sozial-Thema

Pflegeausbildung

Wenn Corona täglich die Einsatzpläne über den Haufen wirft




Auzubildende im im Pflegeheim "Lazarus Haus Berlin" der Hoffnungstaler Stiftung Lobeta
epd-bild/Jürgen Blume
Beim Umbau der Lehrinhalte für die neue generalistische Pflegeausbildung blieb kein Stein auf dem anderen. Eine Kraftanstrengung für die Schulen. Als es nach zäher Vorbereitung endlich losgehen sollte, kam Corona. Das hat Folgen.

Als die Bundesminister Jens Spahn (CDU) und Franziska Giffey (SPD) jüngst vorschlugen, wegen akuter Personalnot Pflege-Azubis für Corona-Schnelltests in Heimen heranzuziehen, reagierte die Branche mit Entsetzen. Eine qualifizierte Ausbildung habe Vorrang vor Hilfsarbeiten in Heimen, lautete der Tenor. Und es fehlte auch nicht an deutlichen Hinweisen auf ein ohnehin arg erschwertes Lernumfeld in Zeiten der Pandemie.

"Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich die Bedingungen in der neuen generalistischen Pflegeausbildung per se erschwert. Der theoretische Unterricht findet digital statt, die Inhalte sind neu und umfassender und auch die Praxisanleitung hat nicht den Rahmen, den sie eigentlich haben müsste", sagt Franz Wagner, Präsidiumsmitglied der Bundespflegekammer und Präsident des Deutschen Pflegerates. Azubis hätten keine Zeit für Aushilfsjobs wie dem Testen von Besuchern, Bewohnern und Personal in Pflegeheimen: "Wir vergraulen unsere Zukunft, indem wir den Nachwuchs heillos überfordern."

Reform steckt noch in den Kinderschuhen

Das neue System der generalistischen Ausbildung steckt noch in den Kinderschuhen, neue und größere Schulverbünde mussten sich finden, die Lehrpläne sind taufrisch, viele neu gewonnene Dozentinnen und Dozenten noch unerfahren - und dann kam Corona. Ziel der seit Januar 2020 geltenden Regelungen ist es, die getrennten Ausbildungsberufe in der Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege in einer generalistischen Schulung zusammenzuführen. Das soll den Beruf vielseitiger und vor allem attraktiver machen, fordert jedoch den Nachwuchs weitaus mehr als in der Vergangenheit.

Carsten Drude, Geschäftsführer der Franziskus Gesundheitsakademie Münster, urteilt, der Start der Generalistik habe bundesweit ganz gut geklappt. Zwar gebe es gelegentlich Verbesserungsbedarf, müsse man beim Curriculum nachjustieren, aber die Schulen hätten die Kurse unter hohem Zeitdruck meist pünktlich zum Laufen gebracht, berichtet Drude, der auch Vorsitzender des Bundesverbandes Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe ist.

Das bestätigt auch der Träger Diakoneo in Neuendettelsau. "Die Reform ist aus unserer Sicht gut gestartet", sagt Pressesprecher Markus Wagner. Der diakonische Träger bildet derzeit an sieben Berufsfachschulen für Pflege sowie der kooperierenden Pflegeschule an der Kreisklinik Roth insgesamt 240 Schülerinnen und Schüler aus. "Die Zahlen sind insgesamt stabil, die Klassen ausgelastet", so Wagner.

Aber: "Die Pandemie bleibt eine tägliche Herausforderung", berichtet Drude. Was wirklich Probleme bereite, sei die permanente Umstellung der Einsatzpläne für die Azubis - immer dann, wenn in Pflegeeinrichtungen, Kliniken oder Wohngruppen plötzlich Infektionen auftreten und alle Planungen über den Haufen werfen.

Jeden Tag flexibel reagieren

Dann würden Abteilungen geschlossen oder zusammengelegt, in denen eigentlich Azubis arbeiten sollten. Drude: "Das flexible Reagierenmüssen ist der Knackpunkt." Dann werde telefoniert, bis die Drähte glühten, um andere Einsatzmöglichkeiten zu finden. Azubis würden selbstverständlich aber auch in Bereichen eingesetzt, in denen Infektionen auftreten. "Das sollte nur nicht gleich am ersten Praxistag der Fall sein."

Auch bei Diakoneo ist das Infektionsgeschehen das größte Problem: "In der Praxisbegleitung sind unterschiedliche Regelungen und Öffnungen der praktischen Einsatzorte eine Herausforderung für Schüler und Organisation."

