sozial-Recht

Bundesverfassungsgericht

Sterbewillige dürfen nicht einfach tödliche Arzneimittel erwerben




Utensilien am Patientenbett in einem Hospiz
epd-bild/Werner Krüper
Bürger haben ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Eine tödliche Arzneimittel-Dosis können sie damit aber noch nicht erwerben, entschied das Bundesverfassungsgericht. Zunächst müssen sie sich selbst um Helfer oder eine ärztliche Verschreibung bemühen.

Sterbewillige Menschen müssen für einen beabsichtigten Suizid mit tödlichen Arzneimitteln Durchhaltevermögen aufbringen. Auch wenn sie ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben haben, ist es ihnen zuzumuten, dass sie hierfür aktiv nach helfenden Menschen suchen, sich um eine ärztliche Verschreibung bemühen oder auf anderem Weg ihr Recht konkret verfolgen, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am 4. Februar veröffentlichten Beschluss. Ist die Durchsetzung ihres Rechts aussichtslos, müssen sie zunächst Rechtsschutz bei den zuständigen Fachgerichten suchen, so die Karlsruher Richter. Ohne konkrete Vorgaben der Verfassungsrichter liegt die Verantwortung zur Regelung eines selbstbestimmten Sterbens nun beim Gesetzgeber.

Schmerzlose Selbsttötung

Im Streitfall ging es um ein Rentnerehepaar, das beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolglos die Genehmigung für den Erwerb des tödlichen Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital beantragt hatte. Das Arzneimittel solle dem Paar ein schmerzfreies Sterben ermöglichen. Die 1937 und 1944 geborenen Eheleute sind zwar nicht schwer krank, nach ihren Angaben verspürten sie aber das Nachlassen ihrer geistigen und körperlichen Kräfte. Um sich und ihren Angehörigeneinen jahrelangen Verfall und qualvollen Tod zu ersparen, wollten sie mithilfe der tödlichen Arzneimitteldosis selbst über den Zeitpunkt ihres Todes bestimmen.

Das BfArM lehnte den Antrag der Eheleute ab. Auch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig urteilte am 28. Mai 2019, dass allenfalls bei schweren unheilbaren Erkrankungen Medikamente für eine schmerzlose Selbsttötung abgegeben werden könnten.

Am 26. Februar 2020 entschied das Bundesverfassungsgericht allerdings in einem anderen Verfahren, dass Menschen ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben haben. Das seit 2015 im Strafgesetzbuch enthaltene Verbot der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" sei verfassungswidrig und damit nichtig. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schließe "die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen", so die Verfassungsrichter.

Beschwerde unzulässig

Mit der Karlsruher Entscheidung im Rücken hoffte das Rentner-Ehepaar im aktuellen Streitfall, dass sie per Verfassungsbeschwerde nun die gewünschte tödliche Arzneimitteldosis kaufen können. Faktisch sei es in Deutschland ausgeschlossen, dass sie einen verschreibungswilligen Arzt oder Suizidhelfer finden.

Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde als unzulässig zurück. Unter strafrechtlichem Blickwinkel könnten solche Suizidbeihilfe-Leistungen zwar angeboten werden. Es sei den Klägern aber zuzumuten, zunächst aktiv nach suizidhilfebereiten Personen im Inland zu suchen, sich um eine ärztliche Verschreibung des gewünschten Wirkstoffs zu bemühen oder "auf anderem geeigneten Weg ihr anerkanntes Recht konkret" zu verfolgen. Wenn sich dies als aussichtslos erweise, könnten sie Rechtsschutz bei Fachgerichten suchen.

Denn nur so könne geklärt werden, "welche konkreten Gestaltungsmöglichkeiten und tatsächlichen Räume die nunmehr geltende Rechtslage bietet". Eine verfassungsrechtliche Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt würde den "politischen Gestaltungsspielraum bei der Erarbeitung eines übergreifenden legislativen Schutzkonzepts weitgehend einschränken und die Gestaltungsentscheidung faktisch erschweren", befanden die Karlsruher Richter. Seit einigen Tagen liegen zwei Gesetzentwürfe verschiedener Gruppen von Bundestagsabgeordneten zur Neuregelung der Sterbehilfe vor.

Begleitung in den Tod

Der Bundesgerichtshof hatte bereits am 3. Juli 2019 zu einem Hamburger und einem Berliner Arzt entschieden, dass diese sich nicht strafbar machen, wenn sie Suizidwillige in den Tod begleiten. Sie müssten keine Rettungsmaßnahmen einleiten, wenn die Betreffenden bewusstlos geworden sind. Voraussetzung sei danach, dass die Suizidwilligen sich frei und eigenverantwortlich für ihren Tod entschieden haben.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) urteilte am 16. Juli 2015, dass es nach der Europäischen Menschenrechtskonvention kein Grundrecht auf assistierten Suizid gebe. Die Straßburger Richter wiesen damit die Frau eines inzwischen verstorbenen Mannes ab, der nach einem Schlaganfall unter dem Locked-in-Syndrom litt und völlig gelähmt war. Wegen seiner Lähmungen konnte er nicht selbst Suizid begehen. Es gebe unter den Europarats-Mitgliedern keinen Konsens, ob und unter welchen Voraussetzungen ein assistierter Suizid möglich sein solle, so der EGMR.

Az.: 1 BvR 1837/19 (Bundesverfassungsgericht, unzulässige Beschwerde)

Az.: 3 C 6.17 (Bundesverwaltungsgericht)

Az.: 2 BvR 2347/15 und weitere (Bundesverfassungsgericht, selbstbestimmtes Sterben)

Az.: 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18 (Bundesgerichtshof)

Az.: 2478/15 (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte)

Frank Leth