, die paritätisch von Beschäftigten und Arbeitgebern finanziert wird.
Weil die neue Versicherung mit ihrer Gründung noch nicht über finanzielle Mittel verfügte, startete sie in zwei Schritten. Ab dem 1. Januar 1995 wurden zwar Beiträge eingezogen, doch es konnten noch keine Zahlungen beantragt werden. Das war erst drei Monate später möglich, wenn auch nur für Leistungen der ambulanten Pflege. Im Rahmen der zweiten Stufe bestand ab dem 1. Juli 1996 dann auch ein Anspruch auf stationäre Pflegeleistungen.
Die neue Versicherung hatte von Anbeginn einige Konstruktionsmängel. Das wusste auch Minister Blüm: „Eine Pflegeversicherung ist nie fertig.“ Und da ging es keineswegs nur um Fragen des Geldes, also letztlich der Höhe der zu zahlenden Beiträge.
Problematisch zum Start war auch die Frage, wie Pflegebedürftigkeit - und damit der Anspruch auf Leistungen - definiert wurde. Zunächst blickten die Expertinnen und Experten vor allem auf körperliche Einschränkungen der Seniorinnen und Senioren. Gerontopsychiatrische und psychische Beeinträchtigungen wurden kaum berücksichtigt. So fiel Demenz zunächst nicht unter die Einschränkungen, die zu Hilfen berechtigten.
Das Gesetz wurde stetig reformiert: 2013 wurde das „Pflege-Neuausrichtungsgesetz“ verabschiedet, das zu höheren Beiträgen und zu einem höheren Pflegegeld führte. Neue Regelungen gab es auch zur Entlastung der Angehörigen, der besseren Beratung der Pflegebedürftigen sowie zur Betreuung der Pflegebedürftigen in Wohngruppen.
Ganz grundlegend fiel eine weitere Reform 2017 aus, als aus drei Pflegestufen fünf Pflegegrade wurden. Entscheidend für die Höhe der Leistungen ist seither der Grad der Selbstständigkeit des Pflegebedürftigen, ermittelt durch ein komplexes Punktesystem.
Die stetig wachsende Zahl der Pflegebedürftigen hält den Reformdruck hoch. Nicht zuletzt sorgt der seit Jahren immer höher werdende Eigenanteil der Pflegeheimbewohner für Forderungen nach einem radikalen Systemwechsel - weg vom Prinzip der Teilleistungsversicherung hin zu einer Art Vollkaskoversicherung.