Frankfurt a.M. (epd). Nach Feierabend trifft sich Kerstin Elsässer am liebsten mit ihren Freunden. Sie gehen in Bars, machen zusammen Sport oder spielen Theater. "Ich bin eigentlich immer unter Leuten", sagt die 28-Jährige. Doch das hat sich im vergangenen Dezember schlagartig geändert: Nicht nur der Lockdown hindert sie seitdem an den Treffen, sondern auch mehr als 500 Kilometer Entfernung. Elsässer ist für einen neuen Job von Heidelberg nach Bremen gezogen. Seither verbringt sie ihre Freizeit meist allein. "Das frustriert, und ich bin schon oft traurig", sagt sie.
Auch Studentin Paulin Ziegler und Schülerin Greta Stassen geht es ähnlich: Die 20-jährige Ziegler ist im Oktober für ihr Studium nach Leipzig gezogen. Statt in Hörsälen sitzt sie nun allein in ihrem WG-Zimmer. Ihre Ankunft hatte sie sich im Sommer noch anders vorgestellt: "Ich dachte immer, nach dem Umzug geht es richtig los und man lernt ganz viele neue Leute kennen." Vier Monate nach Semesterbeginn hat sie kaum neue Freundschaften aufbauen können. "Ich bin enttäuscht und wage auch nicht mehr zu hoffen, dass es bald besser wird", sagt sie.
Greta Stassen wird ihren ersten Schultag nach dem Umzug von Luxemburg nach Frankfurt am Main digital erleben. Der Gedanke daran stimmt die 16-Jährige mulmig: "Ich bin eigentlich jemand, der ziemlich leicht neue Freunde findet, aber es wird schwieriger, wenn kein Präsenzunterricht stattfindet", sagt sie.
Die drei jungen Frauen stehen alle vor der gleichen Herausforderung: Während es Lebensumbrüche wie Schulwechsel und Studienbeginn sonst erleichtern, neue Menschen kennenzulernen, machen die Corona-Maßnahmen ihnen dies nahezu unmöglich.
Doch nicht nur nach Umzügen fühlt sich die junge Generation aktuell einsam: Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin kommt zu dem Ergebnis, dass sich besonders junge Menschen unter 30 Jahren zu Beginn der Corona-Krise im April 2020 einsam fühlten.
Janosch Schobin, der an der Universität Kassel zur Soziologie der Freundschaft forscht, erklärt das damit, dass die Corona-Krise auch dazu führt, dass bestehende Freundschaften zerbrechen. Da manche Menschen in einer Stresssituation mehr Unterstützung bräuchten als andere, müsse ausgewählten Freunden mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, sagt er. Zwangsläufig bleibe für die anderen Freunde weniger Zeit übrig. "Sie scheitern an der Kontaktaufnahme und haben das Gefühl, der Freund driftet weg."
Der Soziologe rät jungen Menschen, die ihren Freundeskreis erweitern wollen, neue Kontakte im Internet zu suchen. Es sei zum Beispiel möglich, Fremde in sozialen Netzwerken anzuchatten oder Apps zu nutzen, die sich explizit auf die Freundschaftsvermittlung konzentrierten.
Insgesamt nimmt Schobin wahr, dass in der Corona-Krise mehr Menschen digital nach neuen Kontakten suchen. So haben sich dem Experten zufolge im vergangenen Jahr zum Beispiel bei der App "friendsUp", die Freundschaften zwischen Frauen vermittelt, rund 58.800 neue Nutzer angemeldet. Das sei ein Anstieg um 90 Prozent, sagt er. "Die Nutzerzahlen sind geradezu explodiert."
Kerstin Elsässer hat versucht, Kontakte über Facebook aufzubauen und ist der Gruppe "Neu in Bremen – Mädels" beigetreten. Sie hat mit zwei Frauen gechattet und sich zum Spazierengehen getroffen. Das sei ein Anfang gewesen, sagt die 28-Jährige, fügt aber hinzu: "Es war kalt, es hat geregnet, und bei den schlechten Voraussetzungen hat es auch nicht unbedingt Spaß gemacht." Sie hat sich deshalb entschieden, keine weiteren Frauen zu treffen, sondern die Suche bis zum Ende des Corona-Lockdowns einzustellen. "Ich glaube, dann lernt man automatisch im öffentlichen Leben wieder Leute kennen."