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Migration

Interview

Diakonie: Bei der Fachkräfteintegration ist noch viel zu tun




Jürgen Blechinger
epd-bild/Diakonie Baden/Martin Gloge
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist da. Und das ist gut, sagt Jürgen Blechinger, Leiter der Abteilung Flucht und Migration der Diakonie Baden, im Interview mit epd sozial. Doch erst die Umsetzung der neuen Vorgaben entscheide darüber, ob die Integration der umworbenen Zuwanderer gelinge: "Hier ist noch ganz viel zu tun, um einen großen Schritt voranzukommen."

Karlsruhe (epd). Für Jürgen Blechinger steht die Nagelprobe für den künftigen Erfolg des neues Gesetzes noch aus. Wie wird die Bürokratie in den Verfahren überwunden? Gelingt die Digitalisierung? Und: Entwickeln wir eine echte Willkommenskultur? Aber der Fachmann ist optimistisch: „Wir sind von der Rechtslage her schon auf einem ganz guten Weg.“ Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt ist kein Selbstläufer. Auch deshalb sind deutsche Minister wiederholt auf Werbetour in der Welt unterwegs. Ist das erfolgversprechend?

Jürgen Blechinger: Das bleibt abzuwarten. Aber dass die Politik auf diesem Feld etwas tut, ist schon richtig. Denn es ist falsch zu glauben, dass fertige Fachkräfte nichts sehnlicher wünschen als nach Deutschland zu kommen, um hier zu arbeiten. Das ist ein Trugschluss. Denn viele Menschen wollen gar nicht zu uns kommen. Und das hat seine Gründe.

epd: Was spricht dagegen? Die Bezahlung ist doch meist gut und das Leben hier doch eher verlockend.

Blechinger: Das sagen Sie. Doch das wird im Ausland oft anders gesehen. Da kann man als Minister noch so viel nach Indien oder nach Brasilien reisen, um für attraktive Jobs hierzulande zu werben. Unsere Erfahrung ist, dass fertige Fachkräfte nur bedingt nach Deutschland zuwandern, weil sie nach einer Ausbildung oder einem Studium eben auch in ihrer Heimat gut verdienen, oft schon etabliert sind und auch keine neue Sprache lernen wollen. Ausnahmen sind jene Länder, aus denen die Menschen aus politischen Gründen wegwollen, wie zum Beispiel aus der Türkei oder aus Russland.

epd: Die Bundesregierung ist überzeugt, mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz einen großen Schritt gegen den Fachkräftemangel zu tun? Sieht die Diakonie das ebenso positiv?

Blechinger: Das Gesetz verbessert die rechtlichen Rahmenbedingungen. Völlig neu ist das ja alles nicht, denn es gibt schon ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das am 1. April 2020 in Kraft trat. Wir sind also von der Rechtslage her schon auf einem ganz guten Weg. Jetzt wurden einige Dinge nachjustiert und verbessert. Damit geht die Regierung einen wichtigen Schritt, dass Menschen aus Drittstaaten, die wir dringend auf dem Arbeitsmarkt brauchen, zuwandern können.

epd: Entscheidend ist aber, wie das Gesetz umgesetzt wird ...

Blechinger: Ja. Die zentrale Frage wird sein, wie wir das Ganze mit Leben füllen. Wie wird die Bürokratie in den Verfahren überwunden, Stichwort Digitalisierung. Und wie können wir Begleitstrukturen schaffen, die ganz wichtig sind für eine Integration der Zuwanderer, damit sie auch langfristig in Deutschland bleiben. Hier ist noch ganz viel zu tun, um einen großen Schritt voranzukommen - Stichwort fehlende Willkommenskultur. Und sehr wichtig ist auch, dass die Menschen in dem Prozess, der schon vor der Einreise beginnt, und dann hier in Deutschland weitergeht, durch die Migrationsberatung individuell begleitet und unterstützt. Wenn am Anfang eine gute unabhängige Beratung steht, dann schützt das die Menschen davor, dass die langfristige Integration in die Aufnahmegesellschaft scheitert.

epd: Verändert das neue Gesetz wirklich die Kultur der Fachkräftezuwanderung?

