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Migration

Interview

Puttrich: Ungesteuerte Einwanderung und Fachkräftemangel nicht vermischen




Lucia Puttrich
epd-bild/Thomas Lohnes/Hessische Staatskanzlei
Die hessische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, Lucia Puttrich (CDU), sieht das Fachkräfteeinwanderungsgesetz kritisch. Im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) warnt sie davor, das Thema Fachkräfte mit dem Thema ungesteuerte Migration zu vermischen. "Der bessere Schutz der europäischen Außengrenze ist ja kein Hindernis für die gesteuerte Einwanderung von Fachkräften."

Wiesbaden (epd). Für Lucia Puttrich waren die vergangenen knapp zehn Jahre als hessische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten von nationalen wie globalen Krisen geprägt. Mit dem Ende der laufenden Legislaturperiode will sich die 62-Jährige im kommenden Jahr aus der Politik zurückziehen. Im Interview wirft sie einen Blick zurück und spricht über Migration, den Fachkräftemangel sowie über stärker geschlossene Außengrenzen der EU. Die Fragen stellte Christopher Hechler.

epd sozial: Frau Puttrich, Sie Sie werden das Amt der hessischen Europaministerin zehn Jahre lang bekleidet haben. Was hat sich in dieser Zeit für Hessen in Europa verändert?

Lucia Puttrich: Die Welt hat sich in dieser Zeit grundlegend verändert. Der Austritt Großbritanniens aus der EU bedeutete eine wesentliche Veränderung, auch für Hessen. Die Flüchtlingswelle im Jahr 2015 hat den Blick auf die Welt bezüglich der Fluchtursachen geschärft. Die Corona-Pandemie hat die Abhängigkeit von anderen Ländern und innereuropäische Probleme, etwa bei den Lieferketten, sichtbar gemacht. Und der Ukraine-Krieg hat im Machtgefüge der Welt und in Fragen der Sicherheit viel verändert.

epd: Derzeit diskutiert die EU viel über ihre Außengrenzen. Wie betrachten Sie die Migrationsdebatte?

Puttrich: Ich glaube, dass man ein Stück weit die Emotionen herausnehmen und nüchtern die Frage stellen muss, wie groß die Aufnahmefähigkeit der einzelnen EU-Mitgliedstaaten und Gesellschaften ist. Bei den Herausforderungen der Migrationsbewegungen geht es nicht nur um die Zahl der Flüchtlinge, die man aufnimmt, an sich, sondern auch um die Lebensbedingungen und die Infrastrukturen, die man dafür schaffen muss.

epd: Sie haben bereits 2016 kurz nach der Flüchtlingskrise gesagt, dass es ein Einwanderungsgesetz braucht. Ausschlaggebend dafür war damals schon der Fachkräftemangel. Nun gibt es ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz, der Mangel wurde seitdem noch größer. Trotzdem wird darüber diskutiert, die Grenzen stärker zu schließen. Wie passt das zusammen?

Puttrich: Ich sehe das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz kritisch. Ich glaube nicht, dass man das Thema Fachkräfte mit dem Thema ungesteuerte Migration vermischen sollte. Der bessere Schutz der europäischen Außengrenze ist ja kein Hindernis für die gesteuerte Einwanderung von Fachkräften. Andersherum aber zu argumentieren, man müsse eine Politik der offenen Grenzen betreiben, damit wir unser Fachkräfteproblem lösen, ist naiv. Denn damit werden Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden können. Das muss man in aller Nüchternheit sagen.

epd: Aus Expertenkreisen heißt es, Deutschland brauche Hunderttausende Zuwanderer pro Jahr. Allein in Hessen fehlen in den kommenden fünf Jahren rund 200.000 Fachkräfte. Eine vereinfachte Migration - die Sie diesbezüglich selbst forderten - anstelle dichter Grenzen, wäre das nicht der richtige Schritt?

Puttrich: Viele Menschen, die im Moment zu uns kommen, erfüllen nicht die Anforderungen, die wir an Fachkräfte stellen. Da ist ein erheblicher Bildungsaufwand nötig, etwa bei der Sprache und der Ausbildung. Man sollte schauen, welche Bereiche die Menschen, die zu uns kommen, wirklich abdecken können. Die Antwort kann nicht sein, dass wir eine Binnenmigration innerhalb der EU unterstützen und Mitgliedstaaten die Fachkräfte nehmen, die sie selbst brauchen.

epd: Also müssen die Menschen hier mehr und länger arbeiten?

Puttrich: Ja, das glaube ich. Es geht darum, unseren Wohlstand zu erhalten. Aber das gelingt nur, wenn die Bedingungen stimmen und es sich auch für diejenigen, die mehr leisten, lohnt.