Normalerweise würde Lisa Stöhr in ihrer Buchhandlung jetzt einen Tisch mit Neuerscheinungen kanadischer Autorinnen und Autoren aufbauen, von Margaret Atwood über Douglas Coupland bis Joy Fielding. Stattdessen stapeln sich dort nun Kalender fürs kommende Jahr. Die weitgehende Absage der Frankfurter Buchmesse mit dem Ehrengast Kanada macht sich sichtlich bemerkbar. "Das Thema ist jetzt ziemlich in den Hintergrund gerutscht", sagt die Inhaberin der Buchhandlung und Galerie Büchergilde Frankfurt am Main. Was die Auswirkungen auf ihr Geschäft angeht, schwankt Stöhr zwischen Hoffen und Bangen.

"Die Buchmesse war für uns immer ein wichtiger Vorläufer des Weihnachtsgeschäfts", sagt die 35-Jährige. "Viele Besucherinnen und Besucher sind durch die Hallen gegangen und hatten Gedanken wie: 'Oh, das Buch ist was für meine Tante'. Da ist ganz viel Inspiration passiert." Auch der Branchenverband Börsenverein des Deutschen Buchhandels betont die Bedeutung der Messe, um die Aufmerksamkeit auf das Lesen zu lenken. Welcher Anteil des stets starken Buchhandels-Umsatzes im vierten Quartal tatsächlich auf die Frankfurter Schau zurückzuführen sei, lasse sich aber natürlich nicht beziffern.

Sorge um Kleinverlage

Da diesmal trotz der Absage der Messestände Lesefeste und ein großes digitales Programm stattfinden, hofft Buchhändlerin Stöhr, "dass Lesen und Bücher in dieser Zeit trotzdem sehr präsent sein werden" und ihr größere Absatzeinbußen erspart bleiben. Ihr Buchladen nahe der Konstablerwache ist mit drei kleineren Lesungen am Kulturfestival Bookfest beteiligt.

Mehr Sorgen als um den Handel macht sich Stöhr um kleinere Verlage, denen nun nach dem Ausfall der Leipziger Buchmesse im Frühjahr schon die zweite Gelegenheit wegbricht, sich persönlich vorzustellen. "Indie-Verlage mit wenig Finanzkraft sind darauf angewiesen, ihr Programm sowohl dem Buchhandel als auch dem Publikum präsentieren zu können", erklärt sie zu den unabhängigen Verlagen. "Insolvenzen würden große Verluste für die Branche bedeuten, denn kleine Verlage sind wichtige Treiber von Innovationen und Experimenten, oft bringen sie die spannendsten Bücher heraus."

Ein Chance haben aus ihrer Sicht vor allem Verlage und Buchhändler, die schnell und kreativ auf digitale Angebote umsteigen: "Wer sich gute neue Sachen einfallen lässt, kann vielleicht sogar profitieren." Aufgrund von Corona seien zunächst zwangsweise viele neue Formate entstanden, die aber auch in Zukunft von Wert seien. "In der Schließzeit war bei uns erst einmal große Panik", erinnert sich Stöhr. Aber durch neue Social-Media-Angebote, Online-Veranstaltungen, Lieferdienste und eine Abholstation sei ihr Geschäft "wie viele andere kleine Buchhandlungen glimpflich davongekommen".

Nachfrage zog wieder an

Das gilt für die gesamte Branche, wie der Börsenverein bestätigt. Zwar sei während der Ladenschließungen im März und April der Umsatz erheblich zurückgegangen, erklärt Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs. Seit Juni sei die Nachfrage nach Büchern aber groß gewesen, und die Umsätze lägen jeweils über denen der Vorjahresmonate.

Daher demonstriert der Branchenverband als Veranstalter der Buchmesse trotz des Wegfalls des "physischen Auftritts" Optimismus. Man sei überzeugt, dass die Messe mit ihren digitalen und dezentralen Veranstaltungen große Aufmerksamkeit für Bücher und das Lesen erzeugen werde, sagt Schmidt-Friderichs. Da sich auch Buchhandlungen und Verlage mit ihrem Kundenservice und Marketing intensiv bemühten, selbst unter Pandemie-Bedingungen ein erfolgreiches Weihnachtsgeschäft zu erzielen, rechne der Börsenverein mit einem "starken Bücherherbst und einem guten Verlauf des Geschäfts im restlichen Jahr".

Die Münchner Buchhandelskette Hugendubel zeigt sich ebenfalls "zuversichtlich, was den Umsatz im Herbst betrifft", wie die geschäftsführende Gesellschafterin Nina Hugendubel sagt. Die Augsburger Weltbild-Gruppe dagegen äußert "Bauchschmerzen mit Blick auf den Schwund an Leserinnen und Lesern, der aufgrund des Vorgehens der Frankfurter Buchmesse zu befürchten" sei. "Wenn Lesen, Autorinnen und Autoren, neue Bücher im Oktober kein großes Lesefest feiern können, kann das bedeuten, dass wieder eine erhebliche Anzahl von Menschen ihre Mediennutzung ändert und wir Leserinnen und Leser verlieren", sagt CEO Christian Sailer. Thalia und Amazon äußerten sich nicht auf Anfrage.

Auch Lisa Stöhr bedauert, dass die persönlichen Begegnungen auf der Messe dieses Jahr ausfallen, ist aber insgesamt trotzdem erleichtert über die Absage der großen Hallenausstellung. "Uns als kleinem Team wäre bei einer solchen Großveranstaltung sehr mulmig gewesen", sagt sie. "Denn im Fall der Fälle hätten wir komplett schließen müssen." Ins Weihnachtsgeschäft geht ihr Laden in der Pandemie-Zeit nun unter dem Motto "Sicher Buchgeschenke kaufen!": Angeboten werden unter anderen private Stöbertermine nach Ladenschluss und Videoberatungen via Whatsapp oder Zoom.