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Prostitution

Sexkaufverbot: Schutz für Frauen oder Weg in die Illegalität?




Protestplakat gegen Zwangsprostitution (Archivbild)
Geht es um Prostitution, wird in Deutschland oft der Ruf nach dem "Nordischen Modell" laut, nach dem Freier bestraft werden. Das funktioniert nicht, sagen Kritiker. Denn um ihre Kunden zu schützen, müssten sich dann auch die Prostituierten verstecken.

Frankfurt a. M. (epd). „Ich fühle mich wohl mit dem, was ich tue“, sagt Ella Bizarr. Die 42-jährige Prostituierte aus Leipzig verdient ihr Geld mit Sadomasochismus.

„Ich habe über zehn Jahre als Pflegehelferin in einer Demenzstation Dauernachtwache gemacht. Ich habe drei Jahre bei der Deutschen Bahn als Schaffnerin gearbeitet. Ich habe so viele Jobs in meinem Leben gemacht. Jetzt habe ich einen Job, wo ich wirklich sage, ich entscheide, wann ich wohin fahre, in welchem Studio ich arbeiten möchte und welchen Kunden ich annehme“, sagt sie. Diese Entscheidung habe sie in einem „normalen Job“ nicht.

Gegen Ausbeutung und Menschenhandel

Geht es nach den Plänen der Europäischen Union, muss sich die Prostituierte, die sich Ella Bizarr nennt, bald etwas anderes suchen. Im September hat sich das EU-Parlament für die Einführung des sogenannten Nordischen Modells in den Mitgliedstaaten ausgesprochen. Mit diesem Konzept wird der Kauf sexueller Dienstleistungen unter Strafe gestellt. So wollen die Politikerinnen und Politiker Ausbeutung und Menschenhandel den Boden entziehen.

Die Unionsfraktion im Bundestag hat am 7. November beschlossen, sich für ein Sexkaufverbot in Deutschland einzusetzen. Danach sollen Freier für den Kauf von Sex bestraft werden. Prostitutionsstätten wie Bordelle und Laufhäuser müssten nach dem Willen der Union schließen. Verboten werden soll auch die Vermietung von Wohnungen zur Prostitution. Prostituierte sollen keinen Sanktionen unterliegen.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) lehnte es indes ab, die Gesetzgebung zur Prostitution zu verschärfen. „Es gibt gegenwärtig keinen Grund dafür, das Gesetz anzufassen“, sagte Paus am 8. November bei der Regierungsbefragung in Berlin im Bundestag.

Das Nordische Modell hat viele Namen, manchmal ist auch die Rede vom „Sexkaufverbot“ oder vom Schwedischen Modell, letzteres benannt nach dem ersten Land, das dieses Konzept 1999 eingeführt hat. Seitdem sind andere Länder nachgezogen, darunter Norwegen 2009, Frankreich 2016, Irland 2017 und Israel 2020. Kern des Konzepts ist die Bestrafung der Freier: Damit verstößt der Kauf sexueller Dienstleistungen gegen geltendes Recht, die Prostituierten sollen aber straffrei bleiben. Außerdem sind Beratungs- und Aufklärungsangebote vorgesehen.

„Ich mache das selbstbestimmt“

Ella Bizarr macht die Entscheidung des EU-Parlaments wütend. „Im Grunde wird mir dadurch meine Lebensgrundlage kaputt gemacht“, sagt sie. Sie glaubt nicht, dass das Nordische Modell Prostituierte schützt: „Was ist das für ein Schutz, wenn alles wieder in der Versenkung verschwindet?“, fragt sie rhetorisch und meint die Illegalität. „Ich selber gehöre nicht zu den Leuten, die beschützt werden müssen. Ich mache das selbstbestimmt. Aber natürlich weiß ich, dass es auch Personen gibt, die es nicht aus freien Stücken machen.“

Ella Bizarr ist Vorstandsmitglied beim Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen BesD, nach eigenen Angaben ein ausschließlich von Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen organisierter Zusammenschluss. Die Organisation vertrete derzeit rund 800 Mitglieder aus unterschiedlichen Bereichen, sagt Ella.

Wie viele Prostituierte es in Deutschland gibt, lässt sich nicht seriös beziffern. Sicher ist, dass Ende 2022 rund 28.280 Prostituierte bei den deutschen Behörden gemeldet waren. Doch längst nicht alle, die hauptberuflich, gelegentlich oder vorübergehend Geld mit Prostitution verdienen, melden sich auch an.

„Eine Form von Gewalt“

Ob es ein Gesetz für alle Prostituierten überhaupt geben kann? „Das wird schwierig“, meint Ella Bizarr. „Nicht unmöglich, aber es wird schwierig.“ Denn zur Sexarbeit gehöre ja nicht nur die Straßenprostitution, sondern auch Tantra-Massagen, Escortdamen oder die Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung." Letztere bietet auch Ella an - und auch die wäre dann vorbei, sagt sie.

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert das Sexkaufverbot: „Das Nordische Modell behauptet, Sexarbeitende zu schützen, tut es aber nicht“, erklärt Katharina Masoud, bei Amnesty Referentin für Frauenrechte, die Haltung der Organisation: „Sexarbeitende müssen höhere Risiken eingehen, um ihre Kunden vor der Entdeckung durch die Polizei zu schützen“, sagt sie.

Für Inge Kleine, die sich in der Münchner Frauenberatungsstelle Kofra engagiert, ist Prostitution Ausdruck gesellschaftlicher Ungleichheiten. „Und sie ist eine Form von Gewalt“, sagt die Pädagogin. Diese sei „besonders problematisch, weil es eine Form von sexueller Gewalt ist“.

Einzelnen Frauen möchte Kleine nicht absprechen, freiwillig in der Prostitution zu sein, sagt sie. Ihr gehe es jedoch um die Haltung der Gesellschaft. „In dem Fall, wo das eben nicht freiwillig ist, weil die Frau Geld braucht, ist es ein ganz intimer Zugang, der gekauft wird. Sex, der nicht gewollt ist.“ Sie stellt sich gegen eine „Art Infrastruktur für Männer zur sexuellen Benutzung von Frauen gegen eine Gebühr“.

Anna Schmid


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