Die Höhe der Gasumlage ist bekannt, welche Förderungen es für Bedürftige geben soll noch immer nicht. Das, so Harald Thomé, „hätte der Staat viel schlauer anstellen können“. So bleibe weiter viel Verunsicherung bei den Bürgern - und die Angst vor kalten Wohnungen. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Herr Thomé, reden wir erst einmal ganz generell über die Gasumlage. Die Linkspartei lehnt sie ab. Wie ist Ihre Meinung?
Harald Thomé: Grundsätzlich ist die Gasumlage ein richtiges Instrument, weil die steigenden Beschaffungskosten auf alle Schultern verteilt werden. Die Preise steigen für alle, nicht nur für einzelne Personen oder gesellschaftliche Gruppen. Also ist es richtig, solidarisch auch alle an den Kosten zu beteiligen. Mir ist es wichtig, dass auf diese Umlage nicht auch Mehrwertsteuer bezahlt werden muss, weil das dann für die Verbraucher noch teurer wird. Doch das ist nur der eine Teil der Bewertung. Wichtig ist, dass der Staat jetzt auch schnell für Entlastung bei den Personen sorgt, die die künftigen Teuerungen nicht mehr stemmen können. Da müssen von der Politik alsbald Lösungen kommen. Einkommensschwache Haushalte und Sozialleistungsbeziehende, Auszubildende und Studierende müssen gestützt werden.
epd: Wer ist besonders betroffen?
Thomé: Die hohe Kosten werden ganz besonders jene drücken, die kurz oberhalb der Bedürftigkeitsgrenze der Sozialgesetzbücher II und XII liegen. Und das ist ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung. Auch denen müssen Hilfen angeboten werden, das gebietet der Sozialstaat.
epd: Wie kann man zielgenau entlasten? Nicht jeder Rentner und nicht jede Alleinerziehende ist automatisch bedürftig?
Thomé: Das stimmt. Deshalb ist der richtige Weg, die Regelsätze zu erhöhen, wie das auch die Sozialverbände schon lange fordern. Nicht erst seit der Inflation. Das ist der zentrale Punkt. Man kann sicher über die Höhe der Sätze streiten und ob 100 oder 200 Euro mehr im Monat ausreichen. Ich denke, die Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes von 678 Euro monatlich gehen in die richtige Richtung. Und würden auch ausreichen, um jetzt alle zusätzlichen Belastungen abzufedern. Damit ließen sich alle wirklich armen Menschen zuverlässig und unmittelbar unterstützen.
epd: Und was ist mit den Hartz-IV-Beziehern?
Thomé: Bei denen gehen Theorie und Praxis auseinander. Formal sind die höheren Heizkosten für diese Klientel kein Thema, denn die müssten die Jobcenter und Sozialämter tragen. Aber die Praxis sieht anders aus. Bei 450.000 Haushalten werden alleine im SGB II die Unterkunfts- und Heizkosten nicht in tatsächlicher Höhe übernommen. Das ist ein großes sozialrechtliches Problem, denn diese Personen müssen, obwohl sie weitgehend mittellos sind, Teile der gestiegenen Heizkosten aus der eigenen Tasche bezahlen. Um das zu verhindern, müsste die Bundesregierung alle Kürzungen bei den Unterkunftskosten aussetzen. Es geht darum, ein Kürzungsmoratorium einführen.
epd: Werden denn wirklich schnell höhere Regelsätze kommen. Noch vor der der Einführung des Bürgergeldes, mit dem ja laut Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) alles besser werden soll?
Thomé: Das neue Bürgergeld ist in Bezug auf die Heizkosten überhaupt nicht hilfreich. Für diejenigen, die schon Hilfe beziehen, wird es dadurch weder Verbesserungen noch Verschlechterungen geben. Für rund 6,5 Millionen Leistungsbezieher bleibt alles, wie es ist. Veränderungen wird es nur für Personen geben, die erstmals in das System rutschen, die haben eine zwei jährige Karenzzeit. Es wird höhere Regelsätze geben, das hat Minister Heil ja angekündigt. Doch dieser rund zehnprozentige Aufschlag steht sowieso an und ergibt sich aus aktuellen Preis- und Lohnsteigerungen.
epd: Wie lassen sich die ärmeren Bürgerinnen und Bürgern akut entlasten?
Thomé: Da gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder einen Zuschuss für alle, die sich die hohen Preise nicht mehr leisten können, aber schwer und nur durch viel Bürokratie ausfindig gemacht werden können. Oder man verlagert die Hilfen ins Wohngeld, was der richtige Weg ist. Dann können mehr Leute einen Wohngeldantrag stellen und sollten das auch tun. Man muss jetzt schnell handeln und sollte die Wohngeldreform auf Oktober vorziehen. Und man muss die Höhe so festlegen, dass die gestiegenen Heiz- und Energiekosten auch davon abgedeckt sind. Es ist richtig, mit diesen Hilfen in eines der bestehenden Systeme der sozialen Sicherung reinzugehen. Dazu müssen die Bedarfssätze in allen Grundsicherungssystemen, sei es bei Hartz IV, in der Sozialhilfe, bei Leistungen für Geflüchtete, für Auszubildende, Altersrentner bis hin zum Wohngeld erhöht werden.
epd: Das müssen die Betroffenen aber auch erst mal wissen ...
Thomé: Das ist in der Tat ein Problem. Hier ist bessere Aufklärung nötig, denn es gibt ja auch noch andere Hilfen, die genutzt werden können. So haben viele Haushalte, die mit einer für sie nicht bezahlbaren Jahresabrechnung vom Gasversorger oder Betriebskostenabrechnung vom Vermieter konfrontiert sind, Anspruch auf Hilfen vom Jobcenter oder Sozialamt. Das ist bestehendes Recht. Hier gibt es eine Notbremse, die viele aber nicht kennen. Dabei ist dringend zu beachten, dass Betroffene im Monat der Fälligkeit den Antrag beim jeweiligen Amt stellen. Dann werden viele zumindest einen anteiligen Übernahmeanspruch haben. Darüber muss besser aufgeklärt werden.
epd: Ist es Politikversagen oder nur ungeschickte Kommunikation, wenn jetzt eine teure Gasumlage bekanntgegeben wird und nicht zugleich auch alle Details über die zugesagten Entlastungen?
Thomé: Das hätte man sicher besser machen können. Ich meine, die Aussage zur konkreten Höhe der Umlage hätte gleichzeitig kommen müssen mit der Aufklärung darüber, welche Hilfen es für einkommensschwache Haushalte gibt. Man hätte bei der Gas-Umlage genauer erklären können, was passiert und warum. Und dann zugleich aufklären, wie man damit umgehen kann und welche Hilfen es wo gibt. Das hätte der Staat viel schlauer anstellen können.