Blechinger: Nein. Die Grundentscheidungen im Recht bleiben unverändert. Das ist vor allem wichtig mit Blick darauf, welche Botschaft Deutschland in die Welt transportiert.

epd: Wie meinen Sie das?

Blechinger: Deutschland hält weiterhin daran fest, dass nur Fachkräfte kommen sollen, die hier im qualifizierten Bereich tätig werden. Es wird also nicht gesagt, dass jeder, der hier arbeiten will, kommen kann und folglich willkommen ist. Gesucht werden nur Akademiker und Menschen mit einem abgeschlossenen Ausbildungsberuf. Oder eben solche, die hier eine solche Qualifikation erst erwerben wollen. Das ist kein Paradigmenwechsel, legale Migration wird auf qualifizierte Beschäftigung begrenzt.

epd: Ist das sinnvoll, denn es fehlen ja auch immer mehr Menschen ohne Ausbildung für Hilfstätigkeiten?

Blechinger: Perspektivisch gesehen scheint mir das der richtige Weg zu sein. Es geht darum, dass die Zuwanderer auch langfristig möglichst gut gegen Arbeitslosigkeit geschützt sind. Und das ist bei einfachen Arbeiten nicht sicher möglich. Es ist wichtig, dass die Menschen mit einem qualifizierten Job auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen. Nur so gelingt eine berufliche Integration auf Dauer. Von daher ist es auch besonders interessant, Menschen den Weg über eine Berufsausbildung die Zuwanderung nach Deutschland zu ermöglichen.

epd: Noch warten zuwanderungswillige Fachkräfte ein Jahr und länger auf ein Visum. Was liegt hier im Argen?

Blechinger: Sehr lange Wartezeiten bei der Visaerteilung und die zähen bürokratischen Verfahren sind die Haupthürden für Menschen, die hierherkommen wollen. Eigentlich sollte man das Visum schnell erhalten, wenn man die Voraussetzungen erfüllt. Doch das ist nicht so. Die Visastellen sind schon jetzt meist völlig überlastet. Und ich befürchte, wenn das neue Gesetz greift, wird das die Lage nicht verbessern, im Gegenteil.

epd: Aber auch die Berufsanerkennung läuft nicht reibungslos ...

Blechinger: Leider ist das so. Der Nachweis von Ausbildung und Qualifizierung dauert oft viel zu lange. Für alle Tätigkeiten im qualifizierten Bereich braucht man eine Erlaubnis, also für die reglementierten Berufe. Die dafür zuständigen Stellen sind ebenfalls komplett überlastet. Hier braucht es dringend mehr Personal sowie eine Strategie, Anträge zu digitalisieren. Die dritte hohe Hürde sind die Sprachkenntnisse. Nur wer gut deutsch spricht, wird schnell im Job zurechtkommen. Hier müssen wir viel mehr tun, auch vorab in den Herkunftsländern. Sprachkurse müssen aber auch finanziert werden. Im Moment ist es noch so, dass die betroffenen Personen die Sprachkurse meist selbst bezahlen müssen. Das sind hohe Kosten, die man tragen muss, wenn man nach Deutschland zuziehen möchte.

epd: Zuwanderer, die hier arbeiten wollen, müssen auch integriert werden. Steht dazu überhaupt etwas im Gesetz?

