Hamburg (epd). Ein eigenes Zimmer, ein eigenes Bad, ein eigener Schlüssel - was für viele selbstverständlich ist, ist für obdachlose Menschen ein unerreichbarer Luxus. Seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 wurde dieser Traum in Hamburg für mehrere Hundert Menschen für einige Monate Wirklichkeit. Durch private Spenden konnten von April bis Juni 2020 etwa 170 Menschen in Hotels untergebracht werden, die wegen der Corona-Beschränkungen kaum Gäste aufnehmen durften. So sind die Menschen nicht nur besser vor einer Ansteckung geschützt als auf der Straße oder in Sammelunterkünften - die Einzelunterbringung wirkt sich auch positiv auf ihren Allgemeinzustand aus.
„Es war beeindruckend zu sehen, wie schnell sich Menschen erholen, wenn sie einen Schutzraum haben“, erzählt Jonas Gengnagel, Sozialarbeiter bei „Hinz&Kunzt“ und dort zuständig für das Hotelprojekt. „Die Menschen haben sich körperlich und seelisch stabilisiert“ bestätigt Dirk Hauer, Fachbereichsleiter Migration und Existenzsicherung beim Diakonischen Werk Hamburg. „Dadurch konnten wir mit unseren Beratungsangeboten viel besser zu ihnen durchdringen.“ Mit vielen Menschen konnten so zum Beispiel Behördengänge erledigt, Ansprüche auf Sozialleistungen geklärt oder sogar Jobs gefunden werden.
Umgesetzt haben das Hotel-Projekt die Tagesstätte Alimaus, das Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“ und die Diakonie. Seit Dezember 2020 sind erneut etwa 120 Personen in Hotels untergebracht, voraussichtlich bis Ende April. Der größte Teil der Spenden kam vom Hamburger Unternehmen Reemtsma und privat von dessen Mitarbeitern. Auch die Nordkirche spendete für das Projekt. Zudem engagiert sich der katholische Caritasverband mit Sozialarbeitern.
Diese Erfahrungen aus der Hotelunterbringung haben für Hauer und Gengnagel alle Argumente für den Ansatz Housing First (engl. „Zuerst eine Wohnung“) bestätigt. Dieses Konzept sieht vor, obdachlosen Menschen zunächst eine Wohnung zu vermitteln. Die Idee ist, dass sie aus diesem geschützten Raum heraus ihre oft weiteren Probleme in Angriff nehmen können, wofür sie auf der Straße, aber auch in größeren Gemeinschaftsunterkünften, keine Kraft haben. Im Januar 2020 beschloss die Hamburgische Bürgerschaft ein Housing-First-Modellprojekt - bisher wurde das jedoch nicht umgesetzt.
„Die Planungen sind noch nicht abgeschlossen“, sagt dazu Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde. Er sehe keinen Zusammenhang zwischen der Hotelunterbringung und dem Housing-First-Projekt. Vor allem die Sozialberatung sei in Gemeinschaftsunterkünften besser zu leisten als in dezentralen Wohnungen.
Dem widerspricht Sozialarbeiter Jonas Gengnagel von „Hinz&Kunzt“. Obdachlose Menschen müssten zuallererst in Ruhe „ihren Akku wieder aufladen“ - danach seien sie erst in der Lage, Beratung anzunehmen, die dann durchaus auch außerhalb des Hauses stattfinden könne. Gengnagel wird ab Sommer 24 Menschen betreuen, die in einem stiftungsfinanzierten Neubau im Stadtteil St. Georg in langfristige Wohngemeinschaften ziehen werden - ein Housing-First-Projekt im Kleinen.
Schleswig-Holstein hat sich im vergangenen Jahr entschieden, den Housing-First-Ansatz zu unterstützen und stellt mit dem Sonderprogramm „Wohnraum für besondere Bedarfsgruppen“ in den kommenden zwei Jahren insgesamt 20 Millionen Euro bereit. Mit besonders günstigen Förderkonditionen sollen Kommunen und Institutionen im Land angeregt werden, in den Bau von Wohnungen für besonders hilfsbedürftige Menschen zu investieren.
„Das war eine Richtungsentscheidung“, sagt Jo Tein, Vorstand der Hempels-Stiftung in Kiel. Die Stiftung wird mit der Landesförderung neben einem bereits bestehenden eigenen Haus mit zwölf Wohneinheiten bald einen Neubau errichten. In weiteren neun Wohnungen können dort ehemals obdachlose Menschen einziehen und endlich zur Ruhe kommen.