Berlin (epd). Katrin Göring-Eckardt, die der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehört, sagt, es sei für die Betroffenen „nichts anderes als brutal“, dass es durch die vielen Landeskirchen keine Einheitlichkeit etwa bei der Aufarbeitung gebe. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) fordert sie: „Wir müssen unsere kirchlichen Strukturen verschlanken.“ Die Fragen stellte Corinna Buschow.
epd sozial: Nach der Veröffentlichung der Studie über Ausmaß und Risikofaktoren sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche (ForuM) ist viel die Rede davon, das Bild der mutmaßlich „besseren Kirche“ sei erschüttert. Sie gehören der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an. Gilt das auch für Sie?
Katrin Göring-Eckardt: Ja, klar. Wir sind nicht „besser“ als die katholische Kirche. Auch nicht sicherer als andere Gesellschaftsbereiche. Die Studie hatte auch die Ehrenamtlichen einbezogen. Herausgekommen ist allerdings eindeutig: Es waren fast ausschließlich Männer Täter. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kirche ein sicherer Ort ist. Im Pfarrhaus, in der Kirche und erst recht in der ehrenamtlichen Jugendarbeit.
epd: Die Diskussion nach der Vorstellung der Studie drehte sich zunächst mehr um die Kritik der Forscher an mangelnden Informationen und „schleppender Zuarbeit“ der Landeskirchen. Sind Sie darüber verärgert?
Göring-Eckardt: Ja, zugleich habe ich inzwischen mit einigen sprechen können, die gesagt haben, sie hätten es durchaus geschafft, auch alle Personalakten und nicht nur die Disziplinarakten anzuschauen oder das auch getan haben. Weil es einige nicht schaffen konnten, wurde die Untersuchung aber auf Disziplinarakten beschränkt. Die Kritik daran ist natürlich für diejenigen frustrierend, die sehr viel Arbeit reingesteckt haben, um es zu schaffen. Das zeigt aber nur noch mal eines: Unsere Strukturen sind nicht gut dafür, es fehlt uns ein einheitliches Vorgehen.
epd: Das heißt?
Göring-Eckardt: Wir diskutieren seit Jahren darüber, dass wir mehr zentrale Strukturen brauchen, gerade in Verwaltungs- und Gesetzesfragen. Wir haben auch darüber geredet, ob man weitere Landeskirchen zusammenlegen muss. Da sind viele dann schnell mit Ausreden zur Stelle und die wirklich großen Reformen bleiben aus. In diesem Fall ist es für die Betroffenen von sexualisierter Gewalt nichts anderes als brutal, dass es keine Einheitlichkeit gibt. Ich bin froh, dass es jetzt die gemeinsame Verabredung zwischen der unabhängigen Missbrauchsbeauftragten mit der EKD und den Landeskirchen zu Standards der Aufarbeitung gibt. Trotzdem sind es dann immer noch neun verschiedene Gruppen, die sich damit beschäftigen.
epd: Sie meinen die regionalen Verbünde, zu denen sich die Landeskirchen und diakonischen Verbände laut der Vereinbarung zusammenschließen wollen, um über weitere Aufarbeitung, aber auch einheitliche Entschädigungsverfahren zu beraten. Denken Sie, das ist zum Scheitern verurteilt?
Göring-Eckardt: Nein, das ist das Maß an Vereinheitlichung, das jetzt möglich ist. Ich finde nur, wir sollten dabei nicht stehen bleiben. Die größeren Reformen dürfen nicht liegen bleiben. Bisher haben wir immer gedacht, die Vielzahl der Landeskirchen ist nur eine Frage unserer innerkirchlichen Verfassung. Aber jetzt stellt die ForuM-Studie fest: Das geht nicht zuletzt auch zulasten der Betroffenen sexualisierter Gewalt, weil die Verantwortung in unseren vielen Gremien diffundiert. Also: Wir müssen unsere kirchlichen Strukturen verschlanken. Das legt im Übrigen ja auch die jüngste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung nahe.
epd: Welche Anzahl von Landeskirchen hielten Sie für angemessen?
Göring-Eckardt: Es gab ja schon einmal den Vorschlag, die Zahl der Landeskirchen an den Bundesländern zu orientieren. Mir geht es aber gar nicht so sehr um die Anzahl der Landeskirchen, sondern vielmehr um Strukturen in einer Größe, sodass sie wirklich funktionieren. Zudem schafft Verbindlichkeit an zentraler Stelle mehr Freiheit auf anderen Ebenen, beispielsweise in den Kirchenkreisen und Gemeinden. Ich weiß nicht, wie viel Prozent der Arbeit Pfarrerinnen und Pfarrer in Gremienarbeit stecken. Zu viel ist es definitiv. Wir müssen Gemeinden und kirchliche Orten sehr viel stärker entlasten, damit sie Luft haben, gute Arbeit im Sinne der Menschen zu machen. Trost und Zuversicht werden schließlich mehr denn je gebraucht, auch über unsere Mitgliedschaft hinaus.
epd: Was konkret hilft es aber den Betroffenen von Missbrauch, wenn die evangelische Kirche jetzt anfängt, über ihre Struktur zu debattieren?
Göring-Eckardt: Perspektivisch sehr viel. Die Studie hat gezeigt, dass die Betroffenen nicht nur durch konkrete Personen, sondern auch durch Strukturen gelitten haben. Und zwar doppelt. Die Strukturen haben Gewalt begünstigt und die Aufarbeitung schwer gemacht. Mit einer zentralen Struktur ist beispielsweise die Kommunikation für die Betroffenen einfacher. Sie müssen wissen: Wen können wir ansprechen? Wie ist diese Stelle erreichbar? Das ist zentral sehr viel einfacher.
epd: Die Betroffenen dringen vor allem auch auf einheitliche kirchliche Zahlungen, die sogenannten Anerkennungsleistungen. Das kann für die evangelische Kirche in Zeiten sinkender Mittel eine große finanzielle Herausforderung werden. Wie schwierig wird diese Debatte?
Göring-Eckardt: Es geht jetzt doch ganz grundsätzlich darum, ob wir wieder glaubwürdig sind. Also, trotz aller notwendigen und schwierigen Debatten: Die Betroffenen haben Priorität. Natürlich werden wir jetzt eine harte Debatte haben, weil wir eigene Verfehlungen aufarbeiten. Und weil wir andere Dinge nicht machen können. Aber da müssen wir durch und dürfen uns nicht wegducken.
epd: Noch eine Frage zum Handeln des Staates beim Thema Missbrauch: Die Ampel-Koalition wollte unter anderem die Missbrauchsbeauftragte durch eine gesetzliche Grundlage stärken. Passiert das noch?
Göring-Eckardt: Das Gesetz befindet sich in der Ressortabstimmung. Die Veröffentlichung der ForuM-Studie hat noch einmal klargemacht, dies zu priorisieren. Ich gehe davon aus, dass wir das in dieser Legislaturperiode gut hinbekommen. Aber noch mal ganz unmissverständlich: Das entbindet die Kirchen nicht, die eigenen Strukturen aufzuarbeiten. Die Kirchen müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und der Staat seine.