Stefan Keßler, der auch Referent für Politik und Recht, Sozial- und Verfahrensberatung beim JRS ist, nennt die Karte, die aus migrationspolitischen Erwägungen heraus besonders abschreckend gestaltet wurde, „schlicht und einfach schäbig“. Einfacher wäre es gewesen, den Menschen den Zugang zu regulären Bankkonten zu ermöglichen und sämtliche Hilfeleistungen darauf zu überweisen. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: An der Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerber scheiden sich die Geister. Wie sinnvoll ist dieses Instrument aus Ihrer Sicht ganz grundsätzlich?
Stefan Keßler: Es ist nicht erkennbar, welches reale Problem mit der Einführung der Bezahlkarte gelöst werden soll. Vor allem wegen des erwartbar hohen technischen Aufwandes erscheint die Einführung wenig sinnvoll. Im Übrigen hängt die Beurteilung sehr stark von den Einzelheiten ab: Funktioniert die Bezahlkarte im Wesentlichen wie eine „normale“ Geldkarte, dürften weniger Bedenken gegen sie bestehen, als wenn mit ihr starke Beschränkungen bei der Verfügbarkeit der Geldmittel einhergehen.
epd: Die federführenden Bundesländer setzen große Erwartungen in die Bezahlkarte. Vor allem wegen angeblich vereinfachter Verwaltungsverfahren. Doch ist das gerechtfertigt? Die Einführung die Anwendung kosten Millionen und da weiter auch Bargeld ausgezahlt werden soll, entstehen doch Doppelstrukturen.
Keßler: Wir können nicht nachvollziehen, inwieweit mit der Bezahlkarte die Verwaltungsabläufe wesentlich vereinfacht werden sollen. Wenn mit der Bezahlkarte Bargeld abgehoben werden könnte, dürfte die parallel erfolgende Auszahlung von Bargeld wegfallen. Aber es wäre einfacher, den Menschen den Zugang zu regulären Bankkonten zu ermöglichen und die Hilfeleistungen darauf zu überweisen.
epd: Kritiker verweisen auf den abschreckenden Charakter der Karte. Aus der Forschung ist jedoch bekannt, dass die Sozialleistungen, gleich in welcher Zahlart, kein entscheidender Pull-Faktor sind.
Keßler: Sozialleistungen sind in der Tat keine Pull-Faktoren. Wir erleben in unserer Arbeit eher, dass uns die Flüchtlinge sagen: Ich will arbeiten und selbständig sein, nicht von staatlicher Hilfe leben müssen. Die Form der Sozialleistungen aus migrationspolitischen Erwägungen heraus besonders abschreckend zu gestalten, ist schlicht und einfach schäbig. Ein solcher Umgang mit hilfesuchenden Menschen ist unanständig und verletzt Grundwerte unserer Gesellschaft. Die von Ihnen zitierte Motivation macht die Bezahlkarte auch verfassungsrechtlich bedenklich, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen Leistungen an Bedürftige so gestaltet sein, dass sie den realen Bedürfnissen der Betroffenen entsprechen. Migrationspolitische Gesichtspunkte, so das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich, dürfen dabei keine Rolle spielen.
epd: Gibt es Erfahrungen, positive wie negative, aus anderen EU-Staaten, vor deren Hintergrund sich eher bewerten lässt, welche Folgen die Bezahlkarte hierzulande haben wird?
Keßler: Der einzige EU-Staat, aus dem uns Informationen hierzu vorliegen, ist Frankreich. Dort erhalten Asylsuchende eine Debitkarte mit Guthaben, mit der sie in Geschäften bezahlen können. Das Abheben von Bargeld ist damit nicht möglich. Frankreich verfolgt allerdings bei Sozialleistungen an Asylsuchende eine Politik, die viele Menschen faktisch hilflos lässt und deswegen immer wieder scharf kritisiert wird.
epd: Mehrere Migrationsforscher betonen, mittels einer Bezahlkarte ließe sich die Zahl neu ankommender Flüchtlinge nicht gravierend senken. Aber was bedeutet das neue Instrument für die vielen schon hier lebenden Menschen?
Keßler: Wir befürchten, dass die Menschen noch weiter verunsichert werden. Mit der Bezahlkarte werden voraussichtlich eher neue Probleme in der Verwaltung und bei der Beratung auftauchen, aber keine bereits bestehenden Probleme gelöst werden.
epd: Ein Ziel der Karte soll ja laut den Bundesländern sein, die Geldtransfers in die Heimatländer zu verhindern. Aber ist das wirklich realistisch?
Keßler: Die Behauptung, nennenswerte Anteile der Sozialleistungen an Asylsuchende würden für Geldtransfers an die Familien in den Herkunftsländern verwandt, wird zwar immer wieder aufgestellt, ist aber bislang nie empirisch belegt worden. Von den geringen Beträgen, die Asylsuchende an staatlicher Hilfe erhalten, lassen sich auch kaum solche Geldtransfers finanzieren.