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Kritik an Bezahlkarte: "Bürokratisch, kostspielig und ineffektiv"




SocialCard für Asylsuchende in Hannover
epd-bild/LHH/Rheinländer
Die geplanten Bezahlkarten für Asylbewerber sorgen für Streit. Sozialverbände wie der Jesuiten-Flüchtlingsdienst gehen auf Distanz. Migrationsforscher teilen die Bedenken, sehen aber auch Vorteile. Länder und Kommunen streiten über die Kosten.

Düsseldorf, Berlin (epd). Die Caritas in Nordrhein-Westfalen nennt die flächendeckende Einführung von Bezahlkarten für Asylbewerber „zwar populär, aber letztlich bürokratisch, kostspielig und ineffektiv“. Frank Johannes Hensel, Sprecher der Caritasdirektoren in NRW, verwies jüngst auf Erfahrungen mit Sachleistungen aus früheren Jahren. Es sei weitaus sinnvoller, in die Integration von Menschen zu investieren als in Aufbau und Verwaltung von alternativen Bezahlsystemen, sagte Hensel.

Durch die Einführung von Debitkarten ohne Kontobindung sollen Asylbewerber künftig nur noch einen Teil der Sozialleistungen in bar erhalten, der Rest wird auf die Karte geladen. Die Länder versprechen sich davon eine Minimierung des Verwaltungsaufwandes und sehen deren bewusst restriktive Ausgestaltung als einen Weg, den Anreiz zum Zuzug von Geflüchteten zu senken. 14 Länder hatten sich Ende Januar auf ein gemeinsames Vergabeverfahren für eine Bezahlkarte verständigt. Elektronisch bezahlt werden kann nur, wenn ein Guthaben vorhanden ist. Ziel ist es auch, die Möglichkeit der Überweisung staatlicher Gelder in die Herkunftsländer der Geflüchteten zu erschweren.

Forscherin sieht vereinfachte Verwaltungsabläufe

„Die Erwartungen der Bundesländer, dass sich mit der Einführung der Bezahlkarte Verwaltungsverfahren vereinfachen, ist gerechtfertigt, wenn man zuvor mit Sachleistungen gearbeitet hat, also mit der Ausgabe von Kleidungsstücken oder Lebensmitteln an Asylsuchende“, sagte Birgit Glorius, die dem Sachverständigenrat Migration angehört, dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Diese müssen ja eingekauft werden, gelagert werden, ausgeteilt und die Ausgabe dokumentiert werden, und das ist in der Summe auf jeden Fall aufwendiger.“ Die Bezahlkarte müsse nur einmal ausgehändigt werden, alles andere erfolge auf digitalem Wege.

„Sicherlich benötigt die Auszahlung des den Asylsuchenden zustehenden Taschengeldes als Bargeldleistung weiterhin eine parallele Verwaltungsstruktur, aber die Kombination Bezahlkarte und Taschengeld ist in der Summe dennoch weniger aufwendig als die Kombination Sachleistungen und Taschengeld“, erläuterte die Professorin der TU Chemnitz.

„Sozialleistungen sind kein entscheidender Pull-Faktor“

Zugleich stellte die Migrationsforscherin klar, dass die Sozialleistungen, gleich in welcher Zahlart, kein entscheidender Pull-Faktor seien. „Sozialleistungen sind kein entscheidender Faktor für die Zielland-Entscheidung. “Ich würde Politikerinnen und Politikern aus dem demokratischen Parteienspektrum raten, sich mit entsprechenden öffentlichen Äußerungen ein wenig zurückzuhalten", sagte Glorius.

War es schon nicht möglich, sämtliche Bundesländer zu einem einheitlichen Vorgehen bei der Einführung der Bezahlkarte zu bewegen - Bayern und Mecklenburg-Vorpommern sind ausgeschert - so sind noch viele Fragen offen: etwa die der Kostenübernahme. Fachleute verweisen auf gravierende Nachteile im Alltag. So sei es für Geflüchtete dann meist nicht mehr möglich, in Second-Hand-Läden und Gebrauchtwarenhäusern einzukaufen oder Tafeln zu nutzen, wenn dort Barzahlung vorgegeben sei.

Caritas: Stigmatisierung an Supermarktkasse

„Mit der Nutzung wären Geflüchtete an jeder Supermarktkasse als Geflüchtete identifizierbar. Das grenzt ab und aus“, rügte Hensel, der Diözesan-Caritasdirektor im Erzbistum Köln ist: „Eine konstruktive Asylpolitik investiert in die Integration von Geflüchteten und stärkt sie in ihren Teilhabemöglichkeiten.“

In Bayern soll bereits in wenigen Wochen als Pilotprojekt in vier Kommunen eine Bezahlkarte für Asylbewerber testweise eingeführt werden. „Wir brauchen schleunigst eine wirksame Begrenzung der unkontrollierten Zuwanderung“, sagte der bayerische Ministerpräsident, Markus Söder (CSU), der „Bild am Sonntag“. Dazu brauche es eine Reduzierung der Anreize, um nach Deutschland zu kommen. Es sei keine Zeit mehr zu verlieren. „Unsere Bezahlkarte kommt schneller und ist härter. Während die Karte woanders erst ausgeschrieben wird, starten wir schon in einem Monat die Tests in der Praxis.“

Die „Bayern-Karte“ soll deutlich weniger Bargeldabhebungen ermöglichen als in anderen Bundesländern vorgesehen. Es können nur Waren in Geschäften des täglichen Gebrauchs gekauft werden. Onlineshopping, Glücksspiel und Überweisungen ins Ausland seien nicht möglich, erklärte Söder. Bargeld gebe es nur noch als kleines Taschengeld bis 50 Euro. Außerdem soll die Karte nur in der Nähe der Unterkunft genutzt werden können.

