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Corona

Digitale Nebenwirkungen: Gefesselt von Pornos und Konsolen




Eine junge Frau bei einem Computerspiel
epd-bild/Andrea Enderlein
Internet-Pornoportale feiern Rekordzugriffe im Lockdown, auch die Gaming-Branche und Streamingdienste profitieren von den vielen Menschen, die Arbeit, Ausbildung und Freizeit auf ihre Computer verlagert haben. Die Suchtgefahr steigt, warnen Experten.

Die Kollegen sind kleine Kacheln in der Videokonferenz, das Uni-Seminar wird sowieso aufgezeichnet: Wie wäre da - allein im Homeoffice - ein Ausflug in die heiße Sexkategorie im Browser-Fenster nebenan? Oder ins nächste Level des Online-Spiels? Niemand wird es merken, und in Gesellschaft ist man auch – und das so ganz ohne echten Kontakt.

Um rund 25 Prozent stiegen in Corona-Zeiten die Zugriffe auf das Internet-Pornoportal Pornhub, das regelmäßig Statistiken veröffentlicht und im ersten Lockdown auch das Bezahlangebot gratis machte – zur Beschäftigung allein zu Haus. Zur Dimension: Die Webseite wurde 2019 weltweit 42 Milliarden Mal geklickt, die Deutschen sind unter den Top-Nutzern. Konkurrent XHamster liegt im deutschen Webseiten-Ranking derzeit noch weiter vorn, auf Platz 11 – vor Twitter oder Paypal. Im Lockdown werden die meisten Pornos laut Pornhub während der Arbeitszeit geschaut.

Gaming boomt

Auch Gaming boomt. Etwa 40 Prozent mehr Geld investierten Gamer im ersten Halbjahr 2020 in Videospiele, zeigen Marktstudien, der Branchenverband "Games" feierte mit 3,7 Milliarden Euro ein 27-prozentiges Umsatzplus am deutschen Markt. Vor allem investierten Menschen mehr Zeit: Die Bildschirm-Spielzeit von Kindern und Jugendlichen stieg allein im ersten Lockdown, zeigt die Gaming-Studie der Krankenkasse DAK. Die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) warnt deshalb vor "verstärkter Mediensucht in der Corona-Krise".

Dass Zuhause-Bleiben im Kampf gegen Corona erwünschtes Verhalten ist, die Arbeitswelt in großen Teilen online und allein stattfindet, macht es für suchtgefährdete Menschen sehr schwer, sagt Jan Dieris-Hirche, Leiter der Mediensuchtambulanz der Uniklinik Bochum. Die Ablenkung durch das jeweilige Suchtmittel lauert dadurch häufiger – und es fehlt die soziale Kontrolle: Der Studierende im Online-Semester wirft morgens den Rechner an und versinkt im Online-Rollenspiel – "zunächst ohne dass es dem Umfeld auffällt". Im Büro ist ein Porno vor der Morgenkonferenz kaum möglich, "jetzt lenkt allein der Gedanke daran schon ab", sagt der Oberarzt.

Lange Nutzungszeit bedeutet dabei nicht automatisch Sucht – aber sie gefährdet. Mediensüchtige schmachten wie Abhängige nach ihrem Mittel, können die Gedanken nicht davon lösen – und konsumieren trotz "realer sozialer Folgen" weiter. Schaffen Arbeit oder Abschluss nicht oder verlieren Partner wegen Pornos, denen sie nicht widerstehen konnten.

Hoher Leidensdruck

"Die Folgen der Pandemie für Mediensucht wird man erst später richtig sehen", sagt Suchtforscher Dieris-Hirche. Die Gruppen der Bochumer Ambulanz, inklusive Wartelisten, sind schon jetzt voll – vor allem mit Gamern und Pornosüchtigen. Covid-19 mache auch die Behandlung schwer: "Man würde den Menschen ja zu sozialem Kontakt raten und zum Beispiel Gamer darin bestärken, ihren Spieltrieb anders auszuleben, etwa Kampfsport auszuprobieren oder Theater", sagt Dieris-Hirche. "Das meiste davon ist gerade nicht möglich."

Er sieht aber auch Chancen in der Pandemie: "Vor Corona war es ein Widerspruch, online Beratung für Mediensucht anzubieten." Sein Forschungsteam arbeitet seit September mit einem Online-Motivationsprogramm (OMPRIS), das Süchtige dort erreicht, wo sie sich aufhalten – online. Laut Dieris-Hirche mit Erfolg.

Auch die Kölner Psychotherapeutin Susanne Behlau, die sich auf die Behandlung von Sexsucht spezialisiert hat, sieht Chancen in der Pandemie. "Es wenden sich gerade mehr Betroffene an mich, weil sie im Homeoffice merken, dass sie ohne den Kick durch Pornos oder Prostituierte nicht können." Gerade Sexsucht sei ein Tabu mit hohem Leidensdruck. "Gefühlt setzen sich gerade mehr Menschen damit auseinander."

Miriam Bunjes