Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik sind mit den Ausgangsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie für so viele Menschen etliche Grundrechte außer Kraft oder stark eingeschränkt worden. "Je länger die Ausgangsbeschränkungen dauern, desto weniger sind diese aber verhältnismäßig und rechtlich zu begründen", mahnt der Staatsrechtler Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg. Es fehle ein Ausstiegsszenario, unter welchen Voraussetzungen die Beschränkungen wieder zurückgefahren werden sollen.

Bund und Länder hatten sich am Sonntag zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus auf zahlreiche Schutzmaßnahmen geeinigt. Bislang selbstverständlich geltende Grundrechte wurden für zunächst zwei Wochen beschränkt. So sind Ansammlungen von mehr als zwei Personen im öffentlichen Raum grundsätzlich verboten. Ausgenommen davon sind Familien und in einem Haushalt lebende Personen.

Gesetz passe nicht richtig

"Einzige gesetzliche Grundlage hierfür ist das Infektionsschutzgesetz", sagt Kingreen. Doch rechtlich passe das Gesetz nicht richtig, um die Beschränkungen zu begründen. So seien danach Aufenthaltsverbote und -gebote zwar erlaubt. Das Gesetz sei aber nur an einzelne, individuell gefährliche Personen und nicht an die ganze Bevölkerung gerichtet. Auch seien die Maßnahmen nur vorübergehend zulässig, "bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind". "Ein allgemeines, von konkret-individuellen Gefahren unabhängiges und in seiner Dauer nicht befristetes Fortbewegungsverbot" decke das Gesetz nicht, sagt der Jura-Professor.

Die Frage, welche Grundrechte von den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie betroffen sind, lasse sich nicht so leicht beantworten. Auf der einen Seite stünden das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Leben. Die Maßnahmen sollen die Gesundheit aller Bürger schützen, besonders auch gefährdeter Gruppen wie Alte und Kranke.

Auf der anderen Seite dürften zahlreiche Menschen nun ihren Beruf nicht mehr ausüben, sich nicht mit mehreren Personen treffen, zur Schule gehen oder sich gänzlich frei in Deutschland bewegen. Selbst die Religionsfreiheit leide, wenn Gläubige nicht mehr an Gottesdiensten teilnehmen dürfen.

Irgendwann unverhältnismäßig

"Natürlich sind die Maßnahmen zunächst wichtig, um die Gesundheit zu schützen", sagt Kingreen. Die Rechtsnormen, sprich das Infektionsschutzgesetz, seien als Begründung hierfür aber eher unbrauchbar. Andererseits: "Wir haben auch nicht mit so einer Pandemie rechnen können", gibt der Staatsrechtler zu bedenken.

Es müsse nun nachgedacht werden, wann die Maßnahmen heruntergefahren werden. Das Virus sei ja nicht in sechs Wochen verschwunden. Irgendwann breche die Wirtschaft wegen der Beschränkungen zusammen. Die Einschränkung der Grundrechte werde sonst in wachsendem Ausmaß unverhältnismäßig. Erforderlich seien in Zukunft differenzierte Maßnahmen wie etwa Beschränkungen nur für bestimmte Risikogruppen und nicht für alle Menschen, sagt Kingreen: "Wir müssen auch nicht gleich alle sofort in die Fußball-Stadien gehen."

Erste Gerichte wie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg haben die Schutzmaßnahmen bislang für verhältnismäßig und erforderlich eingestuft. So wies das Gericht am Montag einen Eilantrag zurück, mit dem die Beschränkung der Freizügigkeit in der brandenburgischen Coronarvirus-Verordnung gekippt werden sollte.

Freiheitsstrafe

Bei einem Verstoß gegen die Maßnahmen drohen auch Strafen. "Das Infektionsschutzgesetz sieht hier Bußgelder von bis zu 25.000 Euro vor", sagt Jürgen Möthrath, Strafrechtsanwalt und Präsident des Deutschen Strafverteidiger Verbandes. Realistisch seien aber zunächst Bußgelder von einigen hundert Euro.

Doch gehen Menschen trotz Wissens ihrer Infektion oder eines begründeten Verdachts zur Arbeit, könne von einem vorsätzlichen Handeln ausgegangen werden. In diesem Fall sehe das Gesetz Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. "Das kann der infizierte Arzt sein, der trotzdem zur Arbeit geht, oder auch die Supermarkt-Kassiererin, die sich an die Kasse setzt und Kunden ansteckt", sagt Möthrath.