„Es hätte hier tatsächliche Lösungen geben können, die die Kommunen entlasten, weil ressourcenaufwendige Bargeldbeschaffung und Auszahlung wegfallen. Wie etwa von Beginn an den Zugang zum girokontogleichen Zahlungsverkehr zu ermöglichen, ebenso in Hannover geschehen“, sagte Katharina Grote vom Bayerischen Flüchtlingsrat. „Die Bayerische Staatsregierung will augenscheinlich keine Politik machen, die informiert ist und auf Tatsachen beruht. Statt von Vorreiterrolle, muss man hier eher von einer Politik der Ewiggestrigen sprechen, die die Augen vor der Faktenlage verschließt.“

Kostenübernahme sorgt für Streit

In NRW ist über die Kosten der Einführung der Bezahlkarte ein Streit entbrannt. Das Land will die Karte zwar flächendeckend einführen, die Kosten aber den Kommunen aufdrücken. Der Städte- und Gemeindebund übte daran Kritik und sieht die Wirksamkeit der Bezahlkarte gefährdet. Es sei nicht klar, in welchen Landkreisen die Karte überhaupt eingeführt werde, wenn die Kostenfrage nicht geklärt sei.

Weil Bund und Länder die Einführung der Bezahlkarte beschlossen hätten, müssten sie auch „vollständig die Kosten übernehmen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen, Christof Sommer, am 5. Februar in Düsseldorf. Es sei enttäuschend, dass das Land „einseitig Fakten geschaffen“ habe, ohne mit den Kommunen die Rahmenbedingungen zu besprechen, beklagte er. Nur wenn sie flächendeckend eingeführt werde, könne sie auch einen Beitrag leisten, Migration zu steuern, erklärte Sommer.

Eine Sprecherin der NRW-Staatskanzlei sagte dem epd, das Land werbe für einen „möglichst flächendeckenden“ Einsatz der Karte. Sie räumte allerdings ein: „Eine Übernahme der in den Kommunen entstehenden Kosten durch das Land ist in Nordrhein-Westfalen - auch vor dem Hintergrund der mit der Einführung der Bezahlkarte verbundenen Entlastungen - nicht geplant.“ Andererseits werde es in Nordrhein-Westfalen auch keinen „Anschlusszwang“ geben, sagte sie.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst: Kein Problem wird gelöst

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) lehnt die Bezahlkarten für Asylbewerber ab. „Es ist nicht erkennbar, welches reale Problem durch sie gelöst werden soll“, sagte Stefan Keßler, der stellvertretende Direktor, dem epd. Vor allem wegen des erwartbar hohen technischen Aufwandes erscheine die Einführung wenig sinnvoll, kritisierte der Referent für Politik und Recht, Sozial- und Verfahrensberatung. Es sei „schlicht und einfach schäbig, die Karte aus migrationspolitischen Erwägungen heraus besonders abschreckend zu gestalten“.

„Wir können nicht nachvollziehen, inwieweit mit der Bezahlkarte die Verwaltungsabläufe wesentlich vereinfacht werden sollen“, sagte Keßler. Nur wenn mit der Bezahlkarte auch Bargeld abgehoben werden könnte, was nicht vorgesehen sei, dürfte die parallel erfolgende Auszahlung von Bargeld in den Kommunen wegfallen. „Aber es wäre einfacher, den Menschen den Zugang zu regulären Bankkonten zu ermöglichen und die Hilfeleistungen darauf zu überweisen“, betonte der Experte.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl erwartet, dass es zu Klagen gegen die Bezahlkarte kommen wird, und will diese unterstützen. „Wir gehen davon aus, dass viele geflüchtete Betroffene von der Bezahlkarte auch Klage einlegen werden“, sagte Sprecherin Andrea Kothen im ZDF. „Es ist schon heute so, dass Geflüchtete schlechter gestellt sind als Sozialhilfeempfänger oder Bürgergeldempfänger“, sagte Kothen. In dieser Lage befänden sich Geflüchtete seit dem Asylbewerberleistungsgesetz von 1993. Gegen dieses Gesetz habe es schon diverse verfassungsrechtliche Einwände und Urteile des Bundesverfassungsgerichts wegen Ungleichbehandlung gegeben. „Und mit der Bezahlkarte wird es weitergedreht“, sagte Kothen.

Dirk Baas


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