sozial-Politik

Prostitution

Interview

Amnesty-Expertin: Sexkaufverbot schützt Prostituierte nicht




Katharina Masoud
epd-bild/Amnesty/Sarah Eick
Das EU-Parlament will das sogenannte Nordische Modell einführen, um Prostitution und Menschenhandel zu bekämpfen. Es bestraft die Kunden von Prostituierten. Katharina Masoud von Amnesty erklärt, warum die Menschenrechtsorganisation das Konzept ablehnt.

Berlin (epd). „Das Nordische Modell behauptet, Sexarbeitende zu schützen, tut es aber nicht“, sagt Menschenrechtsexpertin Katharina Masoud von Amnesty International zu den Plänen des EU-Parlaments, die Kunden von Prostituierten strafrechtlich zu belangen. Im Interview erklärt sie, warum Amnesty davon überzeugt ist, dass das Nordische Modell die Lage der Prostituierten eher verschlechtern würde. Mit ihr sprach Anna Schmid.

epd sozial: Frau Masoud, worum geht es beim Nordischen Modell?

Katharina Masoud: Das Nordische Modell stellt den Kauf von Sexarbeit unter Strafe und kommt in mehreren Ländern zum Einsatz. Amnesty International hat dokumentiert, was es für Menschen bedeutet, unter diesen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu arbeiten. Wir haben dazu mehrere Recherchen gemacht, die jüngste 2022 in Irland. Außerdem haben wir Erkenntnisse aus Argentinien, der Dominikanischen Republik, Hongkong, Norwegen oder Papua-Neuguinea.

epd: Was ist bei den Recherchen herausgekommen?

Masoud: Das Nordische Modell behauptet, Sexarbeitende zu schützen, tut es aber nicht. Es bedroht ihre Sicherheit und ihre Menschenrechte und setzt sie einem höheren Risiko von Missbrauch und Gewalt aus. Sexarbeitende müssen stärkere Risiken eingehen, um ihre Kunden vor der Entdeckung durch die Polizei zu schützen. Das Modell sieht zudem vor, dass Sexarbeitende bestraft werden, wenn sie sich zu ihrer eigenen Sicherheit organisieren und zusammenarbeiten. Bordelle sind verboten.

Die Menschen können auch Schwierigkeiten bekommen, eine Unterkunft zu finden, weil auch die Vermietung an Sexarbeitende strafbar ist. Dies kann dazu führen, dass Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt werden. Außerdem verdeckt der Fokus auf das Verbot des Kaufs von Sexarbeit die Tatsache, dass es meist noch viele andere Gesetze gibt, die die Organisation und Förderung von Sexarbeit kriminalisieren und die weiterhin bestehen bleiben.

epd: Lässt sich denn eine einheitliche Aussage für all die untersuchten Länder treffen?

Masoud: In den untersuchten Ländern gab es unterschiedliche gesetzliche Voraussetzungen - nicht alle hatten das Nordische Modell. Was aber flächendeckend sichtbar war und deshalb ein allgemeines Fazit ist: Die Kriminalisierung von Sexarbeit zwingt die Menschen dazu, im Verborgenen zu arbeiten. Das gefährdet ihre Sicherheit und hindert sie daran, Unterstützung oder Schutz bei Behörden zu suchen. Täter gehen straffrei aus, da sich Sexarbeitende oft fürchten, ein Verbrechen bei der Polizei anzuzeigen. Das nutzen teilweise auch die Behörden aus: Nicht selten vergewaltigen Polizisten Sexarbeitende. Diese Polizisten wissen, dass die Betroffenen die Tat nicht anzeigen können, weil sie sonst offenlegen müssten, dass sie Sexarbeitende sind.

epd: Was glauben Sie denn, was die Befürworter des Nordischen Modells motiviert?

Masoud: Ich denke, viele sind überzeugt, dass sie den Menschen damit etwas Gutes tun. Aber man spricht ihnen damit ab, selbstgewählte Entscheidungen treffen zu können. Das ist eine Form der Bevormundung, die problematisch ist.

epd: In der Öffentlichkeit gibt es das Bild der selbstbestimmten Unternehmerin ebenso wie das der ausgebeuteten Zwangsprostituierten. Wie ist denn die Situation der Menschen, die sexuelle Dienste anbieten?

Masoud: Wir bei Amnesty International definieren Sexarbeit als den einvernehmlichen Austausch sexueller Dienstleistungen zwischen Erwachsenen gegen eine Vergütung. Das trennen wir klar von Verbrechen wie Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Menschenhandel ist eine schwere Menschenrechtsverletzung, die Staaten kriminalisieren und bekämpfen müssen. Dazu werden sie von internationalen Menschenrechtsnormen und -standards verpflichtet.

Im Gegensatz dazu ist Sexarbeit ausdrücklich einvernehmlich. Das Bild der Sexarbeitenden ist häufig sehr schablonenhaft. Für viele Menschen ist diese Arbeit eine Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ihre Kinder zu ernähren oder ihr Studium zu finanzieren. Anderen bietet diese Arbeit eine Flexibilität, die sie in ihrem Leben brauchen. Wieder andere machen es zusätzlich zu ihrer Arbeit. Unabhängig von den Gründen haben Sexarbeitende ein Recht auf Sicherheit und verdienen es, mit Würde und Respekt behandelt zu werden.

epd: Kann es denn selbstgewählt sein, wenn sich eine Frau prostituiert, um so etwas gegen ihre Armut zu unternehmen?

Masoud: Das ist generell die Frage bei Entscheidungen. Warum gehen wir arbeiten, ist das selbstgewählt oder nicht? Wenn Menschen nicht weiterhin in Armut leben sollen, müssen die Ursachen angegangen werden und nicht Maßnahmen ergriffen werden, die ihnen ihre materielle Lebensgrundlage entziehen. Stattdessen sind die Staaten in der Pflicht, wirtschaftliche und soziale Rechte zu garantieren.

epd: Könnte es denn überhaupt eine Lösung für alle geben?

Masoud: Viele Leute, die das Nordische Modell befürworten, wollen eigentlich das Problem der Zwangsprostitution angehen. Aber die Verwechslung von Zwangsprostitution und Menschenhandel mit Sexarbeit schadet den Sexarbeitenden. Menschenhandel ist eine Menschenrechtsverletzung, die verboten werden muss. Im Gegensatz dazu steht die frei gewählte Sexarbeit, die nicht kriminalisiert werden sollte. Staaten müssen ermöglichen, dass Menschen, die dieser Arbeit nachgehen, nicht in Unsicherheit leben müssen.



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