Politiker und Experten streiten vehement über die Auswirkungen der Widerspruchslösung im Transplantationsrecht. Käme sie, dann wäre im Todesfall jeder automatisch Organspender, der zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat. Doch der Plan spaltet die Nation. Dass der Organmangel hierzulande auch ganz andere Ursachen hat, gerät leicht aus dem Blick.

Wo es intern hakt im Spendenprozess, belegt eine Untersuchung mit dem Titel "Rückgang der Organspenden in Deutschland - Eine bundesweite Sekundärdatenanalyse aller vollstationären Behandlungsfälle". Sie zeigt, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) offenbar mit seinen Reformen auf dem richtigen Weg ist. Sein "Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende" hat der Bundestag jetzt beschlossen. Es soll zum 1. April in Kraft treten.

Die zehn Forscher kommen zu dem Schluss, dass der zuletzt gestoppte Rückgang der postmortalen Organspenden vor allem mit einem Erkennungs- und Meldedefizit der Entnahmekrankenhäuser zusammenhängt. "Gelingt es, diesen Prozess organisatorisch und politisch zu stärken, könnte die Zahl der gespendeten Organe erheblich gesteigert werden" - genau das soll das neue Gesetz bewirken.

"Trendwende möglich"

Der an der Studie beteiligte Arzt Kevin Schulte sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Unser Hauptproblem ist, dass der überwiegende Anteil der möglichen Organspender in den Kliniken nicht erkannt wird. In diesen Fällen stellt sich die Frage gar nicht, ob der betreffende Patient mit einer Organspende einverstanden gewesen wäre."

Zunächst zur Ausgangslage: Die Zahl der möglichen Organspender stieg von 2010 bis 2015 um 13,9 Prozent von 23.937 auf 27.258. Alarmierend ist aber, dass die Zahl der realisierten Organspenden laut Untersuchung im selben Zeitraum um 32,3 Prozent zurückging.

Die Wissenschaftler suchten aus allen vollstationären Behandlungen der Jahre 2010 bis 2015 (mehr als 112 Millionen Fälle) diejenigen Todesfälle heraus, bei denen eine Hirnschädigung vorlag und eine Organspende theoretisch möglich war. Als Referenzgröße wurden die Ergebnisse eines 2010 begonnenen Inhouse-Koordinationsprojekt der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) ausgewählt. Hier wurde in mehr als 100 Krankenhäusern zwei Jahre lang jeder mögliche Organspender nachträglich auf seine reelle Eignung als Organspender untersucht. Ergebnis: Nahezu alle möglichen Organspender wurden tatsächlich für eine Organspende in Betracht gezogen. Die Realisationsquote der Organentnahmen lag bei 10,2 Prozent.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass 2015 unter der Annahme, dass dieselbe Realisationsquote wie im DSO-Inhouse-Koordinationsprojekt erreichbar gewesen wäre, statt der erfolgten 877 Organspenden 2.780 hätten erreicht werden können - 33,8 Organspenden pro einer Million Einwohner. 2017 lag der Wert in Deutschland bei 10,4.

"Eine Trendwende unter den aktuellen Rahmenbedingungen ist möglich", betonten die Forscher. Genau die will Spahn nun erreichen. Krankenhäuser sollen mehr Zeit und Geld für Organtransplantationen bekommen. Das interne System der Spendererkennung und -meldung wird verbessert. Auch wird es künftig verbindliche Vorgaben für die Freistellung der Transplantationsbeauftragten, deren Arbeit von den Kassen voll refinanziert werden soll. Und: Flächendeckend wird ein neurologischer beziehungsweise neurochirurgischer Rufbereitschaftsdienst eingerichtet, um den Hirntot verlässlich zu feststellen zu können.

Die DSO ist von dem Vorhaben überzeugt. "Die Maßnahmen setzen genau da an, wo Schwachstellen in der Organisation und Zusammenarbeit mit den Entnahmekrankenhäusern bestehen", sagte der Medizinische Vorstand Axel Rahmel. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, erklärte: "Es ist gut, die Organisation und Strukturen der Entnahmekrankenhäuser zu stärken. Denn nur hier können mögliche Organspender erkannt und gegebenenfalls gemeldet werden."