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Pflege

Hürdenlauf zur Kur: Wie pflegende Angehörige alleingelassen werden




Ein pflegebedürftiger Mann wird eingecremt.
epd-bild/Werner Krüper
Die Versorgung von Millionen pflegebedürftiger Menschen hängt hierzulande allein von ihren Angehörigen ab - in der Pandemie noch mehr als sonst. Umso erstaunlicher ist, wie es diesen Alltagshelden erschwert wird, für die eigene Gesundheit zu sorgen.

Gerlinde Süderbrink (Name geändert) hatte sich fünf Jahre lang um ihre demenzkranke Mutter gekümmert. Kurz vor Weihnachten stellte die 57-Jährige aus dem Landkreis Osnabrück einen Antrag auf eine Kur für pflegende Angehörige. Sie war erschöpft. Die Ablehnung kam gleich nach den Feiertagen. Eine "Mutter-Kind-Vorsorgemaßnahme" stehe ihr nicht zu. Dabei hatte Süderbrink die Pflegesituation in ihrem Antrag ausführlich beschrieben, den sie mit Hilfe einer Beratungsstelle des Müttergenesungswerks gestellt hatte. Sie zweifelte, ob ihre Krankenkasse ihn überhaupt gelesen hatte.

Bürokratisch und undurchsichtig

"Es kann nicht sein, dass eine Krankenkasse einer Versicherten so eine Auskunft gibt", sagt die Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks, Anne Schilling. Ihrer Erfahrung nach müssen pflegende Angehörige aber immer wieder mit besonderen Hürden rechnen, wenn sie eine Kur beantragen. Die Kassen haben dafür nicht einmal ein Formular.

Das wirft ein Schlaglicht auf den Umgang mit "dem größten Pflegedienst der Nation". Die physischen und psychischen Belastungen durch häusliche Pflege sind hundertfach belegt. Dennoch wird es pflegenden Angehörigen besonders schwergemacht, etwas für die eigene Gesundheit zu tun, etwa durch eine Kur.

Das Müttergenesungswerk bietet die Kuren in seinen Kliniken an und bemüht sich Schilling zufolge schon seit Jahren darum, den Zugang zu verbessern. Bisher mit geringem Erfolg, obwohl der Politik die Probleme bekannt sind. Bereits 2014 hatten Gutachter im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums festgestellt, dass Kuren für pflegende Angehörige "nicht in einem signifikanten Ausmaß in Anspruch genommen werden, hauptsächlich deshalb, weil die Prozesse im Vorfeld noch zu bürokratisch, undurchsichtig, uneinheitlich und zu aufwendig sind".

Wenige Anträge

Angehörige versorgen zwei Drittel der mehr als vier Millionen offiziell pflegebedürftigen Menschen zu Hause, die meisten ohne Hilfe von Pflegediensten. Schon nach dem ersten Lockdown im Juni 2020 erklärte ein Drittel der Pflegenden, ihre Situation habe sich in der Pandemie verschlechtert. Ein Viertel fürchtete, die häusliche Pflege nicht mehr zu schaffen. Von den Angehörigen Demenzkranker dachten 35 Prozent ans Aufgeben. Bei allen hatten Verzweiflung, Wut und Ärger zugenommen, wie die Berliner Charité und das Zentrum für Qualität in der Pflege in einer bundesweiten Befragung ermittelten.

Überdies fehlen seit Monaten viele Erholungsmöglichkeiten: Saunen und Cafés sind zu, Sport fällt aus, Selbsthilfegruppen kommen wenn, nur online zusammen. Das alles sind Gründe für eine Vorsorgekur. Doch von dieser Möglichkeit wissen die meisten der rund 4,7 Millionen pflegenden Angehörigen nichts. Das Müttergenesungswerk verzeichnet gerade mal 850 Anträge pro Jahr. Amtliche Statistiken gebe es nicht, teilt der GKV-Spitzenverband auf Anfrage mit und nennt auch einen Grund: Es gebe "keine spezifische Vorsorge für pflegende Angehörige". Dabei steht der Anspruch auf Vorsorge- und Reha-Kuren für pflegende Angehörige seit nunmehr acht Jahren im Gesetz.

An der Belastungsgrenze

"Es hilft nichts, wenn das nur im Gesetz steht", fasst Verena Ising-Volmer die Sachlage trocken zusammen. Seit anderthalb Jahren setzt sich die Leiterin des Referats für Kur- und Erholungshilfen im Diözesan-Caritasverband Paderborn im Rahmen eines Modellprojekts der nordrhein-westfälischen Landesregierung dafür ein, Beratungsstellen zu schulen und die Kuren bekanntzumachen. Sie seien "immer noch nicht etabliert", sagt sie: "Wir sind dafür da, das zu ändern."

Der Düsseldorfer Sozialminister und frühere Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), der das Projekt mit zwei Millionen Euro fördert, sagt, gerade jetzt sei es wichtig, dass erschöpfte pflegende Angehörige "in einer Kur zu neuer Kraft und Stärke finden". Sie übernähmen "tagein, tagaus bedingungslos die Verantwortung für ihre Angehörigen" und die Corona-Pandemie habe "viele an ihre Belastungsgrenze gebracht".

Gerlinde Süderbrink hat inzwischen die Ablehnung vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen erhalten, der ihren Kurantrag geprüft hat. Die Begründung deckt sich mit dem abschlägigen Bescheid ihrer Kasse: Ihr stehe keine Mütterkur zu. Sie wird nun Widerspruch einlegen und abermals erklären, dass sie eine Kur für pflegende Angehörige beantragt hat. Wie das ausgeht, ist offen. Nur eines ist sicher: Sie wird noch Nerven brauchen.

Bettina Markmeyer