Frankfurt a.M. (epd). 134 Milliarden Euro: Diese zwölfstellige Summe wechselt im Durchschnitt jedes Jahr als Erbe oder Schenkung die Besitzer, wie eine aktuelle Auswertung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt. Das Forscherteam hat dafür Daten des Sozioökonomischen Panels ausgewertet, der größten repräsentativen Befragung von Privathaushalten in Deutschland. Zentrales Ergebnis: Die Geldgeschenke werden höchst ungleich verteilt.
Die Summe hat sich zwar in den vergangenen 15 Jahren um fast 20 Prozent erhöht. Es gibt also die viel diskutierte „Erbschaftswelle“, bei der jeder Zehnte etwas erbt. Aber: Die Hälfte dieses Geldsegens geht an die reichsten zehn Prozent aller Begünstigten, haben die Wirtschaftsforscher ermittelt.
Andere Studien gehen sogar von zwischen 200 und 400 Milliarden an Euros aus, die jedes Jahr weitergegeben werden: So hat das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) für den Zeitraum 2015 bis 2024 insgesamt 3,1 Billionen Euro an Erbe und Schenkungen hochgerechnet. Es wird ausgezahlt in Geld, Immobilien und anderem Sachvermögen.
Wirklich belastbare Zahlen gibt es in Deutschland nicht. Denn statistisch erfasst werden nur steuerpflichtige Erbschaften und Schenkungen. Der Steuerfreibetrag für Erbschaften und für Schenkungen liegt aber bei 400.000 Euro pro Begünstigtem, auch Immobilien und der überwiegende Teil von Betriebsvermögen wechseln die Besitzer steuerfrei. Alle zehn Jahre können diese Geldsummen ohne Abschlag weitergegeben werden - und werden auch getrennt voneinander besteuert. Oder eben gar nicht.
Bei Schenkungen durch zwei Elternteile sähe das für einen 21-Jährigen zum Beispiel so aus: „Steuerfrei und ohne einen Finger zu rühren, könnte der junge Mann durch Schenkungen 2,4 Millionen Euro bekommen“, gibt DIW Forscher Markus Grabka ein Rechenbeispiel. Denn jedes Elternteil darf seinem Kind alle zehn Jahre 400.000 Euro schenken, ohne dass Schenkungssteuer anfällt.„Dafür würde ein Normalverdiener, der jährlich zehn Prozent seines Einkommens spart, etwa 700 Jahre brauchen.“
Ist das gerecht? Ein Widerspruch zum vielgepriesenen Leistungsprinzip ist es auf jeden Fall, findet Grabka: „Bei gleicher Ausbildung, dem gleichen Job, der gleichen erbrachten Leistung hat der eine etwas, was der andere im Laufe seines Lebens nie erreichen wird.“
Und die Ungleichheit schreibt sich fort: Ein Nicht-Erbe wird zum Beispiel weiter zur Miete wohnen. „In einer Großstadt - und wenn wie in Berlin der Mietendeckel fällt - ist damit ein immer größer werdender Teil des Einkommens weg“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler.
Auch Kurzarbeit wie zu Corona-Zeiten geht schnell an die finanzielle Substanz. „Das heißt für ganz normale Mittelschichtsmenschen, dass sie es ohne Erbe erheblich schwerer haben, auf einen finanziell grünen Zweig zu kommen.“ Sie tun sich außerdem schwerer, in Geschäftsideen zu investieren, fürs Alter oder schlechte Zeiten zu sparen: „Das birgt die Gefahr einer Verfestigung von Ungleichheit in der Gesellschaft“, sagt Grabka. Und die birgt soziale Sprengkraft.
Die Gefahr einer Verfestigung von Ungleichheit sieht auch Klaus Morgenstern vom Deutschen Institut für Altersvorsorge. Natürlich verteile sich das Erbe ungleich, weil auch die Vermögen ungleich verteilt sind. Sehr hohe Erbschaftssteuern wie sie der französische Starökonom Thomas Piketty fordert, findet er aber auch nicht gerecht: „Wie gerecht ist es denn, das wegzunehmen, was die Nachkriegsgeneration aufgebaut hat, damit es den Kindern besser geht?“ Die Möglichkeit, den Lieben viel zu vererben, motiviere auch - „zum Beispiel mit einer guten Idee, ein Risiko einzugehen“, sagt Morgenstern.
Markus Grabka hält die derzeitigen Freibeträge aber für unangemessen hoch - und als leistungsloses Vermögen eben auch für ungerecht. Es müssten auch für Nicht-Erben Möglichkeiten geschaffen werden, Vermögen aufzubauen - was in Niedrigzinszeiten immer schwieriger werde. „Das ist noch wichtiger, als nur auf eine Reichensteuer zu schauen“, findet er.
Dazu wird aktuell unter Ökonomen auch diese Idee diskutiert: Jeder Bürger erhält mit Anfang 20 einen fixen Betrag von zum Beispiel 10.000 Euro. Anstoßgeber Piketty schlägt gar 120.000 vor, der nach bestimmten Vorgaben in die Zukunft investiert werden soll. Das ist ebenfalls leistungslos, aber eben für alle. „Mit niedrigeren Freibeträgen und weniger Ausnahmeregelungen bei Erbschaften könnte das Modell zum Beispiel aus diesen Steuerbeträgen finanziert werden.“
Ist das gerecht oder das Ergebnis von Sozialneid? In der Gerechtigkeitsdebatte ums Erben laufen die Gefühle der Nicht-Erben meist unter genau diesem Stichwort. Auch das ist ungerecht, findet der Soziologe Rudolf Stumberger, der gerade zu der sozialen Gruppe der Nicht-Erben ein Buch veröffentlicht hat - mit dem Schwerpunkt auf deren Gefühle zur Ungleichheit, in die sie schlicht durch ihr „Los in der Geburtslotterie“ geraten sind. „Ihre Gefühle werden damit als Todsünde und etwas Boshaftes abqualifiziert“, findet der Privatdozent der Universität Frankfurt am Main. Dabei sei es ein Mix aus Gefühlen, der Nicht-Erben ausgesetzt sind: „Es ist vor allem Hilflosigkeit, wenn Menschen mit eigentlich gleicher Ausgangssituation auf einmal unterschiedliche Chancen bekommen.“