sozial-Branche

Pflegelöhne

Gastbeitrag

Ein Beben in der Pflege




Franz Segbers
epd-bild/privat
Wer sich über das Nein der Caritas zu einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Altenpflege empört, macht es sich nach Auffassung des Sozialethikers Franz Segbers zu einfach. In seinem Gastbeitrag für epd sozial zeigt er, dass von vielen Seiten Druck auf die Löhne ausgeübt wird.

Das Nein der Caritas zu allgemeinverbindlichen Tarifverträgen in der Altenpflege hat zu einem Sturm der Empörung geführt. Endlich liegt ein Tarifvertrag vor, der bundesweit für über eine Million Frauen und Männer den Mindestlohn für Beschäftigte in der Pflege erhöht hätte. Und dann lassen die Caritas-Arbeitgeber den Vertrag platzen!

Dass nahezu alle universitären katholischen Sozialethiker und Sozialethikerinnen diesen Beschluss der Caritas-Arbeitgeber in einer geharnischten Erklärung kritisieren, ist ein einmaliger Vorgang. Schärfer kann die Kritik nicht ausfallen: Sie werfen den Caritas-Chefs betriebswirtschaftliche Kurzsichtigkeit und einen Mangel an ökonomischem Sachverstand vor. Die Caritas, ein Anwalt für Solidarität, trete nun als ein für die Beschäftigten gefährlicher Entsolidarisierer auf. Denn nur ein für alle Anbieter verbindlicher Tarifvertrag kann einer Konkurrenz nach unten ein Riegel vorschieben.

Es stand weitaus mehr auf dem Spiel

Der von der Gewerkschaft ver.di ausgehandelte Tarifvertrag sieht u.a. vor, die Mindeststundenentgelte in mehreren Schritten zu erhöhen und die Schlechterstellung der Beschäftigten in Ostdeutschland vorzeitig zu erhöhen. Bei der Caritas verdienen die Pflegekräfte deutlich mehr und haben eine bessere Altersversorgung. Doch die Caritas hat nicht nur den flächendeckenden Tarifvertrag scheitern lassen, sie hat auch eine Lohnerhöhung um 8,6 Prozent beschlossen. Genauer: Es war die Arbeitsrechtliche Kommission, nicht der Caritasverband. Die Kommission agiert nämlich unabhängig vom Caritasverband.

Dass die Empörung groß sein wird, war abzusehen. Dass man dennoch mit einem Nein entschied, zeigt, dass da noch weitaus mehr auf dem Spiel stand. Aber was?

Die Pflegeversicherung ist eine Teilkaskoversicherung, die nur einen Zuschuss zu den Pflegekosten zahlt. Lohnerhöhungen führen deshalb zu erheblichen Mehrkosten für die Sozialhilfeträger, die Pflegebedürftigen und deren Angehörigen. Wer bezahlt dann die Mehrkosten?

In Pflegeheimen sind 36 Prozent der Bewohner teilweise trotz lebenslanger Arbeit auf Sozialhilfe angewiesen. Während die Zuschüsse aus der Pflegekasse konstant geblieben sind, sind die Eigenanteile für die Pflege geradezu explodiert, auch der Eigenanteil, den die Sozialhilfebehörde zu zahlen hat. Was macht sie dann? Um den zu erstattenden Eigenanteil gering zu halten, bevorzugt sie die billigeren Heime. Bei aller berechtigten Kritik am Nein des Caritasverbandes sind an diesem Punkt die Bedenken der Caritas berechtigt.

Orientierung am untersten Tarif

Doch wichtiger ist ein weiterer Punkt: Zwar hat das Bundessozialgericht in einer Vielzahl von Entscheidungen bestätigt, dass auch die höheren Tarife von Caritas und Diakonie refinanziert werden müssen. In einem Rechtsgutachten für den Bevollmächtigten der Bundesregierung für die Pflege aus dem Jahr 2019 haben die Rechtsanwälte Sascha Iffland und Alexander Wischnewski allerdings vermerkt, dass das Bundessozialgericht zu den Folgen kollektiver Vergütungsvereinbarungen bislang keine eigenständige Entscheidung getroffen hat. Die Rechtsgutachter befürchten, dass sich die Löhne auf dem Niveau des Tarifvertrags einpendeln und wenig bis keinen Raum für eine bessere Entlohnung bleiben könnte. Einer Einrichtung, die mehr bezahlen möchte, könnte die Pflegekasse entgegenhalten, dass eine Vergütung oberhalb eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages nicht mehr angemessen ist. Dann stellt das Rechtsgutachten klar: "Dies könnte insbesondere konfessionelle Träger treffen."

Es ist genau diese Sorge, die der "Verband katholischer Altenhilfe" hat - der Verband, der die Pflege betreibt: Bei einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung könnte der höherwertige Tarif des Caritasverbandes "in der Refinanzierung das Nachsehen haben". Die Einrichtungen müssten dann aus wirtschaftlichen Gründen Löhne absenken.

Um Kosten zu senken, hat die Politik den Wettbewerb in die Pflege eingebracht und private Anbieter zugelassen. Für diese gilt: Je niedriger die Kosten, desto höher der Profit. Doch nicht allein private Anbieter, auch die Kommunen als Sozialhilfeträger sowie die Pflege- und Krankenkassen haben ein Interesse an niedrigen Löhnen. Sie alle hätten mit dem abgelehnten Tarifvertrag ein wirksames Instrument, sich am untersten Tarif zu orientieren - und die Caritas könnte ihre höheren Personalkosten nicht refinanzieren.

Politisch gewolltes Sozialdumping

Die Pflegeversicherung leidet unter Konstruktionsmängeln. Als Teilkaskoversicherung deckt sie einen großen Teil des Pflegebedarfs von vornherein nicht ab. Die Minutenpflege ist für die privaten Anbieter wie geschaffen, denn sie können nach dem Motto Gewinne machen: Was schneller geht, erhöht den Gewinn.

Die Pflege unter Wettbewerbsbedingungen braucht einen rechtlichen Rahmen: Der Staatszuschuss für die Pflege muss erhöht werden. Die Refinanzierung höherer Tarife wie jene von Caritas und Diakonie müssen bei einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gesichert sein. Und schließlich muss es wie bei öffentlichen Ausschreibungen auch Tariftreue geben. Erst innerhalb dieses Rahmens kann ein Tarifvertrag gerechte Arbeitsbedingungen der Beschäftigten regeln.

Wer sich nur über das Nein der Caritas empört, aber zu dem politisch gewollten Sozialdumping schweigt, das Im Interesse der privaten Anbieter, der Kassen und Sozialhilfebehörde liegt, macht es sich zu einfach.

Franz Segbers ist Professor für Sozialethik an der Universität Marburg und arbeitete viele Jahre bei der Diakonie.


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