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Behinderung

"Es bleibt leicht, sich der Beschäftigungspflicht zu entziehen"




Im Hotel zum Weinberg in Bad Neuenahr arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung. Einer von ihnen ist Daniel Ibs. (Archivfoto)
epd-bild/Guido Schiefer
Der Bundestag hat ein neues Inklusionsgesetz für den Arbeitsmarkt beschlossen. Die Sozialverbände halten dessen Ansatz für richtig, rügen aber Schwächen der Neuregelung - nicht nur bei der Ausgleichsabgabe. Ob der Bundesrat zustimmt, ist offen.

Berlin (epd). Die Richtung stimmt, doch es gibt etliche noch unerfüllte Forderungen. So lässt sich die Bewertung der Sozialverbände des neuen „Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“ zusammenfassen, das der Bundestag am 20. April beschlossen hat. „Der VdK hält es trotz einiger Verbesserungsvorschläge für einen guten und richtigen Schritt. Mit der Einführung einer vierten Staffel bei der Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigten, steht eine langjährige Forderung des VdK im Gesetz“, sagte Präsidentin Verena Bentele dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Am 12. Mai soll der Bundesrat über die neuen Regelungen abstimmen, doch offen ist, ob das Gesetz durchkommt. Denn die Union stimmte schon im Bundestag dagegen, weil sie eine höhere Ausgleichsabgabe für Firmen ablehnt.

Höhere Lohnkostenzuschüsse und keine Strafen mehr

Durch höhere Lohnkostenzuschüsse soll es für Arbeitgeber künftig günstiger werden, Menschen mit Behinderung einzustellen. Auf der anderen Seite sollen sich die Ausgleichszahlungen besonders stark für jene Betriebe erhöhen, die gar keinen behinderten Menschen beschäftigen. Das ist ein Viertel aller dazu verpflichteten Betriebe.

Die Abgabe für Unternehmen ab 60 Beschäftigten verdoppelt sich in solchen Fällen von 360 Euro auf 720 Euro monatlich für jeden nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz. Diese Betriebe müssen auf fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Firmen mit 40 bis 59 Beschäftigten müssen zwei Arbeitsplätze für behinderte Menschen vorsehen, Betriebe mit weniger als 40 Angestellten einen. Die Ausgleichsabgabe ist umso höher, je weniger die Betriebe ihren Verpflichtungen nachkommen.

Das Gesetz sieht zudem vor, dass die neu eingeführte vierte Staffel der Ausgleichsabgabe erstmals zum 31. März 2025 zu zahlen ist. Gleichzeitig soll die bisherige Bußgeldvorschrift dazu aufgehoben werden. Für kleinere Arbeitgeber mit weniger als 60 zu berücksichtigenden Arbeitsplätzen sollen wie bisher Sonderregelungen gelten, die geringere Höhen der Ausgleichsabgabe vorsehen.

VdK gegen Aus für Bußgelder

Bentele spart nicht mit Kritik: „Für einen großen Fehler halten wir, dass die Bußgeldvorschrift abgeschafft werden soll. Damit belohnt man diejenigen Arbeitgeber, die vorsätzlich oder fahrlässig keine oder nicht genügend schwerbehinderte Menschen beschäftigen.“ Es werde „viel zu leicht gemacht, sich der gesetzlichen Beschäftigungspflicht zu entziehen.“

Bentele sieht das Zusammenspiel von Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe für nicht besetzte Pflichtplätze auch ausgehebelt, weil Firmen die Kosten der Ausgleichsabgabe von der Steuer absetzen können. „Die Abgabe ist ein Gebot der Solidarität mit Firmen, die schwerbehinderte Menschen beschäftigen oder sogar die Pflichtquote übererfüllen.“ Das Ende der Bußgelder sei inakzeptabel: „Wenn Pflichtverstöße nicht geahndet werden, wird die Vorschrift zum zahnlosen Tiger werden“, befürchtet die Präsidentin.

„Gruppe junger Menschen komplett vergessen“

Auch Tobias Schmidt, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke (BAG BBW), begrüßt die Reform. „Alle Maßnahmen, die darauf abzielen, die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung weiter zu verbessern, finden wir wichtig und notwendig“, sagte er dem epd. Die Einführung der 4. Staffel bei der Ausgleichsabgabe könne ein wichtiger Schritt sein, um noch mehr Betriebe und Unternehmen zu gewinnen, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Auch er sagt aber: „Völlig unverständlich ist daher, dass gleichzeitig die Bußgeldregelung für Unternehmen gestrichen werden soll, die vorsätzlich gegen die Beschäftigungspflicht verstoßen.“

Schmidt beklagte, dass eine bestimmte Gruppe von jungen Menschen komplett vergessen worden sei: Diejenigen Jugendlichen im sogenannten Übergangssystem, Personen mit Handicap, die aber keinen Grad der Behinderung haben. "Sie verschwinden regelrecht im 'schwarzen Loch' der Bildungskette. Hier muss dringend nachgesteuert werden, wenn man dies Gruppe auf den Arbeitsmarkt bringen wolle, sagte Schmidt.

Diakonie: Weg zu Inklusion ist noch weit

Die Diakonie Hessen fordert weitere Bemühungen, um die Vermittlung und Beratung von arbeitslosen Menschen mit Behinderung zu verbessern. „Auch wenn der Gesetzentwurf Schritte in die richtige Richtung aufzeigt, ist es noch ein weiter Weg zu einem inklusiven Arbeitsmarkt“, sagte Diakoniechef Carsten Tag.

Der Evangelische Fachverband für Teilhabe (BeB) betonte, das neue Gesetz „beinhaltet kleine, wichtige Fortschritte“. Aber: „Um einen inklusiven Arbeitsmarkt realisieren zu können, fehlen weiterreichende und langfristigere Lösungsansätze“, sagte Vorstandsmitglied Elke Ronneberger. Besonders wichtig sei es dabei, auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf Teilhabe zu ermöglichen: „Durch die starren Voraussetzungen eines 'Mindestmaßes wirtschaftlich verwertbarer Arbeit' sind sie bis heute pauschal vom Arbeitsleben ausgeschlossen“, sagte die Geschäftsführerin des Diakoniewerks Kloster Dobbertin gGmbH. Diese Konstruktion müsse fallen.

Caritas: Besser über Fördermittel informieren

Für den Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) hat die schlechte Beschäftigungsquote für Menschen mit Einschränkungen ihren Grund vor allem darin, dass die Unternehmen über die vielfältigen staatlichen Fördermaßnahmen oft nicht ausreichend informiert seien und sie vor dem vermeintlichen Aufwand zurückschrecken. „Daran wird sich auch durch das neue Gesetz nicht grundsätzlich etwas ändern“, sagte CBP-Referent Thomas Schneider dem epd. Die Ausgleichsabgabe bleibe viel zu gering, um als Sanktion abschreckend zu wirken „und die Kosten aufzufangen, die Unternehmen bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen entstehen“.

Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer, übte Kritik an der Erhöhung der Ausgleichsabgabe. „Sie setzt nicht an den Ursachen an und belastet beispielsweise auch Betriebe, die für ihre offenen Stellen keine passenden Bewerber finden.“ Stattdessen sollte die Politik „noch mehr ermutigen, mögliche Ängste oder Vorurteile in Betrieben und bei Betroffenen abzubauen sowie bürokratische Barrieren zu beseitigen“.

Dirk Baas


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