Berlin, Köln (epd). Der Armutsforscher Christoph Butterwegge hat die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verkündete Mehrwertsteuersenkung auf den Gasverbrauch von 19 auf sieben Prozent kritisiert. Sie reihe sich ein in die bisherigen Entlastungsmaßnahmen, die keineswegs gezielt den ärmeren Bevölkerungsschichten zugutekämen, sagte Butterwegge am 18. August dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am 18. August in Berlin an, zeitlich befristet werde für Gas der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent gelten, und zwar so lange, wie die Gasbeschaffungsumlage erhoben werde.
Diese Umlage in Höhe von zunächst rund 2,4 Cent pro Kilowattstunde wird ab Oktober fällig und soll bis Ende März 2024 gelten. Damit können Gasversorger den Großteil der Kosten an ihre Kunden weitergeben, die ihnen entstehen, weil sie ausbleibende Lieferungen aus Russland mit deutlich teurerem Gas ersetzen müssen.
Butterwegge sagte dazu, wenn man die Mehrwertsteuer auf Gas senke, entlaste dies vor allem Wohlhabende und Reiche. Wer eine große Villa mit Gas heize, müsse dann erheblich weniger bezahlen. Für eine arme Familie falle die Entlastung in ihrer kleinen Etagenwohnung sehr viel geringer aus, erklärte der Kölner Politikwissenschaftler. Wenn man eine Verbrauchssteuer pauschal senke, profitiere jener Bevölkerungsteil am meisten, der viel verbrauche.
Außerdem gebe es keine Garantie, dass die Gasversorger die Steuersenkung an die Verbraucher weitergäben. „Deshalb würde ich die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas zu den Maßnahmen zählen, die als wenig passgenau, sozial unausgewogen und ökologisch problematisch bezeichnet werden müssen“, sagte Butterwegge.
In der „Augsburger Allgemeinen“ vom 18. August hatte der Politikwissenschaftler zuvor die Politik aufgefordert, die finanzielle Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern stärker am tatsächlichen Bedarf auszurichten. „Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass sozial Benachteiligte und Bedürftige im Fokus stehen“, sagte er und fügte hinzu: „Die Energie-Pauschale von 300 Euro der Bundesregierung beispielsweise bekommt ein Normalverdiener genauso wie ein Top-Manager, der sie zwar höher versteuern muss, aber im Grunde überhaupt nicht braucht. Rentnerinnen und Rentner erhalten die Energie-Pauschale hingegen nicht, da sie nur an Erwerbstätige fließt.“ Die Pauschale soll im September ausgezahlt werden.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte Paus am 18. August, weitere Entlastungen müssten zielgenau diejenigen erreichen, die sie am meisten bräuchten. „Es geht inzwischen um die Existenz. Viele Menschen, darunter gerade Familien mit Kindern, stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand.“
Paus sprach sich für eine deutliche Erhöhung des Kindergeldes aus. „Die Kindergelderhöhung, die der Bundesfinanzminister bislang in Aussicht stellt, reicht nicht, um die allgemeine Inflation auszugleichen“, sagte sie. „Da müssen wir nachbessern.“ Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte Kindergelderhöhungen von bis zu acht Euro im kommenden Jahr und weiteren sechs Euro 2024 in Aussicht gestellt.
Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, sagte, die angekündigte Senkung der Mehrwertsteuer auf Erdgas dürfte die Inflation über den Winter spürbar senken. „Wenn diese Senkung zum 1. Oktober in Kraft treten würde, rechnen wir damit, dass dadurch die Verbraucherpreisinflation in den letzten drei Monaten dieses Jahres etwa 0,7 Prozentpunkte niedriger ausfällt, als das ohne die Senkung der Fall gewesen wäre.“
Allerdings sei aus Verteilungs- und Anreizgesichtspunkten die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas nicht die ideale Lösung, so der Wissenschaftler. Der Anreiz zum Gassparen werde durch den niedrigeren Preis gedämpft.
„Hätte man die nun aufgewendeten Mittel verwendet, um einen Gaspreisdeckel für einen Grundverbrauch von Gas für jeden Haushalt einzuführen, so wäre sowohl die Verteilungs- als auch die Anreizwirkung besser“, sagte Dullien. In einem solchen Fall wäre die Entlastung in Euro gleichmäßiger auf die Haushalte verteilt, außerdem bliebe der Anreiz zum Gassparen in vollem Maß intakt, weil für den Gasverbrauch oberhalb des Sockels der volle Preis fällig wäre.
Marcel Fratzscher, Präsident des DIW Berlin, stellte die Frage, „ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, die Bundesregierung hätte die Gasumlage selber bezahlt und nicht mit diesen zwei Maßnahmen lediglich zusätzliche Bürokratie und Unsicherheit geschaffen“.