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Wohnen

Zu fünft in zwei Zimmern




Sozialarbeiterin Vera Skruzny vom Würzburger Sozialkaufhaus "Brauchbar" im Gespräch mit Mohammad B..
epd-bild/Pat Christ
Der Immobilienmarkt boomt. Und es wird viel gebaut. Doch noch immer fehlen Wohnungen für Menschen mit wenig Geld. Über die zermürbende Suche nach einer größeren Wohnung und Frust und Wut, die sich dabei unweigerlich anstauen.

Frankfurt a.M. (epd). In manchen Momenten scheint es ihr zwecklos, noch länger zu suchen: Auf mehr als 20 Wohnungen hat sich Gitta Namborg (Name geändert) seit September 2020 beworben. Es hagelt Absagen. „Das frustriert mich “, sagt die 42-Jährige aus dem Landkreis Würzburg. Gitta Namborg will mit Partner und Tochter umziehen, um näher an ihrem Arbeitsplatz zu sein. Sie fährt eine halbe Stunde mit dem Zug zum Job. Aber oft hat die Bahn Verspätung. Manchmal fährt sie auch gar nicht: „Zum Beispiel, wenn Äste auf den Schienen liegen.“

Der Immobilienmarkt boomt. Es wird viel gebaut. Doch zu wenig für Menschen mit wenig Geld. Das erfahren auch Gitta Namborg und ihr Partner. Er arbeitet 35 Stunden in der Woche in der Reinigungsbranche. Sie hat einen Ein-Euro-Job im Sozialkaufhaus „Brauchbar“. Die dreiköpfige Familie bezieht als „Aufstocker“ Hartz IV. Das bedeutet für sie: Das Jobcenter übernimmt die Miete nur, wenn die Wohnung nicht mehr als 800 Euro kostet. Freie Drei-Zimmer-Wohnungen für diesen Mietpreis gibt es in Würzburg aber kaum, sagt Vera Skruzny, Sozialarbeiterin im Sozialkaufhaus „Brauchbar“, die Gitta Namborg unterstützt.

Enge ist oft nicht auszuhalten

Eine Wohnung zu finden, das ist ein dringendes Anliegen vieler „Brauchbar“-Mitarbeiter, die sich an Vera Skruzny wenden. Die Sozialarbeiterin hilft auch Mohammad B.. Der 49-jährige Syrer lebt seit fünf Jahren in Deutschland. Im Februar 2020 kam seine Familie nach. Seitdem wohnt er mit seiner Frau und seinen drei zehn, elf und zwölf Jahre alten Kindern in zwei Zimmern einer Flüchtlingsunterkunft. Ohne Küche und ohne eigenes Bad. Die Enge ist an manchen Tagen schier nicht auszuhalten. Besonders fertig macht Mohammad B. der Lärm im Haus: „Es ist laut, immer laut und immer schmutzig.“ Mehr als 25 Mal bewarb sich der Syrer mittlerweile auf eine Wohnung.

Dass er immer noch keine Wohnung bekommen hat, macht ihn an manchen Tagen richtig wütend. Mohammad B., der einen sicheren Aufenthaltsstatus hat, will sich integrieren. Deshalb nahm er einen Ein-Euro-Job im Sozialkaufhaus an. Dass es jedes Mal, wenn er sich auf eine Wohnung bewirbt, am Ende: „Nein“ heißt, kann er nicht verstehen. Immerhin erhielt er kürzlich ein erstes Angebot von der Stadt, die ihn, der einen Wohnberechtigungsschein hat, ganz oben auf die Prioritätenliste der bei ihr registrierten Wohnungssuchenden setzte.

Ob in Würzburg, Bamberg oder Nürnberg, ob in Bayern oder Nordrhein-Westfalen: Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum treibt die Menschen um. Wobei die Problematik in Bayern besonders groß ist. Laut der Bundestagsfraktion der Linken liegen von den aktuell zehn teuersten Kommunen sieben im Freistaat: Es sind die Städte München und Erlangen sowie die Landkreise München, Dachau, Ebersberg, Fürstenfeldbruck und Starnberg. Überall rangieren die Mieten hier weit über dem Durchschnitt. In München kostet der Quadratmeter derzeit 18,60 Euro. Damit liegt der Mietpreis rund 230 Prozent über dem bundesdeutschen Mittel.

Studie: 1,5 Millionen Wohnungen fehlen

Dass dringend etwas gegen die Wohnungsnot unternommen werden muss, geht aus einer soeben veröffentlichten Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung hervor. Demnach fehlen bundesweit mehr als 1,5 Millionen „leistbare und angemessene“ Wohnungen.

Längst sind nicht nur die Düsseldorfer oder die Münchner City teure Pflaster. Überall wird von Vermieterseite zugegriffen. Mehr als jeder vierte Haushalt in den 77 deutschen Großstädten muss der Studie zufolge 40 Prozent seines Einkommens für Wohnkosten aufwenden. Das betreffe knapp 3,1 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Zwölf Prozent oder fast eine Million Haushalte geben sogar mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aus. Bei Experten gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens als problematisch.

Die Wohnungsnot ist eine tickende Zeitbombe in den Augen von Sozialwissenschaftlern. Gelöst werden kann sie nur mehrgleisig, sagt der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm, der an der Studie mitgearbeitet hat. Es brauche bessere mietrechtliche Instrumente. Die Belegungsbindung für Haushalte mit geringen Einkommen müsste ausgebaut werden. Der soziale und gemeinnützige Wohnungsbau ist Holm zufolge mit möglichst dauerhaften Mietbindungen zu stärken. Vor allem aber müsste die Einkommenssituation der Mieterinnen und Mieter verbessert werden. Holm wünscht sich deshalb die Auflösung des weit verbreiteten Niedriglohnsektors.

Mehr Geld für sozialen Wohnungsbau gefordert

Für die Deckung des Wohnraumbedarfs setzt sich auch die Bundesstiftung Baukultur (Potsdam) ein. „Wir brauchen viel mehr durch städtische Wohnungsunternehmen oder gemeinwohlorientierte Genossenschaften getragenen sozialen Wohnungsbau“, sagt Vorstand Reiner Nagel. Das Leben in Kleinstädten und auf dem Land sollten auch als Chance begriffen werden: „für leistbares Wohnen, neues Arbeiten und lokale Nachbarschaften“.

Dass es nur Menschen, die ein sehr gutes Salär beziehen, leicht auf dem Wohnungsmarkt haben, treibt das Bündnis „Soziales Wohnen“ um. Alleinerziehende, Behinderte, Asylsuchende oder auch ehemalige Strafgefangene würden stärker als je zuvor ausgegrenzt. Das Bündnis, dem unter anderen die Caritas, der Deutsche Mieterbund und die Gewerkschaft IG BAU angehören, fordert 6,3 Milliarden Euro pro Jahr für den sozialen Mietwohnungsbau für mindestens zehn Jahre.

Pat Christ


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