sozial-Politik

Behinderung

Interview

Berufsbildungswerke: Neues Inklusionsgesetz hat manche Schwäche




Tobias Schmidt
epd-bild/BAG BBW/Jakob Hoff
Das "Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts" will mehr behinderten Menschen den Weg in reguläre Jobs ebnen. Den Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke, Tobias Schmidt, überzeugt das Vorhaben nicht.

Berlin (epd). Die Zielrichtung des neuen Gesetzes stimmt, sagt Tobias Schmidt im epd-Interview. Der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke (BAG BBW) sieht aber auch Mängel. So sei ein Teil junger Menschen mit Einschränkungen vergessen worden. Hier müsse nachgesteuert werden, fordert er. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Herr Schmidt, das „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“ ist beschlossen. Wie bewerten Sie die neuen Regelungen?

Tobias Schmidt: Alle Maßnahmen, die darauf abzielen, die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung weiter zu verbessern, finden wir wichtig und notwendig. Die Einführung der 4. Staffel bei der Ausgleichsabgabe kann ein wichtiger Schritt sein, um noch mehr Betriebe und Unternehmen zu gewinnen, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Völlig unverständlich ist daher, dass gleichzeitig die Bußgeldregelung für Unternehmen gestrichen werden soll, die vorsätzlich gegen die Beschäftigungspflicht verstoßen.

epd: Was bemängeln Sie außerdem?

Schmidt: Leider hat das Gesetz eine große Gruppe vergessen: die von allen Bildungs- und Ausbildungssystemen entkoppelten jungen Menschen im so genannten Übergangssystem. Viele von ihnen haben vielfältige Teilhabebedarfe, aber keinen Reha-Status und fallen somit durch jedes Raster. Im SGB II-Bereich wird dieser Bedarf schon lange nicht mehr kompensiert. Dieses Problem ist seit Jahren zu beobachten und wird seit der Corona-Pandemie verschärft. Wir brauchen langfristige und nachhaltige Ausbildungsangebote für eine Zielgruppe, die keine Lobby hat, weil sie im Übergang von der Schule in den Beruf 'verschwindet' beziehungsweise schwer erreichbar ist. Für diese Jugendlichen brauchen wir neue Instrumente. Berufsbildungswerke können hier mit ihren breiten Angeboten unterstützen.

epd: Werden die neuen Regelungen zu mehr Beschäftigung von Menschen mit Behinderung führen oder sind da nach den Erfahrungen aus der Vergangenheit mit dem System Ausgleichsabgabe eher Zweifel angebracht?

Schmidt: Das System der Ausgleichsabgabe hat sich bisher nicht bewährt. Wer nicht eingestellt hat, musste nur wenig draufzahlen. Das soll sich jetzt ändern. Der Effekt wird sich erst in fünf oder mehr Jahren zeigen, denn aktuell nimmt der Arbeitsmarkt sehr viele Menschen mit Behinderungen auf, sogenannte Strafzahlungen könnten dadurch ins Leere laufen. Zielführender wäre es, Betriebe mit finanziellen Prämien zu mehr Einstellungen zu bewegen.

epd: Wo sehen Sie den Gesetzgeber auf dem richtigen Weg?

Schmidt: Inklusion ist ein wichtiges Ziel, hier will die Bundesregierung vorankommen. Aber Inklusion darf nicht zum Dogma werden. Nur betriebliche Ausbildungen als inklusiv zu bezeichnen ist eine schwarz-weiß-Haltung, die den vielfältigen Bedarfen von Menschen mit Behinderungen nicht gerecht wird. Berufsbildungswerke bilden für den ersten Arbeitsmarkt aus, mit hohen betrieblichen Anteilen in Kooperation mit Unternehmen in der Region. Heute wird zum Glück auf Arbeitgeberseite kein Unterschied mehr bei der Einstellung gemacht, wo eine Bewerberin oder ein Bewerber die Ausbildung gemacht hat. Es zählt allein das Können. In 2023 wurden erneut mehrere BBW-Absolventen als Jahrgangsbeste von den Kammern ausgezeichnet - und das sind keine Einzelfälle.

epd: Sind alle Personengruppen mit Handicaps von dem Gesetz erfasst?

Schmidt: Im Grunde ja. Jedoch wird der Begriff von Behinderung gesetzlich und somit in der Theorie sehr eng gefasst. Es gibt im echten Leben jedoch Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf, die aus mehreren Gründen keine anerkannte Behinderung haben und von allen Regelsystemen abgeschnitten sind. Diese Menschen haben keine Lobby und auch keinen Anspruch auf berufliche Reha-Leistungen. Wir für unseren Bereich der Erstausbildung sprechen konkret von „entkoppelten Jugendlichen“, die im Übergangssystem festhängen - sozusagen im „schwarzen Loch“ der Bildungskette regelrecht verschwinden. Seit der Pandemie werden es immer mehr, das ist volkswirtschaftlich eine Katastrophe. Hier können wir nur mit langfristigen und - ja auch kostenintensiven - Ausbildungsangeboten gegensteuern. Und es bedarf einer Modernisierung der Zugänge zu Berufs- und Reha-Maßnahmen, damit diese Jugendlichen gerade trotz ihrer komplexen Leistungseinschränkungen einen Platz finden, an dem Teilhabe ermöglicht wird. Dafür sind weitere gesetzliche Veränderungen nötig.

epd: Wo liegen die Grundprobleme, dass es nicht zu mehr Beschäftigung kommt, obwohl doch derzeit der Fachkräftemangel nie dagewesene Dimensionen erreicht?

Schmidt: Es sind nach wie vor die Barrieren in den Köpfen. Vorurteile und mangelndes Wissen lassen bis heute Arbeitgeber skeptisch werden. Wir machen daher sehr gute Erfahrungen damit, unsere Auszubildenden schrittweise über Praktika in Betrieben zu platzieren, um bei Arbeitgebern Vertrauen aufzubauen und aufzuklären. Trotz Fachkräftemangels ist der Einstieg ins Berufsleben vor allem für Menschen mit psychischen Erkrankungen oftmals sehr schwierig. Und genau ihr Anteil wächst. Nicht nur Betriebe, sondern auch Reha-Einrichtungen wie BBW und Reha-Träger wie die Bundesagentur für Arbeit müssen für diese Menschen ihre Angebote anpassen.



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