sozial-Politik

Pflege

Personalnotstand wegen Sparzwang und kaum Freiheiten im Beruf




Pflegekräfte im Evangelisches Pflegezentrum im bayerischen Eichenau
epd-bild/Klaus Honigschnabel
Sie ist eine der Schlüsselfragen in einer alternden Gesellschaft: Wie kann der Pflegeberuf attraktiver werden? Denn nur wenn mehr ausgebildete Fachkräfte länger als bisher ihrem Beruf auch treu bleiben, kann der Personalnotstand in Deutschland überwunden werden.

Silke Doppelfeld kritisiert das System der Krankenhausfinanzierung. Es stehe einer fürsorglichen Pflege der Patienten im Weg, ist die examinierte Krankenpflegerin aus Bad Neuenahr überzeugt. Seit über 15 Jahren fließt Geld nach dem sogenannten Fallpauschalen-System an die Kliniken und trimme sie auf Effizienz und auf eine falsch verstandene Wirtschaftlichkeit.

Das wirke sich fatal auf die Pflege aus, ist Doppelfeld überzeugt. Pflegekräfte könnten wegen des Spardrucks nicht so intensiv und mit persönlicher Zuwendung pflegen, wie sie das für gut und richtig halten. Der Arbeitsalltag kollidiere mit ihrer beruflichen Identität. Es würden Patienten aus der Klinik entlassen, die aus pflegerischer Sicht noch nicht nach Hause gehören. Doch Pflegekräfte haben in den hierarchisch strukturierten Kliniken wenig zu melden, lautet ihre Kritik: "Das ist ein Grund, warum viele Leute aus der Pflege aussteigen."

Streik würde Chaos anrichten

Pflegekräfte könnten ihre Lage verbessern, indem sie gemeinsam für ihre Anliegen kämpften, sagt Julia Inthorn. Sie ist überzeugt: Nur eine einzige Stunde Pflegestreik zur gleichen Zeit in ganz Deutschland - und das Chaos wäre perfekt. Doch es werde kaum gekämpft. Im Gegenteil, sagt Inthorn: "Pflegende gehen bisweilen genauso grob miteinander um, wie mit ihnen umgegangen wird." Dabei bräuchte es positive Veränderungen "aus der Pflege selbst", sagt die Leiterin des Zentrums für Gesundheitsethik der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover.

Die klare Hierarchie im deutschen Gesundheitswesen ist für Burkhard Halbig, Leiter einer Caritas-Sozialstation in Würzburg, ein Grund für den wachsenden Frust in der Pflege. Gehe eine Pflegekraft zu einem alten Menschen, sehe sie aufgrund ihres Fachwissens genau, was dieser Mensch brauche, damit er sich besser fühlt, erklärt er: "Doch verordnen darf sie nichts." Das sei "seit Jahrzehnten" so: "Pflegebetten, Toilettenstühle, Rollstühle, Rollatoren, Inkontinenzartikel - alles darf nur der Arzt verordnen." Nicht einmal für Verbandmaterial darf eine Sozialstation selbst sorgen: "Obwohl wir eine ausgebildete Wundmanagerin haben."

Halbig beklagt, dass Bürokratie und Sparzwänge von Jahr zu Jahr zunehmen. "Mein Empfinden ist, dass die persönliche Lebenslage eines hilfesuchenden Menschen dadurch immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird." Sein Team bekomme immer öfter mit, dass andere Pflegedienste "unattraktive Versorgungen" ablehnen. Natürlich könne das am Personalmangel liegen: "Doch es geschieht sicher zum Teil auch aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus." Pflegekräfte, die das aufgrund ihrer Berufsauffassung nicht mittragen könnten, bleibe nichts übrig, als zu kündigen - innerlich oder tatsächlich.

Fachkräfte erdulden oft zu viel

Dabei erdulden Pflegekräfte oft viel zu viel, sagt Michael Bauch, Betriebsratsvorsitzender des Klinikums Würzburg Mitte. Zu wenige nutzten zum Beispiel das Instrument der Überlastungsanzeige, obwohl sie mit ihren Kräften am Limit seien: "Die Leute sind in ihrer Helferrolle gefangen und kommen da nicht raus." Pflegende versuchten stets, "aus der Mangelwirtschaft das Maximum herauszuholen". Wer physisch und psychisch am Ende ist, geht. Und das seien inzwischen "Scharen": "Wir steuern im Gesundheitswesen sehenden Auges auf einen Kollaps zu", beobachtet Bauch.

Thomas Möller gehört zu jenen, die irgendwann nicht mehr kompromissbereit waren. Der 31-Jährige war acht Jahre als Krankenpfleger tätig. Inzwischen engagiert er sich in Berlin beim Bundesverband Gesundheits-IT. "Es ist nicht in erster Linie die Bezahlung, die den Pflegeberuf so unattraktiv macht", sagt Möller, der sich 2015 in der Protestbewegung "Pflege am Boden" einbrachte.

Auch für ihn waren betriebswirtschaftliche Zwänge und der geringe Einfluss auf die Gestaltung der eigenen Arbeit die Hauptgründe, warum er den Pflegeberuf an den Nagel gehängt hat. "Pflege hat in Deutschland einfach kein gutes Standing", sagt er. Es sei ein "dienender Assistenzberuf". "Doch wir sind so gut ausgebildet, dass wir mehr Verantwortung bekommen sollten."

"Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis"

Patienten brauchen nicht bloß gute Medizin, sondern auch gute Pflege. Wie die ausschaut, lernt eine Pflegeschülerin von der Pike auf, sagt Clara Goll aus Wiesbaden, die vor einem Jahr ihre Ausbildung abgeschlossen hat und seitdem auf einer Intensivstation tätigt ist. "Nun gibt es aber leider eine sehr große Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis", beklagt die 24-Jährige, die sich in der Gruppe "Junge Pflege" des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe DBfK engagiert. Statt so zu pflegen, wie sie es gelernt haben, müssten Pflegekräfte "aneinandergereihte Vorgaben abarbeiten: Wir haben viel zu wenig Entscheidungsspielraum".

Patienten zu waschen und Fieber zu messen, sei in der Pflege längst nicht alles. Zwischen Aufnahme und Entlassung sollte sich ein komplexer Pflegeprozess abspielen - dem aber in der Praxis kaum Freiraum zugestanden wird. "Eine gute Pflege beginnt damit, dass ich den Patienten frage, was ihm Angst macht, was ihm Sorgen bereitet und wie er sich die nächsten Tage vorstellt", erklärt Goll. Dies sei deshalb so wichtig, weil ein angstfreier Patient bessere Heilungschancen hat. Weil sie oft nicht tun kann, was sie tun möchte, fragt sich Clara Goll nach nur einem Jahr in der Pflege, wie lange sie ihren Job wohl aushält. Aktuell plant sie, ins Pflegemanagement zu wechseln.

Pat Christ