Berlin (epd). Die Reform der Pflegeversicherung mit der Einführung der fünf Pflegegrade hat laut einer Studie deutliche finanzielle Verbesserungen für eine große Zahl Pflegebedürftiger und deren Angehörigen gebracht. Nach der am 26. Oktober in Berlin veröffentlichten Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) profitieren seit der Pflegereform im Jahr 2017 deutlich mehr Haushalte von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung.
Sie verfügen demnach mittlerweile über ein ähnlich hohes Haushaltseinkommen wie Haushalte, in denen keine pflegebedürftige Person lebt. Rund 2,3 Millionen der in den eigenen vier Wänden Gepflegten erhielten Pflegegeld von durchschnittlich 532 Euro. Auch weitere Transfers wie Wohngeld, Sozialhilfe und Grundsicherung im Alter stabilisierten die Einkommen von Pflegehaushalten, hieß es. Sie kämen damit auf ein monatliches Nettoeinkommen von gut 2.000 Euro netto, was dem Durchschnitt der Haushalte älterer Menschen ab 60 Jahren in Deutschland entspreche.
Die Studie stellt der jüngsten Pflegereform mit Blick auf die finanzielle Situation betroffener Haushalte zumindest in Teilen ein positives Zwischenzeugnis aus, zeigt aber zugleich auch weiteren Handlungsbedarf auf. So gibt es etwa mit Blick auf die Vermögen nach wie vor große Unterschiede zwischen Pflege- und anderen Haushalten, wie die Berechnungen auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ebenfalls zeigen.
Laut DIW verfügen Pflegebedürftige im Mittel (Median) über ein Vermögen von 30.000 Euro im Vergleich zu 81.000 Euro in der übrigen Bevölkerung ab 60 Jahren. Fast ein Drittel von ihnen hat gar kein Vermögen oder ist sogar verschuldet. Zum Vergleich: Unter allen Pflegehaushalten trifft das nur auf gut jeden fünften zu, unter den Haushalten ohne eine pflegebedürftige Person ist die Quote mit 18 Prozent nochmals geringer.
„Für das Wohlergehen im Alter spielt neben dem Einkommen auch das Vermögen eine zentrale Rolle“, betonte Peter Haan, Leiter der Abteilung Staat im DIW Berlin. „Viele Pflegehaushalte haben langfristig keine ausreichenden finanziellen Rücklagen, um angesichts steigender Pflegekosten dauerhaft über die Runden zu kommen.“ Das grundsätzliche Problem: Der Staat verlasse sich hierzulande immer noch sehr stark darauf, dass Angehörige die Pflege übernehmen: „Angesichts unserer alternden Bevölkerung kann das aber nicht ewig gut gehen.“
Die Pflegereform 2017 habe den Pflegebedürftigkeitsbegriff verändert, erläuterte DIW-Experte Johannes Geyer. Dadurch würden nicht mehr nur physische Einschränkungen berücksichtigt, sondern auch geistige und mentale Einschränkungen wie Alzheimer und Demenz. Dadurch steige die Zahl der Leistungsempfänger. Jedes Jahr kämen etwa 300.000 Menschen hinzu.
Gleichzeitig seien die Pflegesätze, aber auch die Pflegesachleistungen und sonstige Leistungen, die die Pflegeversicherung bietet, deutlich angehoben worden. Auch deshalb haben sich der Studie zufolge die Ausgaben der Pflegeversicherung zwischen 2016 und 2022 beinahe verdoppelt, auf rund 60 Milliarden Euro.
Geyer kritisierte, dass die Pflegeversicherung noch zu stark auf die familiäre Pflege abstelle. Das überfordere viele: „Die Pflegeleistenden, die häufig Familienangehörige sind, müssen sehr viel Zeit und Kraft für die Pflegesituation aufbringen und können währenddessen entweder nicht erwerbstätig sein oder leiden unter der Doppelbelastung.“ Generell seien Erwerbsarbeit und Pflege schwierig zu vereinbaren.
Weil die Kosten für die Pflege, die privat aufzubringen sind, weiter steigen, empfehlen die Studienautoren einen weiteren Ausbau der sozialen Pflegeversicherung. Dazu zählt mehr finanzielle Unterstützung, etwa durch eine zeitnahe Kopplung des Pflegegeldes an die Inflation, ebenso wie mehr professionelle Pflege. Eine Möglichkeit zur Deckung des zusätzlichen Finanzbedarfs wären Geyer und Haan zufolge einkommens- und vermögensabhängige private Zuzahlungen. Auch der Vorschlag einer Bürgerversicherung, also die Verbindung von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung, sei sinnvoll, da das Pflegerisiko von besser situierten Menschen mit privater Pflegeversicherung deutlich geringer ist.