Düsseldorf, Bad Oeynhausen (epd). Der Theologische Vorstand der Diakonie RWL, Christian Heine-Göttelmann, unterstreicht mit Blick auf die Anschuldigungen von Freiheitsberaubung in der diakonischen Stiftung Wittekindshof, dass es in der Betreuung keine freiheitsentziehende Maßnahmen ohne richterlichen Beschluss geben dürfe. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, sei das ein Straftatbestand, sagte Heine-Göttelmann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Fragen stellte Holger Spierig.
epd sozial: Wie geht die Diakonie RWL mit den Vorwürfen gegen den Wittekindshof um?
Christian Heine-Göttelmann: Zum laufenden Verfahren der Staatsanwaltschaft können wir uns nicht äußern, weil wir genau wie der Wittekindshof auch selbst keine Einsicht in die Ermittlungsakten haben. Es existiert ein Verdacht auf Körperverletzung und Freiheitsentzug ohne richterlichen Beschluss. Das wäre ein Straftatbestand und löst bei allen Verantwortlichen in der Diakonie Entsetzen aus. Unter diesem Verdacht stehen sowohl ehemalige Mitarbeitende des Wittekindshofes als auch externe Fachkräfte wie Ärzte und gesetzliche Betreuer. Das Verfahren müssen wir allerdings abwarten. Der Verdacht löst bei uns allerdings einen erneuten Versuch der Weiterentwicklung des Handlungsfeldes mit allen Beteiligten aus.
epd: Gibt es anlässlich der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Mitarbeiter einer diakonischen Einrichtung besondere Vorgaben für Träger unter dem Dach der Diakonie, um ähnliche Vorfälle von vornherein auszuschließen?
Heine-Göttelmann: Unsere Mitglieder sind eigenständig und agieren unabhängig. Die Diakonie RWL ist kein Aufsichtsorgan über die Mitglieder. Wir als Landesverband unterstützen, beraten und helfen bei Bedarf bei der Erarbeitung von Konzepten. Dennoch gelten überall gesetzliche Standards, die eingehalten werden müssen.
epd: Was bedeutet das konkret?
Heine-Göttelmann: Für jedes Konzept gilt: Die Gesetzeslage, insbesondere das Wohn- und Teilhabegesetz, ist eindeutig. Die dortigen Anforderungen sind einzuhalten. Das wird von der Behörde für das Wohn- und Teilhabegesetz (WTG) regelmäßig überprüft. Die jeweiligen Konzepte der Einrichtungen müssen sicherstellen, dass freiheitsentziehende Maßnahmen oder freiheitsbeschränkende Maßnahmen wie fixieren, isolieren oder sogenannte Time-out-Räume wo immer möglich vermieden werden.
epd: Was ist in den Einrichtungen nötig, um freiheitsentziehende Maßnahmen ohne einen richterlichen Beschluss zu verhindern?
Heine-Göttelmann: Sollten sich die Anschuldigungen bewahrheiten, handelt es sich nicht um eine bloße "Unterlassung", sondern um eine Straftat. Das muss ich so klar sagen. Fixieren, Festhalten und Einschließen dürfen auch bei einer richterlichen Genehmigung nur die äußersten Mittel sein, um eine akute Selbstgefährdung der Menschen zu verhindern. Bei möglichen Fremdgefährdungen, also zum Beispiel wenn ein Klient eine Fachkraft angreift, kann das Festhalten als kurzfristige Reaktion angewandt werden. Es darf aber niemals eine planvolle Maßnahme sein. Und auch hier gilt: Die rechtlichen Vorgaben dürfen nicht ignoriert werden.
epd: Was bedeutet das mit Blick auf die Beschäftigten in diesem Bereich?
Heine-Göttelmann: Für die Unterstützung von Menschen mit außergewöhnlichem Assistenzbedarf brauchen wir spezialisierte Fachkräfte. Sie müssen ausreichend sensibilisiert sein, um auf Eskalationen und drohende Gefährdungslagen frühzeitig reagieren zu können. Genauso wichtig ist es, dass die Mitarbeitenden regelmäßig geschult und fortgebildet werden. Alternative Handlungsmuster und der klar strukturierte Umgang müssen regelmäßig geschult und erprobt werden. Rechtlich fundierte Kenntnisse sind eine elementare Grundlage. Jede Fachkraft muss sich stets im Klaren darüber sein, was erlaubt ist und was nicht - auch in einer Ausnahmesituation. Die Arbeitgeber müssen regelmäßige Fort- und Weiterbildungen zur Gewaltprävention anbieten.
epd: Was muss beachtet werden, wenn freiheitsentziehende Maßnahmen nötig werden, um zu verhindern, dass ein Bewohner sich selbst oder andere verletzt?
Heine-Göttelmann: Freiheitsentziehende Maßnahmen sind das letzte Mittel der Wahl. Allerdings lassen sich bei Menschen mit außergewöhnlichen Hilfebedarfen, die ihre Wut und Frustrationen nur schwer regulieren können, diese Maßnahmen nicht immer vermeiden. Kommt es zu einer solchen Ausnahmesituation, sind dabei alle rechtlichen Vorgaben wie das Einholen einer richterlichen Genehmigung streng einzuhalten. Nicht nur in der Diakonie, sondern überall. Wir müssen uns bewusstmachen: Die Klientinnen und Klienten befinden sich in einem Machtgefälle. Auch wenn die Arbeit herausfordernd ist, so tragen wir die Verantwortung aus fachlicher, rechtlicher und auch aus ethischer Sicht, diese Maßnahmen so gut wie möglich zu vermeiden.
epd: Müssten auch die Kostenträger mehr Geld in die Hand nehmen, um schwierigere Betreuungsbereiche besser zu finanzieren?
Heine-Göttelmann: Absolut. Die Qualitätsstandards können nur umgesetzt werden, wenn die notwendigen finanziellen Mittel von den Leistungsträgern bewilligt werden. Dabei geht es um die regelmäßigen Weiterbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen. Fachlich hoch qualifiziertes Personal - und das in ausreichender Anzahl - kostet. Menschen mit außergewöhnlichem Hilfebedarf benötigen außergewöhnliche Expertise und auch mehr personelle Ressourcen. Das ist kostenintensiv, vor allem, wenn es wie im Gesetz gefordert stärker teilhabeorientiert, also im Sozialraum und unter Beteiligung der Betroffenen selbst gedacht wird. Im Bereich der heilpädagogischen Intensivbetreuung ist die Belastung hoch. Dort werden Menschen unterstützt, die eine geistige Behinderung haben und zugleich unter schweren psychischen Erkrankungen leiden, die sich oft in einer geringen Impulskontrolle und gewalttätigem Verhalten äußern. Darüber sprechen wir zu selten. Wir wollen das ändern. Es muss das Ziel sein, die Politik dazu zu bewegen, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine teilhabeorientierte Betreuung dieser Menschen braucht.