Drude geht davon aus, dass die meisten Schulen die Ausbildungskurse trotz schwieriger Bedingungen regulär zu Ende bringen. Verschobene Abschlussprüfungen werden nach seiner Einschätzung nur Ausnahmen sein. Dennoch gingen die außergewöhnlichen Belastungen an den Azubis nicht spurlos vorüber. Rückmeldungen von den Mitgliedsschulen des Verbandes deuteten auf eine Abbrecherquote von etwa zehn Prozent hin. Aber dieses Phänomen immer kausal mit Corona in Zusammenhang zu bringen, sei problematisch, so Drude. Gescheiterte Ausbildungen habe es schon immer gegeben. Bei Diakoneo heißt es: "Die Anzahl der Auszubildenden, die die Ausbildung während der Probezeit beendet haben, ist gering und liegt im vergleichbaren Rahmen der Vorjahre."

Handfeste Zahlen über frühzeitig beendete Ausbildungen gibt es nicht. Aber es gibt Hinweise über mögliche Gründe: Auszubildende fühlen sich während Corona häufig hilflos und alleingelassen. Sie erleben gestresste Pflegefachpersonen und weniger Anleitung. Vor allem Pflegesituationen mit Patientinnen und Patienten in lebensbedrohlichen Zuständen werden kaum besprochen und reflektiert, so die Ergebnisse einer Umfrage des Diakonischen Bildungszentrums (DBZ) Bergisch Land.

Im Zeitraum zwischen Oktober 2020 und Januar 2021 hat das DBZ 136 Azubis vom ersten bis dritten Ausbildungsjahr gefragt, wie sie ihre praktische Ausbildung während der Pandemie erleben. 94 Azubis beteiligten sich an der Online-Umfrage. 13 Prozent der Befragten gaben an, ihre Praxisanleiter während der Pandemie überhaupt nicht gesehen zu haben. 21 Prozent der Azubis hatten regelmäßigen Kontakt. Im Ergebnis fühlten sich die nur mittelmäßig betreut.

Bei Diakoneo hat man solche Problemanzeigen bislang nicht gehört. Im Gegenteil: Die Rückmeldungen der Auszubildenden seien grundsätzlich positiv. Sie sähen vor allem die Chancen, die ihnen die generalistische Pflegeausbildung biete. Sprecher Wagner: "Die Ausbildung gestaltet sich bislang so, wie es sich die Azubis vorgestellt haben und sie sind sehr zufrieden."

Start nicht überall problemlos geglückt

Befragt man die für den Nachwuchs Verantwortlichen bei den Trägern und in den Schulen über die Ausbildung in Zeiten von Corona, ergibt sich ein ambivalentes Bild. Auch im Caritas Schulzentrum Saarbrücken musste die Leitung auf Corona reagieren, wo im Oktober drei Kurse ihre Ausbildung begonnen haben. Die Bewerberzahlen legten um 80 Prozent zu, berichtet Leiter Björn Metzger in der Zeitschrift "neue caritas". Man habe den Start der Kurse um einen Monat nach hinten verschoben: "Wir wollten die Auszubildenden nicht ohne theoretische Grundkenntnisse in der Praxis einsetzen." Um den Neulingen Präsenzunterricht zu ermöglichen, wurde ein Hygienekonzept erarbeitet, dazu aber auch E-Learning angeboten.

"Die fast zeitgleich mit der Einführung der neuen Pflegeausbildung aufgetretenen Corona-Einschränkungen haben sich sehr negativ auf den Beginn der generalistischen Pflegeausbildung ausgewirkt", berichtet Karin Wolff, die Pädagogische Leitung der St. Hildegard Akademie in Berlin. Das habe bereits bei den Bewerbungen begonnen, die oft nur über Video- oder Telefonkonferenzen erfolgen konnten.

"Aufgrund der Pandemie war der Einsatz auf einigen Stationen, Wohn- oder ambulanten Bereichen gar nicht möglich, um die Gesundheit der Auszubildenden nicht zu gefährden." Folge sei gewesen, dass an anderen Einsatzstellen Auszubildende vermehrt eingesetzt werden mussten - was sich negativ auf die Organisation und die Gestaltung der Praxisanleitungen auswirkte. Problem: "Weil auch in der Schule kaum Präsenzunterricht möglich war, war ein Tausch von Theorie- und Praxiseinsätzen nicht möglich."

Die mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen und Verunsicherungen könnten bei den sich abzeichnenden Ausbildungsabbrüchen innerhalb der Probezeit eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben, vermutet Wolff. "Es ist damit zu rechnen, dass statt der kalkulierten 15 Prozent sich eine Abbruchquote von 20 bis 25 Prozent herausstellt."

Nadya Klarmann, Präsidentin der Pflegekammer Niedersachsen, kennt diese oft schweren Belastungen im Ausbildungsalltag. In diesen Zeiten seien die Träger und Schulen besonders in der Pflicht: "Auszubildende sind Lernende. Führungskräfte von Pflegeeinrichtungen und Klinken müssen aufpassen, dass sie ihre Nachwuchskräfte nicht verheizen, indem sie ihnen zu viele Tätigkeiten und zu viel Verantwortung aufbürden." Das gelte auch für die Zukunft - wenn Corona hoffentlich irgendwann Geschichte ist.

Dirk Baas