Blechinger: Nein, dazu steht nichts im Gesetz. Es regelt nur die rechtlichen Rahmenbedingungen, die man braucht, auf die alle politischen Ebenen angewiesen sind, damit das Vorhaben funktioniert. Für die Umsetzung kommt es auf Bund, Länder und Kommunen an. Vor allem muss sich die Praxis im Umgang mit Zuwanderern ändern. Das Auswärtige Amt ist gefordert, denn es muss die Visavergabe beschleunigen. Die Bundesländer sind gefordert, soweit sie für die Berufsanerkennung zuständig sind. Und der Bund muss Gelder bereitstellen, um die Menschen, die zu uns kommen, von Beginn an gut zu beraten und zu begleiten. Auf all diesen Feldern steht die Nagelprobe noch aus.

epd: Gerade mehrt sich Kritik an Etatentwurf der Bundesregierung für 2024. Auch die die Beratung von erwachsenen Zuwanderern sollen weniger Gelder bereitstehen. Das klingt wenig durchdacht.

Blechinger: Wenn das so kommt, wären die Folgen gravierend. Die Beratung von Migranten muss ausgebaut werden, da darf man keine Gelder kürzen. Das Bundesprogramm Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer hat sich bewährt. Die gute Begleitung im Integrationsprozess ist sehr wichtig, wenn man erreichen will, dass die Menschen auch langfristig bleiben. Im Haushaltsentwurf stehen für des Bundesprogramm statt zuvor 81,5 nur noch 57,5 Millionen drin. Für mich ist das völlig unverständlich, denn wenn wir hier die Kapazitäten zurückfahren, hat das fatale Folgen und gefährdet langfristig die Akzeptanz in der Aufnahmegesellschaft. Wenn Integration nicht gelingt, wird das am Ende viel teurerr.

epd: Vielleicht wäre es besser, junge Zuwanderer für Jobs in Deutschland zu interessieren, Menschen, die ihre Ausbildung hier machen ...

Blechinger: Ja, diese Zielgruppe ist interessant. Wir wissen das aus eigener Erfahrung, denn die Diakonie hat hier eigene Initiativen gestartet.

epd: Was bieten Sie an?

Blechinger: Wir setzen bei der Fachkräftegewinnung bewusst auf Personen, die erst in Deutschland eine Ausbildung machen wollen. Denn damit ist die Basis gelegt, dass sie auch hier im Job bleiben. In Baden-Württemberg ist die Diakonie seit Jahren aktiv, um Nachwuchs für die Pflege im Ausland zu gewinnen. Bei unserem internationalen Ausbildungsprojekt haben wir angefangen mit jungen Menschen aus dem Kosovo, die hier zu Pflegefachkräften für die Altenhilfe ausgebildet werden. Das ist das bundesweit erfolgreichste Ausbildungsprojekt dieser Art in Deutschland. Inzwischen haben wir das ausgeweitet auf Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Bosnien-Herzegowina, Türkei, Armenien und Georgien. Das funktioniert gut, und ich glaube, im Bereich Ausbildung, auch im Handwerk oder in den IHK-Berufen, kann man noch einiges Potenzial heben.

epd: In der Pflege sind die Personalprobleme besonders drückend. Sorgen die neuen Regelungen hier zumindest für Entspannung?

Blechinger: Das Gesetz bringt für die Pflege eine ganz wichtige Verbesserung und erfüllt zugleich eine Forderung, die wir schon lange erheben. Bislang konnte man als Drittstaatsangehöriger hier nur eine Aufenthaltsgenehmigung für die Erwerbstätigkeit bekommen, wenn man Pflegefachkraft war, also eine dreijährige Ausbildung gemacht hat. Aber in der Pflege braucht man auch viele Personen, die als Pflegehelfer/Pflegeassistenten ausgebildet sind. Diese Ausbildung ist den Bundesländern unterschiedlich geregelt und dauert ein Jahr. Nach einer einjährigen Ausbildung galt man aber bisher nicht als Fachkraft und durfte folglich nicht auf Dauer in Deutschland bleiben. Das wird jetzt in dem Gesetz neu geregelt. Auch die einjährige Ausbildung führt dann zur Fachkraft in der Pflege. Das kann ein wichtiger Schlüssel sein, dass Pflege vor Ort funktioniert.