Frankfurt a.M. (epd). Sie ist eigentlich "in Altersteilzeit". In normalen Zeiten arbeitet Monika (Name geändert) drei Tage in der Woche als Prostituierte in einer bayerischen Stadt. "Aber jetzt bin ich im zweiten Lockdown", sagt die 55-Jährige. Das Bordell, in dem sie ein Zimmer nutzt, ist geschlossen. Sie verdient kein Geld, hat aber ein Auskommen. "Ich bin verheiratet und werde von meinem Mann unterstützt." Für viele ihrer Kolleginnen sei die Lage aber sehr prekär: "Die wissen kaum, wie sie überleben sollen." Eine Einschätzung, die Maria Loheide vom Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland bestätigt. "Viele Sexarbeiterinnen verlieren derzeit ihre Existenzgrundlage."
Damit geht es den Prostituierten in der Corona-Krise ähnlich wie Friseurinnen, Kosmetikerinnen und Gastronomen - aber sie haben weniger Möglichkeiten, an Hilfsgelder zu kommen. Ihr Gewerbe gilt als anrüchig und ist moralisch umstritten. Bereits Anfang vergangenen Jahres forderten mehrere Bundestagsabgeordnete, darunter der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, in einem Brief an die Ministerpräsidenten ein "generelles Sexkaufverbot": In Bordellen sei das Infektionsrisiko hoch und sie könnten sich zu Superspreadern entwickeln. Die Arbeit von Prostituierten sei zudem menschenunwürdig und frauenfeindlich. Nach dem nordischen Modell sollten Freier und Zuhälter bestraft werden und nicht die Sexarbeiterinnen.
Dabei ist umstritten, ob das Sexkaufverbot wie in Schweden dazu beiträgt, Prostitution einzudämmen. "Für die Wirksamkeit des nordischen Modells gibt es keine Belege", sagt Loheide. Und Renate Jachmann-Willmer, Bundesgeschäftsführerin beim Sozialdienst katholischer Frauen, stimmt zu: "Ein Sexkaufverbot nutzt weder den Frauen, die freiwillig in der Prostitution arbeiten, noch denen, die Zwang und Gewalt ausgesetzt sind." Verbote trieben die Sexarbeiterinnen vielmehr in die Illegalität. Das mache es deutlich schwerer, den Frauen zu helfen. Die evangelische Diakonie und der Sozialdienst katholischer Frauen bieten bundesweit Beratung und Hilfen an.
Auch die Beratungsstelle P.I.N.K. in Freiburg erhält jetzt mehr Anfragen von Prostituierten in finanzieller Not. "Die aufsuchende Unterstützung, die wir sonst in den Bordellen oder Clubs machen, ist derzeit nicht möglich", sagt Gründerin und Leiterin Simone Heneka. Daher finde die Beratung oft per Telefon oder Video-Chat statt. Auch Heneka lehnt ein Sexkaufverbot ab. "Die Menschen, in erster Linie Frauen, die wir in Bordellen treffen, arbeiten unter unterschiedlichen Bedingungen: von souverän und selbstständig bis hin zu sehr arm und sehr abhängig." Ihnen sei aber gemeinsam, dass sie gesellschaftlich ausgegrenzt, diskriminiert und stigmatisiert werden.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren Ende 2019 rund 40.400 Sexarbeiterinnen und mehr als 2.000 Bordelle oder Clubs offiziell gemeldet. Diese Prostituierten haben Anspruch auf soziale Grundsicherung. Aber die Dunkelziffer liegt weit höher. Laut Schätzungen arbeiten bis zu 400.000 Frauen in Deutschland in der Prostitution.
Elke Winkelmann ist Zweite Vorsitzende des Bundesverbandes Sexuelle Dienstleistungen und betreibt das Freudenhaus Hase in Berlin. Die sieben Zimmer, die dort sonst von Sexarbeiterinnen genutzt werden, stehen jetzt leer. "Dabei hatten wir im vergangenen Jahr ein gutes Hygienekonzept erarbeitet", berichtet sie. Als angemeldetes Unternehmen werden dem Freudenhaus 80 Prozent seiner Gewerbekosten vom Staat als Corona-Hilfe bezahlt. "Ich habe aber seit einem Jahr kein Einkommen", klagt Winkelmann. Die selbstständigen Sexarbeiterinnen hätten auch meist keine Einnahmen.
Monika will in Bayern in ihrem alten Job weiterarbeiten, sobald die Politik den Lockdown beendet. "Ich bin ein ganz normaler Mensch und mache das seit 30 Jahren freiwillig." Auch ihr Mann und ihre erwachsene Tochter wüssten davon und akzeptierten die Tätigkeit.